«Mir ist viel Gutes widerfahren»
Moreno Isler, 22, ist in der Lehre zum Fachmann Betreuung. Mit 14 stellten erst eine Krebsdiagnose, dann die Folgen der Behandlung sein Leben auf den Kopf.
Mit 14 Jahren erkrankte ich an Krebs. Es hiess, mein Hirntumor sei vorgeburtlich angelegt gewesen. Als ich 11 war, hatte er angefangen, sich bemerkbar zu machen. Als Ursache für Kopfschmerzen und Übelkeit wurden zunächst Folsäuremangel, Magenbeschwerden, die Pubertät oder Umzugsstress vermutet. Erst eine Gesichtslähmung führte zum Befund.
Meine Mutter sagte, ich müsse nun ins Spital. Dann mache ich das, dachte ich: operieren und gut ist. Gut war, dass ich nicht wusste, was auf mich zukam: drei Operationen – die längste dauerte elf Stunden –, eineinhalb Jahre Behandlung mit mehreren Zyklen an Chemotherapie und Bestrahlung.
Ich musste mich in Geduld üben, die ich heute als meine Stärke betrachte.
Als all das hinter mir lag, spürte ich mich nicht mehr – ich finde keine anderen Worte für den Zustand damals. Ich hatte viel verpasst, musste die erste Sek wiederholen. Man wollte mir Zeit geben, um mich einzufinden. Was rückblickend das Richtige war, konnte ich damals nur schwer verstehen. Ich war 15, meine Klassenkameraden 13, und meine alten Freunde beschäftigten Themen, die an mir vorbeigegangen waren.
Eine Stütze für andere
Vor der Krankheit war ich sehr sportlich gewesen, jetzt ging nicht mal mehr Velo fahren. Durch die Bestrahlung war mein Sehnerv beeinträchtigt worden, dazu kamen ein Hörverlust, Tinnitus, motorische Probleme und eine verminderte Gedächtnisleistung. Letztere konnte ich inzwischen mit Training aufholen.
Ich wollte das alles nicht: keine Brille, keine Hörgeräte, keinen Haarverlust. Zudem stellte sich heraus, dass meine Nebennierenrinde und Schilddrüse Schaden erlitten hatten, die Ausschüttung lebenswichtiger Hormone beeinträchtigt war. Bis jetzt muss ich viele davon spritzen oder in Tablettenform einnehmen.
Ich lernte, den Fokus auf anderes zu lenken, wenn Angst und Schmerz mich zu überfluten drohten.
Heute arbeite ich mit psychisch beeinträchtigten Menschen. Ich stehe fest im Leben, kann anderen eine Stütze sein. Die Erfahrung, dass es aus dem tiefsten Tal wieder aufwärtsgeht, hat mich gelehrt, den Blick aufs Positive zu richten. Die Haltung habe ich mir erarbeiten müssen. Ich musste mich in Geduld üben, die ich heute als meine Stärke betrachte. Ich verbrachte Stunden mit Warten – auf Ärzte, Befunde, das Ende jeder schmerzhaften Therapie. Ich lernte, in Gedankenwelten abzutauchen, den Fokus auf anderes zu lenken, wenn Angst und Schmerz mich zu überfluten drohten.
Meine grösste Stütze war meine Familie, die immer da war, an mich glaubte und mich ermutigte. Auch mein Kater Charly war sehr wichtig für mich. Zudem hatte ich während der Therapiezeit einen Mentor. Er hatte als Kind die gleiche Diagnose und engagiert sich über die Fachstelle Survivors für Betroffene. Es war wertvoll, mich an jemanden wenden zu können, der weiss, wie es Jugendlichen in meiner Situation geht. Mittlerweile habe ich mich selbst als Mentor zur Verfügung gestellt und gehe regelmässig zu Treffen mit anderen Survivors.
Ich hatte Glück. Das sage ich nicht nur mit Blick auf mein Überleben, sondern auch in Bezug auf Lebenssituationen, denen ich in meiner Arbeit begegne. Mir ist viel Gutes widerfahren, darum will ich Menschen helfen.