Der Sohn zieht aus – oder doch nicht?!
«Mama», sagt der Sohn, «auch wenn es für dich schwer wird, ich ziehe aus.» Mit 22 Jahren sei die Zeit reif für einen Neustart im eigenen Leben. Wo er recht hat, hat er recht, finden wir Eltern und entkorken schon mal die erste Flasche.
Natürlich lieben wir unsere beiden Kinder, keine Frage. Wir sind ja auch schon lange miteinander verbunden, mit dem Sohnemann 22 Jahre, mit der Tochter zwanzig. Eine prägende Zeit, ein Auf und Ab der Gefühle, von himmelhochjauchzend bis zu Tode betrübt haben wir die ganze Palette durch, oder wie es der Musiker in der Familie sagt: Wir bespielten die weissen und die schwarzen Tasten auf dem Klavier.
Vor zwei Jahren ist unser Sohn aus dem Internat mitsamt dem Hausrat aus- und bei uns wieder eingezogen. Das war zuweilen eine anstrengende Zeit, mussten wir uns ja wieder ein Stück weit finden und Regeln aufsetzen, die für Junge wie auch Alte gelten, damit ein Miteinander ziemlich angenehm und harmonisch verläuft. Letzteres ist mir sehr wichtig, am liebsten hätte ich 24 Stunden Friede, Freude, Eierlikör. Aber natürlich ist das echte Leben kein rosafarbener Plüschponyhof, daher halte ich Diskussionen und Streitereien aus, weil ohne Reibung keine Spannung und spannend soll es ja sein. Keine Ahnung, auf welchem Zuckersäckli diese Weisheit stand.
Der Sohn ist also wieder in sein Reich gezogen, das ein separates Studio im Soussol unserers Hauses ist. Zwischen ihm und uns liegt noch eine ganze Wohnung. Sohnemanns Balkontüre zum Sitzplatz ist stets offen für seine heimischen Freunde, die beinahe täglich zu Besuch kommen, um zu reden. Haha, hab ich reden gesagt?
Derweil die Küche bei uns oben in der Wohnung zum regelrechten Durchgangszentrum geworden ist, vor allem zu Lockdown-Zeiten, ständig stand jemand am Herd, ok, meistens ich, aber zwischendurch die Junioren-Freunde und plötzlich kam die Idee auf, wie cool wäre es denn, wenn man eine eigene Wohnung haben könnte?
Drei junge Männer suchen eine zahlbare Mietwohnung mitten in der Stadt Zürich. Humor haben sie ja, das muss man ihnen lassen.
Nachdem der Sohn eingesehen hat, dass wir noch ein paar Jahre gedenken, hier drinnen zu bleiben, ist er in einen Wohnungsvermittlungspool eingetaucht: Drei junge Männer suchen eine zahlbare Mietwohnung mitten in der Stadt Zürich. Humor haben sie ja, das muss man ihnen lassen.
Und siehe da, tatsächlich kommt das erste Angebot. Zwei junge Studentinnen, die unseren Sohn kennen, haben ihn angefragt, ob er nicht bei ihnen einziehen möchte. Weil die Dritte im Bunde aus der Wohnung auszieht und damit ein Zimmer frei wird. Der Sohnemann überlegt – die Grundidee, mit seinen Kollegen eine WG zu gründen, flattert kurz in den Hintergrund.
Das Zimmer der zweiten Kollegin ein ziemliches Chaos – da hat unser Sohn direkt Heimatgefühle entwickelt.
Coronabedingt ist ein direktes Anschauen des Objekts nicht möglich, also schlagen sie eine visuelle Führung per Smartphone vor, auf die er sich ebenfalls mit einem Video dann bewerben soll. Weil, ist ja nicht so, dass sie auf unseren Sohn gewartet hätten, nein, da stehen schon ganz viele Interessentinnen und Interessenten auf dem virtuellen Teppich.
Die ersten Eindrücke des Rundgangs durch die Wohnung lassen dem Sohn das Herz ein wenig höher schlagen: Die Lage perfekt (weil ja nicht unwichtig, zentral soll es sein, nicht allzu weit von der Partyszene entfernt, ein Quartierlädeli für die nötigsten Einkäufe und ein Getränkemarkt in unmittelbarer Nähe, hey, was willst du mehr?), schöner Parkett, hohe Decken, das Zimmer der durch die Wohnung Führenden wird mit grossem Schrank und bester Ordnung präsentiert, das Zimmer der zweiten Kollegin ein ziemliches Chaos – da hat unser Sohn direkt Heimatgefühle entwickelt. Das dritte Zimmer, das nun zur Miete ausgeschrieben ist, doch sehr klein, aber wieviel braucht man überhaupt zum Leben?
Zweite Wohnung, zweites Glück
1200 Franken, lächelt die Hauptmieterin in die Kamera. Sohn, nicht auf den Kopf gefallen, rechnet blitzschnell: 400 für mich, mega Schnäppchen und das mitten in Zürich. Da hört er die zarte Stimme: Für jeden, das heisst 3600 Franken insgesamt und dann noch es bitzeli Nebenkosten. Dass im Kühlschrank nur Platz findet, wo Soja draufsteht und vegan drin ist, ist nur halb so schlimm, ein Filet hätte er sich eh nicht mehr leisten können.
Nun ists ja nicht so, dass in einem Wohnungs-Pool sich nur teure Exemplare herumtümmeln, nein, es gibt auch Vermieter, die ein Herz für junge Leute haben, deren Portemonnaie nicht prall gefüllt ist, die jedoch trotzdem das Elternhaus verlassen wollen. 4,5-Zimmer-Wohnung am Zürichberg, Bushaltestelle vor dem Haus, Parkplatz ebenso. Küche und Badezimmer in den 80er-Jahren renoviert, alle Zimmer mit Riemenparkett und grossen Fenstern ausgestattet, Balkönli mit Blick ins Grüne und auf andere Villen, zwischendurch flackert der See im Sonnenlicht.
Der Vermieter wohnt im Haus, ist offen und tolerant und gerade jetzt, wo alle ein wenig nach Corona gebeutelt sind, wolle er einen humanen Mietzins anbieten, weil es ja schwierig ist, etwas zu finden, das bezahlbar ist. Als mir der Sohnemann diesen Text, der über den Fotos der Wohnung gepostet wurde, vorgelesen hat, wurde es mir innerlich richtig warm: Siehst du, Gutes kommt eben zu Gutem, hab ich dem Jungen erklärt, weil ich fest der Überzeugung bin, dass es ein Karma gibt.
Mietzins 1500 Euro. Für die ganze Wohnung. Sohnemann, der Schnellrechner, sagt: 500 für jeden. Ich nicke. Dann lesen wir: Erste Anzahlung sofort, ein Link dazu ermöglicht, dass du der erste bist, wenn du direkt darauf abdrückst! Moooment, rufe ich, Euro? Und sofort bezahlen ohne Besichtigung? Das mit dem Karma muss ich nochmals überdenken.
Hau rein!
Altbauwohnung, 4 Zimmer, nichts saniert, nichts beschönigt, bietet Platz für drei Personen für drei Monate. Es ist die Chance, sagt der Junior, wenn wir den Zuschlag bekommen, ist es meine erste Wohnung. Vorübergehend, denken wir Eltern und sagen: Okay, wenns klappt, dann hau rein.
Jetzt hat er den Vertrag unterschrieben, eine charmante Wohnung nahe der Universität und gute ÖV-Verbindungen, sollte er uns mit seiner Wäsche besuchen wollen. 600 Franken pro Nase. Nach drei Monaten ist fertig lustig, weil danach die Sanierung ansteht. Aber vielleicht lässt sich diese noch ein wenig aufschieben. Oder eine neue Beherbergungsmöglichkeit steht vor der Tür. Wenn nicht, zieht er wohl wieder bei uns ein.