Der Sohn zieht aus – oder doch nicht?!
Merken
Drucken

Der Sohn zieht aus – oder doch nicht?!

Lesedauer: 4 Minuten

«Mama», sagt der Sohn, «auch wenn es für dich schwer wird, ich ziehe aus.» Mit 22 Jahren sei die Zeit reif für einen Neustart im eigenen Leben. Wo er recht hat, hat er recht, finden wir Eltern und entkorken schon mal die erste Flasche.

Text: Irma Aregger
Foto: Rawpixel

Natürlich lieben wir unsere beiden Kinder, keine Frage. Wir sind ja auch schon lange miteinander verbunden, mit dem Sohnemann 22 Jahre, mit der Tochter zwanzig. Eine prägende Zeit, ein Auf und Ab der Gefühle, von himmelhochjauchzend bis zu Tode betrübt haben wir die ganze Palette durch, oder wie es der Musiker in der Familie sagt: Wir bespielten die weissen und die schwarzen Tasten auf dem Klavier.

Vor zwei Jahren ist unser Sohn aus dem Internat mitsamt dem Hausrat aus- und bei uns wieder eingezogen. Das war zuweilen eine anstrengende Zeit, mussten wir uns ja wieder ein Stück weit finden und Regeln aufsetzen, die für Junge wie auch Alte gelten, damit ein Miteinander ziemlich angenehm und harmonisch verläuft. Letzteres ist mir sehr wichtig, am liebsten hätte ich 24 Stunden Friede, Freude, Eierlikör. Aber natürlich ist das echte Leben kein rosafarbener Plüschponyhof, daher halte ich Diskussionen und Streitereien aus, weil ohne Reibung keine Spannung und spannend soll es ja sein. Keine Ahnung, auf welchem Zuckersäckli diese Weisheit stand.

Der Sohn ist also wieder in sein Reich gezogen, das ein separates Studio im Soussol unserers Hauses ist. Zwischen ihm und uns liegt noch eine ganze Wohnung. Sohnemanns Balkontüre zum Sitzplatz ist stets offen für seine heimischen Freunde, die beinahe täglich zu Besuch kommen, um zu reden. Haha, hab ich reden gesagt?

Derweil die Küche bei uns oben in der Wohnung zum regelrechten Durchgangszentrum geworden ist, vor allem zu Lockdown-Zeiten, ständig stand jemand am Herd, ok, meistens ich, aber zwischendurch die Junioren-Freunde und plötzlich kam die Idee auf, wie cool wäre es denn, wenn man eine eigene Wohnung haben könnte?

Drei junge Männer suchen eine zahlbare Mietwohnung mitten in der Stadt Zürich. Humor haben sie ja, das muss man ihnen lassen.

Nachdem der Sohn eingesehen hat, dass wir noch ein paar Jahre gedenken, hier drinnen zu bleiben, ist er in einen Wohnungsvermittlungspool eingetaucht: Drei junge Männer suchen eine zahlbare Mietwohnung mitten in der Stadt Zürich. Humor haben sie ja, das muss man ihnen lassen.

Und siehe da, tatsächlich kommt das erste Angebot. Zwei junge Studentinnen, die unseren Sohn kennen, haben ihn angefragt, ob er nicht bei ihnen einziehen möchte. Weil die Dritte im Bunde aus der Wohnung auszieht und damit ein Zimmer frei wird. Der Sohnemann überlegt – die Grundidee, mit seinen Kollegen eine WG zu gründen, flattert kurz in den Hintergrund.

Das Zimmer der zweiten Kollegin ein ziemliches Chaos – da hat unser Sohn direkt Heimatgefühle entwickelt.

Coronabedingt ist ein direktes Anschauen des Objekts nicht möglich, also schlagen sie eine visuelle Führung per Smartphone vor, auf die er sich ebenfalls mit einem Video dann bewerben soll. Weil, ist ja nicht so, dass sie auf unseren Sohn gewartet hätten, nein, da stehen schon ganz viele Interessentinnen und Interessenten auf dem virtuellen Teppich.

Die ersten Eindrücke des Rundgangs durch die Wohnung lassen dem Sohn das Herz ein wenig höher schlagen: Die Lage perfekt (weil ja nicht unwichtig, zentral soll es sein, nicht allzu weit von der Partyszene entfernt, ein Quartierlädeli für die nötigsten Einkäufe und ein Getränkemarkt in unmittelbarer Nähe, hey, was willst du mehr?), schöner Parkett, hohe Decken, das Zimmer der durch die Wohnung Führenden wird mit grossem Schrank und bester Ordnung präsentiert, das Zimmer der zweiten Kollegin ein ziemliches Chaos – da hat unser Sohn direkt Heimatgefühle entwickelt. Das dritte Zimmer, das nun zur Miete ausgeschrieben ist, doch sehr klein, aber wieviel braucht man überhaupt zum Leben?

Zweite Wohnung, zweites Glück

1200 Franken, lächelt die Hauptmieterin in die Kamera. Sohn, nicht auf den Kopf gefallen, rechnet blitzschnell: 400 für mich, mega Schnäppchen und das mitten in Zürich. Da hört er die zarte Stimme: Für jeden, das heisst 3600 Franken insgesamt und dann noch es bitzeli Nebenkosten. Dass im Kühlschrank nur Platz findet, wo Soja draufsteht und vegan drin ist, ist nur halb so schlimm, ein Filet hätte er sich eh nicht mehr leisten können.

Nun ists ja nicht so, dass in einem Wohnungs-Pool sich nur teure Exemplare herumtümmeln, nein, es gibt auch Vermieter, die ein Herz für junge Leute haben, deren Portemonnaie nicht prall gefüllt ist, die jedoch trotzdem das Elternhaus verlassen wollen. 4,5-Zimmer-Wohnung am Zürichberg, Bushaltestelle vor dem Haus, Parkplatz ebenso. Küche und Badezimmer in den 80er-Jahren renoviert, alle Zimmer mit Riemenparkett und grossen Fenstern ausgestattet, Balkönli mit Blick ins Grüne und auf andere Villen, zwischendurch flackert der See im Sonnenlicht.

Der Vermieter wohnt im Haus, ist offen und tolerant und gerade jetzt, wo alle ein wenig nach Corona gebeutelt sind, wolle er einen humanen Mietzins anbieten, weil es ja schwierig ist, etwas zu finden, das bezahlbar ist. Als mir der Sohnemann diesen Text, der über den Fotos der Wohnung gepostet wurde, vorgelesen hat, wurde es mir innerlich richtig warm: Siehst du, Gutes kommt eben zu Gutem, hab ich dem Jungen erklärt, weil ich fest der Überzeugung bin, dass es ein Karma gibt.

Mietzins 1500 Euro. Für die ganze Wohnung. Sohnemann, der Schnellrechner, sagt: 500 für jeden. Ich nicke. Dann lesen wir: Erste Anzahlung sofort, ein Link dazu ermöglicht, dass du der erste bist, wenn du direkt darauf abdrückst! Moooment, rufe ich, Euro? Und sofort bezahlen ohne Besichtigung? Das mit dem Karma muss ich nochmals überdenken.

Hau rein!

Altbauwohnung, 4 Zimmer, nichts saniert, nichts beschönigt, bietet Platz für drei Personen für drei Monate. Es ist die Chance, sagt der Junior, wenn wir den Zuschlag bekommen, ist es meine erste Wohnung. Vorübergehend, denken wir Eltern und sagen: Okay, wenns klappt, dann hau rein.

Jetzt hat er den Vertrag unterschrieben, eine charmante Wohnung nahe der Universität und gute ÖV-Verbindungen, sollte er uns mit seiner Wäsche besuchen wollen. 600 Franken pro Nase. Nach drei Monaten ist fertig lustig, weil danach die Sanierung ansteht. Aber vielleicht lässt sich diese noch ein wenig aufschieben. Oder eine neue Beherbergungsmöglichkeit steht vor der Tür. Wenn nicht, zieht er wohl wieder bei uns ein.

Irma Aregger
arbeitet als freischaffende Texterin. Die humorvolle Zürcherin mit Bündner Wurzeln kämpft abwechslungsweise mit dem eigenen Hormonhaushalt oder ihren Kindern auf Tinder, langweilig ist ihr selten.

Alle Artikel von Irma Aregger

Mehr zum Thema Pubertät

Advertorial
Sicherheit für die Kleinsten – so senken Sie das Risiko verschluckter Batterien
Verschluckt ein Kleinkind eine Knopfbatterie, kann das schlimme Folgen haben. Die neue Batterie von Duracell möchte das verhindern.
Muskeln, Macker und Maseratis
Blog
Muskeln, Macker und Maseratis
Auf Insta, TikTok und Co. torpedieren sogenannte «Manfluencer» mit viel Muskeln und wenig Hirn die Erziehung unserer Kolumnistin.
Menstruation
Erziehung
Period Positivity – die erste Mens entspannt erleben
Die einen Mädchen* werden vollkommen überrascht. Andere wünschen sie sich sehnlichst herbei. Und wieder andere haken ihre erste Periode als selbstverständliche Nebensächlichkeit ab. Gänzlich unbeeindruckt von der Tatsache, dass sie mit dem Einsetzen der Mens keine kleinen Mädchen mehr sind, sondern Frauen, die Kinder gebären könnten. Durchschnittlich 12,5 Jahre alt sind Mädchen heute in der […]
Thomas Feibel Medienexperte
Familienleben
«Hallo? So was kannst du echt nicht sagen!»
Wenn Kinder in die Rolle der Sprachpolizei schlüpfen und ihre Eltern für deren Wortwahl kritisieren, ist der Ärger vorprogrammiert.
Elternbildung
Hilfe, meine Tochter will ein Tattoo! 
Ramonas 14-jährige Tochter will ein Tattoo, ihre Mutter ist dagegen. Verbieten oder erlauben? Das sagt unser Expertenteam. 
Elternblog
«Lose yourself» oder Tschüss mit Eminem
Dies ist die letzte Kolumne von Michèle Binswanger für Fritz+Fränzi. Das Loslassen fällt ihr nicht leicht. Doch nur so können wir fliegen.
Elternblog
Nichts gehört mir mehr!
Das Leben mit Teenagern kommt bisweilen einer Enteignung gleich: Persönliches Eigentum – Fehlanzeige. Existiert im Leben einer Mutter nicht mehr.
Entwicklung
Die emotionale Stärke von Jugendlichen fördern
Das Üben von sozialen und emotionalen Fähigkeiten kann die psychische Gesundheit von Jugendlichen verbessern.
Elternblog
Das Schildkröten-Drama
Die Söhne unserer Kolumnistin wollen unbedingt einen Hund. Der vorläufige Kompromiss: Besser eine Schildkröte als gar kein Haustier.
Kinder fördern und stärken: Ein Kind lernt für die Schule
Elternbildung
Vertrauen in das Potenzial unserer Kinder
Die Interessen und Stärken der Kinder sollten in der Volksschule stärker im Zentrum stehen, findet unser Kolumnist.
Elternblog
Wann ist ein Bub ein Mann?
Unsere Kolumnistin Michèle Binswanger weiss, wie sich die Transformation von der Buben- zur Männer-Mama anfühlt.
Foto
Elternblog
Wetteifern um das perfekte Foto aus den Ferien
Unsere Kolumnistin und ihr Ex verschicken sich jeweils gegenseitig Fotos des Nachwuchses aus den Ferien. Das nimmt zuweilen groteske Züge an.
Sexualität
Erziehung
«Viele haben die Scham ihrer Eltern übernommen»
Sexualpädagogin Nadia Kohler plädiert für einen unverkrampften, ganzheitlichen Umgang mit dem Thema Sexualität. Dabei nimmt sie vor allem die Väter in die Pflicht.
Elternblog
Von Plappermäulern, bockigen Teenies und Traumprinzen
Michèle Binswanger ist entzückt: Als Tante entdeckt unsere Kolumnistin in der Kommunikation mit Kindern ganz neue Reize.
Berufswahl
Berufswahl: Wer bin ich eigentlich?
Je besser man sich kennt, desto eher findet man einen passenden Beruf. Sich selbst realistisch einzuschätzen, ist für junge Menschen allerdings nicht immer einfach.
Elternblog
«Du kannst ja die dicke Barbie daten»
Unsere Kolumnistin hat sich mit ihren Söhnen den Erfolgs-Blockbuster «Barbie» reingezogen. Das Urteil der drei fällt vernichtend aus.
Pfeiffersches Drüsenfieber
Gesundheit
Wie schlimm ist das Pfeiffersche Drüsenfieber für Teenager?
Die Viruserkrankung ist weit verbreitet und tritt vor allem bei Kleinkindern und Teenagern auf. Was Küssen bei der Übertragung für eine Rolle spielt. 
Elternbildung
Wie entwickeln sich Kinder von 13 bis 17 Jahren?
Die Pubertät ist eine Zeit der Transformation. Teenager durchlaufen zahlreiche Phasen, die ihre körperliche, kognitive und soziale Entwicklung prägen. 
Medien
Willst du das wirklich posten?
Die permanente Überwachung im Netz ist gefährlich für uns alle. Wie wir bei Kindern ein besseres Bewusstsein für das Private schaffen.
Fritz+Fränzi
Jugend in der Krise: Unser Thema im Mai
Warum immer mehr Kinder und Jugendliche psychisch erkranken – und worauf Eltern achten sollten.
Erste Liebe Teenager
Erziehung
Denk an die Kondome!
Das Kind ist zum ersten Mal verliebt. Wie fühlt sich das für Mutter und Vater an? Wie sollten sich Eltern idealerweise verhalten? Und was tunlichst unterlassen?
Elternbildung
«Noah muss es selbst ausbaden, wenn er morgens zu spät kommt»
Verleger Ronny Spiegelberg und sein Teenager-Sohn sind ein eingespieltes Team – auch was den Umgang mit stressigen Situationen angeht.
Elternbildung
«Jugendliche stehen unter hohem psychischem Druck»
Jugendforscher Klaus Hurrelmann sagt, Kinder seien noch nie so früh in die Pubertät gekommen wie heute. Das ändert die Eltern-Kind-Beziehung.
Das Glück reist mit Teil 7
Elternblog
«Das Glück reist mit:» Ein neues Zuhause in den Cevennen
Im siebten Teil unserer Reiseserie verliebt sich die Familie in ein Haus in Frankreich, es gibt ein grosses Wiedersehen und eine unerwartete Nachricht stellt alles auf den Kopf.
Monatsinterview mit Kinder- und Jugendpsychiater Michael Schulte-Markwort Februar 2023
Gesellschaft
«Man kann die Persönlichkeit eines Kindes nicht verändern»
Psychiater Michael Schulte-Markwort über ­gestresste Mütter, ambitionierte Väter und Kinder, die sich in der Pubertät der Welt verweigern.