«Die Kinder sollen wissen, dass sie wertvoll sind»
Sophie erlebte eine schwierige Kindheit und hätte als Teenager gut auf die schiefe Bahn gelangen können. Die Fernsehtechnikerin erzählt, was ihr Halt gegeben hat und wofür sie dankbar ist.
Fernsehtechnikerin Sophie, 40, lebt mit ihrem Mann Thomas, 36, Techniker, Noah, 15, und Lias, 6, in Spreitenbach AG. Ihren Söhnen will sie das mitgeben, was ihr als Kind so sehr fehlte.
Den Begriff ‹resilient› kannte ich nicht, bis mich eine Freundin so charakterisierte, als es in einem Spiel darum ging, Stärken des Gegenübers zu benennen. Ich hatte in meiner Jugend, wenn man so will, ideale Voraussetzungen, um auf die schiefe Bahn zu geraten. Warum es anders gekommen ist, kann ich mir nicht abschliessend erklären.
Aufgewachsen bin ich als Kind strenggläubiger Eltern. Sie waren Mitglieder einer Freikirche, in der ich von klein auf meine Freizeit verbrachte. In der Schule hatte ich keinen Anschluss: Da wurde ich gemieden, geplagt oder ausgelacht. Als ich zwölf war, liessen sich meine Eltern scheiden, was dazu führte, dass die Kirche gleich die ganze Familie rausschmiss.
Für Eltern, denen die Hand ausrutscht, weil sie selbst nichts anderes kannten, habe ich kein Verständnis.
Mein Freund, Sohn des Predigers, brach mit mir und auch in der Jungschar, wo ich kurz davor war, Gruppenleiterin zu werden, war ich nicht mehr willkommen. Durfte ich zuvor keine weltlichen Kontakte haben, hatte ich nun gar kein Umfeld mehr. Es war, als hätte man mir den Boden unter den Füssen weggezogen.
Ich hangelte mich von einem Tag zum nächsten, an die Zukunft dachte ich nie. Die Mutter verschwand, bis sie nach Monaten wieder auftauchte. Sie hatte inzwischen ein starkes Alkoholproblem, war unbeständig und kam oft nicht nach Hause. Dann sprang öfter unsere Grossmutter ein. Sie hat vermutlich dazu beigetragen, dass ich mich selbst nicht verlor.
Was, wenn ich so würde wie meine Mutter?
Ich lief als Teenager ein paarmal von zu Hause weg, öfters ging ich zur Polizei, weil meine betrunkene Mutter uns attackiert hatte. Ich startete eine Lehre, die ich verlor, zog von zu Hause aus, bevor ich 18 wurde. Ich arbeitete in einem Fastfood-Restaurant und absolvierte nebenher die Ausbildung zur Video-Editorin. Dann zog ich für zwei Jahre nach Deutschland, arbeitete im Verkauf und machte Praktika beim Fernsehen. Anschliessend kam ich zurück in die Schweiz und blieb in der Branche.
Mit 25 wurde ich Mutter von Noah. Kurz vor seiner Geburt hatte ich Angst: Was, wenn ich so würde wie meine Mutter? Oder cholerisch wie mein Vater? Dann sagte eine Freundin: Du weisst, was du nicht willst – dann wird es auch nicht passieren. Das beruhigte mich ungemein. Für Eltern, denen die Hand ausrutscht, weil sie selbst nichts anderes kannten, habe ich kein Verständnis. Wir haben unseren Verstand, um solche Muster zu durchbrechen.
Ich lernte in den Jahren, in denen ich auf mich gestellt war, mir selbst zu helfen und mich gut einzuschätzen.
Meine Kinder sollen wissen, dass sie wertvoll sind – ich vermittle es ihnen mit alltäglichen Kleinigkeiten, die Wertschätzung ausdrücken. Ich bin dankbar für meine Söhne, meinen Mann und unsere Patchworkfamilie, zu der auch Noahs Papa gehört.
Ich hatte Glück. Ich lernte in den Jahren, in denen ich auf mich gestellt war, mir selbst zu helfen und mich gut einzuschätzen. Darüber bin ich froh, gerade wenn ich sehe, wie Menschen von sogenannten Life-Coaches abgezockt werden. Aber alles hat eine Kehrseite: So bin ich zwar hart im Nehmen, kann aber nicht stolz auf mich sein – ich kenne das Gefühl nicht. Ich bin höchstens erstaunt über das, was ich erreicht habe. Neuerdings gebe ich mir auch mal einen Ruck und sage: Hey, das ist doch so einiges!