Nach Unfall im Rollstuhl: «Ich will mich zurück ins Leben stürzen»
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Nach Unfall im Rollstuhl: «Ich will mich zurück ins Leben stürzen»

Lesedauer: 2 Minuten

Seit einem Motorradunfall im vergangenen Jahr ist Fabian Kappeler, 17, aus Matzingen TG querschnittgelähmt. Statt mit seinem Schicksal zu hadern, blickt er optimistisch in die Zukunft.

Aufgezeichnet von Virginia Nolan
Bild: Filipa Peixeiro / 13 Photo

Es war der 9. November 2023 und kurz vor sieben Uhr morgens, als ich auf dem Weg zur Berufsschule in einer Kurve vom Motorrad geflogen und gegen einen Baum geprallt bin. Als ich erwachte, suchte ich meine Beine. Ich erblickte sie, kniff hinein, spürte nichts. Aus meiner Erfahrung in der Jugendfeuerwehr wusste ich: Da stimmt was nicht. Ich rief meinen besten Kollegen an, der wenig später an der Unfallstelle eintraf und den Notruf verständigte.

Der Helikopter kam, dann verblassen meine Erinnerungen bis zum Morgen des Folgetags, an dem ich erwachte und feststellte, dass ich nicht aufstehen konnte. Es gab nicht diesen einen grossen Moment, in dem man mir eröffnete, ich sei querschnittgelähmt – ich merkte es selbst. Rund zehn Tage nach meinem Unfall ging es ins Paraplegiker-Zentrum nach Nottwil. Mehrere Monate habe ich hier verbracht, jetzt steht der Austritt an.

Mit dem Rollstuhl begann ein anderes Leben

Ich bin optimistisch, was meine Lage betrifft, und nie in ein Loch gefallen. Es geht mir psychisch gut. Ich war immer ein positiver Mensch, der eher das Gute sieht. In der jetzigen Situation ist das nicht selbstverständlich, ich weiss. Ich lernte hier einige Leute kennen, die mit ihrem Schicksal hadern. Bei mir war es eher ein Umgewöhnen. Sicher, als sie zum ersten Mal den Rollstuhl brachten, wurde mir noch mal bewusst, wie sehr sich mein Leben verändert hat. Mit dem Rollstuhl hatte ich den Dreh bald raus – wie man sich vorwärtsbewegt, ohne die Hände zu belasten, Positionen so variiert, dass sich keine Druckstellen bilden.

Woher ich meine Zuversicht nehme? Meine Kollegen geben mir Kraft, die machen alles leichter.

Die grösste Herausforderung war am Anfang der Umgang mit dem Katheter und den Darmfunktionen, die man nicht mehr spürt. Ich war kurz unsicher, wie ich das in den Griff bekommen sollte, aber mittlerweile geht es von alleine. Das ist auch die Idee: dass ich mein Leben wieder selbständig in die Hand nehme, wenn ich zu Hause bin. An der Wohnung mussten wir nicht viel ändern, sie war vorher schon barrierefrei. Nur das Bad wurde leicht umgebaut. Woher ich meine Zuversicht nehme? Meine Kollegen geben mir Kraft, die machen alles leichter.

Am Anfang waren alle geschockt. Mein bester Kollege, der schon auf der Unfallstelle war, hat mich jedes Wochenende besucht, auch die anderen sind für mich da. Sie haben mich wieder gut aufgenommen, ich gehöre dazu, Rollstuhl hin oder her. Drei Tage nach meinem Austritt steht die erste gemeinsame Party an. Ich kann es kaum erwarten – das gilt auch für mein Zuhause, die Familie, Mamas Rüeblisalat.

Im August werde ich dann für einige Wochen nach Nottwil zurückkehren: Die berufliche Reintegration steht an. Meine Lehre als Automobilfachmann kann ich nicht fortsetzen. In welche Richtung es geht, weiss ich noch nicht. Sicher aber ist: Ich will mich wieder voll ins Leben stürzen – so, wie es vorher war.

Virginia Nolan
ist Redaktorin, Bücherwurm und Wasserratte. Sie liebt gute Gesellschaft, feines Essen, Tiere und das Mittelmeer. Die Mutter einer Tochter im Primarschulalter lebt mit ihrer Familie im Zürcher Oberland.

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