Erste Hilfe bei Zahnunfällen - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Erste Hilfe bei Zahnunfällen

Lesedauer: 4 Minuten

Selbst Bagatellunfälle an den Zähnen können Komplikationen nach sich ziehen. Deshalb ist es wichtig, schnell und richtig zu handeln. Wir verraten, wie.

Die achtjährige Jessica hat bei einem Sturz mit dem Velo ihr Kinn heftig am Lenker angeschlagen. «Sie hat sich die Lippe aufgebissen, was stark geblutet hat», erzählt ihre Mutter, «und zwei Vorderzähne waren auch draussen!» Die Eltern fuhren sofort in die Notfallstation. Als die Wunde versorgt war, sprach der Notfallarzt mit einem Zahnarzt, weil Jessica vorne schon bleibende Zähne hat. Die ausgeschlagenen Zähne hatte der Vater in Milch eingelegt und mitgenommen. Der Zahnarzt konnte sie so direkt wieder einsetzen.

Jessicas Eltern haben bei der Erstversorgung ihrer Tochter alles richtig gemacht: die Wunde mit einer Mullbinde abgepresst und die Zähne in eine «physiologische», also körperähnliche Lösung gelegt. Durch eine falsche Handhabung wäre die Oberflächenstruktur der Zähne kaputtgegangen, was ein Wiedereinsetzen verunmöglicht hätte. Jessicas wieder eingesetzte Zähne werden noch für einige Zeit mit einer Schiene stabil gehalten. Wie es aussieht, wird sie keine Langzeitfolgen davontragen.

Herausgeschlagene Zähne muss man in Milch oder Speichel transportieren.

Ausgeschlagene bleibende Zähne? Sofort zum Zahnarzt!

«Grössere Kinder, die wegen eines Zahnunfalls mit bleibenden Zähnen in den Notfall kommen, sind meistens mit dem Velo gestürzt oder im Schwimmbad ausgerutscht», sagt Zahnarzt Hubertus van Waes von der Klinik für Kieferorthopädie und Kinderzahnmedizin in Zürich und Leiter der Zürcher Schulzahnklinik.

Wenn bei einem Unfall bleibende Zähne ausgeschlagen werden, gilt es, richtig zu handeln: «Sofort zum Zahnarzt gehen», sagt van Waes. «Wenn möglich sollten die Zähne noch am Unfallort wieder eingesetzt werden.» Falls das nicht geht, den Zahn in Milch oder in einem Plastiksäcklein mit etwas Speichel transportieren. Auf keinen Fall Alkohol oder Desinfektionsmittel dafür verwenden und den Zahn auch nicht einfach in die Hosentasche stecken. Kann ein Zahn replantiert werden, wird er rund zwei Wochen mit einer Schiene fixiert. Den Rest erledigt die Natur.

Zu Zahnunfällen bei kleineren Kindern kommt es oft, weil sie stolpern, fallen und gegen eine Kante schlagen. Typisch sind gemäss van Waes auch «Knochenbrüche im Gesicht und ausgeschlagene Zähne». Je nach Unfall können sich die Zähne auch lockern, verschieben oder werden hineingeschlagen.

Bei herausgeschlagenen Milchzähnen ist ein Artzbesuch nicht am gleichen Tag nötig, denn diese werden nicht wieder eingesetzt, da dies die bleibenden Zähne beim Durchbrechen behindern könnte. Mit einer Zahnlücke wegen ausgeschlagener Milchzähne haben Kinder keine Probleme, weiss van Waes.

«Sie können sich gut anpassen.» Die obere Frontreihe sei kein Problem, bei der unteren Frontreihe könne es vorkommen, dass ein Kind lisple. «Bei einer Spange setzen wir deshalb manchmal einen Ersatzzahn ein.»

Wegen möglicher Folgeschäden sind Zahnunfälle immer der Versicherung zu melden.

Sind Milchzähne jedoch verschoben, muss man sofort zum Zahnarzt, damit der Zahn an seine Position zurückgeschoben werden kann, so Hubertus van Waes. «Dies ist nur gleichentags möglich.» Hat ein Kind starke Schmerzen oder kann nicht mehr beissen, gilt das ebenfalls. Zahnunfälle seien immer der Versicherung zu melden, betont van Waes, denn Folgeschäden sehe man oft erst Jahre später. «Die obligatorische Grundversicherung deckt bei Kindern die entstehenden Kosten.»

Kinder und Jugendliche gut überwachen

Zahnverletzungen selber bluten kaum. Wird aber die Zunge oder die Lippe verletzt, blutet es stark. Die Wunden müssen mit Kompressen oder sauberen Tüchern bedeckt und komprimiert werden. Brüche der Mittelgesichtsknochen sind laut Professor Martin Rücker, Direktor der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie am Universitätsspital Zürich, bei Kindern selten. «Die Knochenhaut ist dicker und der Knochen noch weicher.» Beim Sturz aufs Kinn, was häufig bei Velo-, Roller- oder Rollschuhunfällen passiere, könne aber durchaus zum Beispiel der Gelenkfortsatz des Unterkiefers brechen.

Abhängig vom Bruchverlauf kommt eine konservative – in erster Linie mit weichem Essen entlastende – oder eine operative Behandlung in Frage. Endoskopisch unterstützte Techniken erlauben hier Operationen ohne äusserlich sichtbare Narben. «Je früher ein solcher Bruch operativ versorgt wird, desto besser», sagt Martin Rücker.

Der leitende Arzt der Klinik, Harald Essig, erklärt, dass sie in diesem Bereich mit computerassistierter Chirurgie arbeiteten. So könne er die Operation simulieren und Implantate massanfertigen. «Fehlt ein Zahn, kann er zunächst provisorisch und dann nach Abschluss des Wachstums definitiv ersetzt werden – also bei Mädchen allerfrühestens mit etwa 16 Jahren, bei Jungen zwei Jahre später.»

Kieferchirurg Rücker empfiehlt, alle Kinder mit Verletzungen im Mundbereich auch hinsichtlich eines Schädel-Hirn-Traumas zu überwachen und je nach Sturz abzuklären, ob die Halswirbelsäule verletzt sei. Und: «Bei offenen Wunden braucht es eine Impfung gegen Wundstarrkrampf.»

Wo lauern Gefahren?

Als Risikosportarten nennt Rücker zuerst Fussball. «Es ist eine häufige Sportart, man bekommt schnell einmal einen Ellbogen ins Gesicht.» Ebenfalls weit oben rangieren Pferdeunfälle. Harald Essig erklärt: «Wenn Pferde den Kopf schnell drehen, kann dies sehr heftig sein.»

Risikobehaftet sind auch Eishockey, Boxen, Mountainbiken oder «aggressive» Mannschftssportarten wie Rugby. «Bei diesen Sportarten tragen heute aber alle einen Schutz», sagt Harald Essig. «Idealerweise wird dieser individuell von einem Spezialisten angepasst.»

Doch Zahnarzt van Waes und die beiden Kieferchirurgen relativieren diese Gefahren, denn die meisten Zahnunfälle passieren im normalen Alltag.

Was zu tun ist …

… bei Unfällen mit bleibenden Zähnen

  • Abgebrochene Zähne: Je mehr abgebrochen ist, desto dringender die Behandlung.
  • Gelockerte Zähne: Behandlung dringend, der Zahn muss eventuell fixiert werden.
  • Verschobene Zähne: Behandlung dringend, der Zahn sollte an seinen Platz gerückt werden.
  • Hineingeschlagene Zähne: Dringende Behandlung, den Zahn an seine Position zurückbringen.
  • Herausgeschlagene Zähne: Sofort zum Zahnarzt! Dort wenn möglich Zahn replantieren. Zahn am besten in einer Zahnrettungsbox in Milch oder Speichel transportieren. Zahn bei sichtbarer Verschmutzung kurz unter fliessendem Wasser abspülen, auf keinen Fall abreiben.
  • … bei Unfällen mit Milchzähnen

    • Abgebrochene Zähne: Innert Tagen zum Zahnarzt.
    • Gelockerte Zähne: Behandlung ist nicht dringend.
    • Verschobene Zähne: Möglichst sofort zum Zahnarzt, damit der Zahn wieder an seinen Platz gedrückt werden kann.
    • Herausgeschlagene Zähne: Ausgeschlagene Milchzähne werden nicht replantiert, innert Tagen zum Zahnarzt gehen.
    • Hineingeschlagene Zähne: Behandlung ist selten nötig, aber Zahnarzt informieren wegen hohem Folgeschäden-Risiko für bleibenden Zahn!

    … in jedem Fall

    • Jeden Zahnunfall sofort dem Zahnarzt melden.
    • Was ist passiert, wann, wie, wo?
    • Alter des Kindes?
    • Milch- oder bleibende Zähne betroffen?
    • Zahnunfälle immer der Versicherung melden! Auch Bagatellunfälle können Komplikationen nach sich ziehen.

    Quelle und weitere Informationen: www.dent.uzh.ch

    Petra Seeburger
    ist Intensivpflegefachfrau, Journalistin und Kommunikationsspezialistin. Sie arbeitet seit 30 Jahren im Gesundheitswesen.

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