Wann ist ein Bub ein Mann?
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Wann ist ein Bub ein Mann?

Lesedauer: 2 Minuten

Unsere Kolumnistin Michèle Binswanger weiss, wie sich die Transformation von der Buben- zur Männer-Mama anfühlt.

Text: Michèle Binswanger
Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren

Sie stehen jetzt in unserem Schuhgestell: schwere, braune Militärschuhe. Gleich nach der Aushebung hat der Sohn sie aus dem Zeughaus geholt – und zwar mit einiger Begeisterung. Dabei hatte er vor der Aushebung noch verkündet, etwas anderes als Zivildienst komme für ihn nicht infrage, da gebe es nichts daran zu rütteln. Irgendwas hat nun aber offenbar doch an ihm gerüttelt. Jedenfalls zieht er ernsthaft in Betracht, die Rekrutenschule zu absolvieren.

Wird mein Bub im Militär zum Mann?

Manche meiner Freundinnen runzeln die Stirn, wenn ich davon erzähle. «Militär?», sagen sie. «Dort lernen sie zu töten.» Und tatsächlich erläuterte mir der Sohn auch gleich nach der Aushebung gut gelaunt, die Truppe, bei der er eingeteilt sei, würde im Ernstfall als Erstes fallen. Ich musste leer schlucken. Aber ich sah noch etwas anderes. Dass mein Sohn sich auf einer Ebene abgeholt fühlt, auf die ich als Mutter niemals Einfluss haben werde. Da wurde irgendeine Saite in ihm zum Klingen gebracht, die ich zuvor nicht kannte – und die ich trotzdem respektieren muss.

Wird mein Bub dort zum Mann? Ist es das, was er sucht? Wenn ich bloss wüsste, wie das mit dem Mannwerden funktioniert. Aber in meiner Kindheit gab es keine Männer, die ich dabei hätte beobachten können, nur drei Schwestern. Später lernte ich die Männer als romantisches Gegenüber kennen, aber auch das reicht irgendwie nicht, um zu verstehen, was einen Mann zum Mann macht. 

Die andere Welt der Buben

Als ich nach meiner erstgeborenen Tochter auch einen Sohn zur Welt ­brachte, fragte ich mich etwas bang, wie denn das jetzt werden würde. Wie ich mit einem männlichen Wesen unter meiner Verantwortung zurechtkommen würde. Ob es sehr anders wäre als mit einem Mädchen. 

Ein wenig anders war es schon. Schon im Mutterleib bewegte er sich so heftig, dass er kaum auf Ultraschall zu bannen war. Noch bevor er ein Wort sprach, schien er schon präzise verschiedene Kategorien von Motorfahrzeugen zu unterscheiden, besonders jene, die auf Baustellen anzutreffen waren.

Dann kam seine Waffenphase als Vierjähriger: Sonst ein höchst sensibles Kind, beherbergte er in seinem Zimmer plötzlich ein Waffenarsenal mit Pistolen, Gewehren, Schwertern, Morgensternen und Dreizacks. Zum Einschlafen schmiegte er sich gern an Schild und Holzpistole, was mir etwas seltsam vorkam; zum Glück verflüchtigte sich der Waffenfimmel bald wieder.

Ich beobachte die Entwicklung meines Sohnes mit einer Mischung aus Staunen, Befremden und Faszination – und meine eigene auch.

Im Verlauf seiner Kindheit lernte ich, dass Buben tatsächlich etwas anders sind. Zum Beispiel scheinen sie mit Vorliebe mit den Zähnen voraus in den Randstein zu fräsen, mit dem Schlitten durch den Stacheldraht zu rasen oder rücklings vom Hochbett zu donnern. Ich lernte, dass man sich als Bubenmutter an so was wohl gewöhnen muss.

Und jetzt also das Militär. Wieder beobachte ich die Entwicklung mit einer Mischung aus Staunen, Befremden und Faszination. Und zwar nicht nur die Entwicklung des Sohnes, sondern auch meine eigene. Früher hätte ich das wohl so schlimm gefunden wie meine Freundinnen. Heute habe ich dafür Verständnis.

Wann wird ein Bub ein Mann – ich weiss es nicht. Aber ich sehe, dass mein Bub auf diesem Weg bald angekommen ist und er es gut macht. Das macht mein Mutterherz stolz – selbst wenn es dazu das Militär brauchen sollte.

Michèle Binswanger
Die studierte Philosophin ist Journalistin und Buchautorin. Sie schreibt zu Gesellschaftsthemen, ist Mutter zweier Kinder und lebt in Basel.

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