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Wie unser Gehirn bei Stress reagiert

Lesedauer: 2 Minuten

Unsere Gene und unsere Umwelt haben gleichermassen einen entscheidenden Einfluss darauf, wie wir mit Situationen, die uns in Alarmbereitschaft versetzen, umgehen, sagt die Psychologin Nicole Strüber.

Text: Birgit Weidt
Bild: Imago

Frau Strüber, was passiert im Gehirn, wenn wir uns aufregen?

Es werden zwei Systeme aktiviert: das Angstsystem und das Stresssystem. Beide produzieren Botenstoffe, die den Puls und den Blutdruck erhöhen, die Atmung beschleunigen und den Verbrauch von Blutzucker steigern. Stresshormone, die ausgeschüttet werden, kurbeln die Leistung der Hirnzentren an und steigern unsere Wachsamkeit und Leistungsbereitschaft. Sie sind auch dafür verantwortlich, dass wir wütend werden und uns aufregen.

Kann unser Gehirn zwischen wichtigen Vorfällen und Bagatellen unterscheiden?

Erst mal nicht. Passiert irgendetwas, kommt es zu einer schnellen Stress­reaktion. Dabei ist es dem Gehirn zunächst egal, ob ein Glas vom Tisch klirrend zu Boden fällt oder in der Nachbarwohnung ein Feuer ausbricht: Es löst Alarmbereitschaft aus. Während wir uns im ersten Fall normalerweise schnell wieder beruhigen und die Scherben zusammenfegen, kommt es im zweiten Fall zu einer anhaltenden Stress­reaktion. Dabei wird das Hormon Cortisol freigesetzt. Nun heisst die Botschaft: Hier ist gerade etwas absolut wichtig! Handle schnell, ohne lange darüber nachzudenken. Konzentriere dich und arbeite mit Tunnelblick daran, den Stress zu beseitigen!

Nicole Strüber ist Entwicklungsneurobiologin, Psychologin und Wissenschaftsautorin. Als Referentin hält sie Vorträge und Seminare. Zusammen mit dem Hirnforscher Gerhard Roth veröffentlichte sie das erfolgreiche Sachbuch «Wie das Gehirn die Seele macht», Klett­Cotta 2017, 425 Seiten, ca. 26 Fr.

Welche Rolle spielen Botenstoffe und Hormone für das Gelingen der Selbstberuhigung?

Botenstoffe und Hormone, die eine Selbstberuhigung fördern, docken nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip an ihre dafür vorgesehenen Bindungsstellen in den Hirnstrukturen an. Durch diesen Vorgang wird die Aktivität gedrosselt. Dabei spielt das Stresshormon Cortisol eine wichtige Rolle. Es verfügt über zwei Fähigkeiten: Erst fährt es die Hirnleistung hoch – und kann dann genau das Gegenteil bewirken, nämlich das ganze System beruhigen und schliess­lich die Eigenproduktion wieder einstellen. Auch das Serotonin hilft mit, es beruhigt vor allem diejenigen Hirnzentren, die für das Grübeln über die Situation verantwortlich sind. Erst wenn das Serotonin auf die entsprechenden Bereiche wirkt, können wir uns wieder zielgerichtet auf den Alltag konzentrieren. 

Wie gross sind der genetische Einfluss und die Veranlagung eines Menschen in Bezug auf seine Reaktion auf Stress?

Dafür sind Gene und Erfahrungen gleichermassen entscheidend. Die Gene sind verantwortlich dafür, wie gut die Botenstoffe und Hormone wirken, wie effektiv deren Produktion funktioniert und ob sie schnell abtransportiert, schnell abgebaut werden. Unsere Erfahrungen beeinflussen ebenfalls die Funktion der Botenstoffe und Hormone. Sie wirken sich über einen sogenannten epigenetischen Prozess darauf aus, welche Gene verwendet und welche abgeschaltet werden. Deshalb funktioniert all das Aufregen und Beruhigen bei jedem Menschen unterschiedlich.

Birgit Weidt
Birgit Weidt ist Journalistin und Buchautorin und lebt in Berlin. Sie ist Mutter einer erwachsenen Tochter sowie Grossmutter.

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