«Eines kann ich: die Guten erkennen»
Zweifachmama Marissa lernte schon als Kind, mit Widrigkeiten umzugehen. Auch als Erwachsene stand sie vor grossen Herausforderungen. Entscheidend sei, die richtigen Vertrauenspersonen zu finden.
Für HR-Coach Marissa, 44, aus Zürich ist Resilienz keine Zauberkraft, die wir allein aus uns selbst schöpfen. Entscheidender sei es, auf die richtigen Menschen zählen zu können, sagt die Frau von Industriedesigner Lionel, 44, und Mutter von Rian, 8, und Julian, 6.
Ich empfinde mich selbst nicht als extrem belastbar. Wenn ich pro Tag mehr als zwei Termine jonglieren muss, ist die Luft draussen. Oder die Gewissenskonflikte am Wochenende: Soll ich zu meiner Mutter ins Pflegeheim oder Zeit mit Lionel und den Buben verbringen? Dinge gehen nicht spurlos an mir vorbei. Ausdauer ist zudem nicht meine Stärke: Ich war in allem, was ich tat, immer schnell – oft vorschnell. Probleme wollte ich sofort lösen.
Das hat sich mit meiner Brustkrebsdiagnose geändert. Ich war 37 und schwanger. Da habe ich zum ersten Mal im Leben Tempo rausgenommen, gesagt: Stopp, jetzt ist Besonnenheit angesagt. Für mich bedeutete dies, mich möglichst umfassend zu informieren. Bei dem Takt, den das Spital vorgab, blieb dafür keine Zeit.
Meine Mutter hat mir etwas Wichtiges mitgegeben: das Wissen um meine Stärken.
Marissa
Ich aber wusste: Damit ich gesund werden kann, brauche ich Leute, die auf mich eingehen. Ich wandte mich an unsere Hebamme und den Kinderarzt. Sie vermittelten mir Kontakte, die dazu führten, dass ich meine Behandlung anderswo fortsetzte. Einmal nahm mich eine Ärztin beiseite, deren Worte ich nie vergass: Sie sagte, ich allein sei Kapitänin auf diesem Schiff – und den Dingen nicht einfach ausgeliefert.
Ich habe diese Handlungsfähigkeit genutzt, bin umhergereist, um Meinungen einzuholen. Meine Ärztin hörte sich offen alles an, gab mir Zeit, um Entscheidungen so zu treffen, dass ich dahinterstehen konnte. Ohne sie hätte ich alles – die Operationen, die Chemotherapien – nicht so gut überstanden. Auch nicht ohne Lionel und seine unerschütterliche Zuversicht.
Wichtige Vertrauenspersonen stärken die Resilienz
Ich wurde oft gefragt, woher ich die Kraft nehme, so positiv zu sein. Alle Stationen, die für meine Genesung entscheidend waren, verdanke ich Vertrauenspersonen, die mir den Weg dorthin wiesen. Ich bin an die richtigen Menschen gelangt. Das war schon immer so. Eines kann ich: die Guten erkennen. Und ich hatte im Umgang mit Widrigkeiten etwas Übung. Ich war als Kind starke Asthmatikerin und schwere Allergikerin, hatte zweimal einen lebensbedrohlichen anaphylaktischen Schock.
Zu Hause liefs auch nicht reibungslos. Unser Vater, im Grunde ein lieber Mensch, hatte Ausbrüche, wenn er trank. Dann gab es heftigen Streit zwischen meinen Eltern. Manchmal fuhr meine Mutter mit uns mitten in der Nacht zur Oma. Mein Vater wurde nie handgreiflich, bis zum Tag, der dazu führte, dass meine Schwester, meine Mutter und ich eine Zeit lang im Frauenhaus lebten. Trotzdem hatte ich eine glückliche Kindheit. Da war so viel Lebensfreude! Ich schöpfte sie aus meinen Freundschaften, unzähligen freien Nachmittagen mit anderen Kindern, der konstanten, liebevollen Beziehung zu meiner Mutter.
Meine Mutter hat mir etwas Wichtiges mitgegeben: das Wissen um meine Stärken. Sie kannte uns gut und sorgte dafür, dass wir uns selbst gut kennenlernten. Etwa durch ihre Ermutigung, sich selbst ehrlich zu begegnen. Nach einem Streit mit anderen tröstete sie uns, zeigte aber auch Gegenperspektiven auf. Meine Mutter war immer da. Sie wusste um mein flatterhaftes Wesen, den Hang zu spontanen Einfällen, die mich zuweilen von Beständigkeit abhielten. Sie sagte: Wenn es drauf ankommt, bist du stark. Diese Botschaft hatte ich immer im Ohr.
Unseren Söhnen das Urvertrauen zu vermitteln, dass sie gut sind und es gut kommt – das ist für Lionel und mich das Wichtigste.