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Elternstress: «Wir haben alle oft zu viele Bälle in der Luft»

Lesedauer: 2 Minuten

Psychologin und Zweifachmutter Larissa Hauser findet, man müsse sich in stressigen Phasen bewusst entscheiden: Was lasse ich sein, um wieder mehr Kontrolle zu erhalten?

Aufgezeichnet von Kristina Reiss
Bilder: Désirée Good / 13Photo

Bei uns wird es vor allem stressig, wenn wir Eltern belastet sind. Anthony arbeitet 100 Prozent, ich 60. Damit bin ich mehr zu Hause und fange dort auch mehr auf. Ist meine Arbeitslast im Job mal höher, merke ich das schnell – weil dann Termine vergessen gehen und uns erst im letzten Moment einfällt: ‹Oh, das Kind muss ja heute in den Wald!›

Generell sind die Morgen dann stressiger – worauf die Kinder reagieren und anhänglicher sind. Wir Eltern wiederum haben weniger Puffer und fangen an zu streiten, weil wir uns nicht einig sind, wer was verpasst hat. Kurz: Das System wird überspannt.

Larissa Hauser, 43, ist Psychologin und wohnt mit ihrem Mann Anthony, 37, Geschäftsbereichsleiter einer Technologiefirma, und den beiden Kindern Neal (im Bild), 8, und Enya, 4, im Zürcher Oberland. Den Hauptartikel zum Dossier Elternstress finden Sie hier.

Solche Situationen gibt es wohl in jeder Familie – egal, wer wie viel arbeitet. Man ist ja auch nicht immer gleich belastbar. Hier hilft es, das Tempo zu reduzieren. Merke ich, dass es auf Kosten der Kinder geht, sage ich Termine ab oder lasse mal ein Kind zu Hause. Dazu braucht es nicht unbedingt Fieber. Manchmal ist es gut, schon früher die Bremse zu ziehen.

Man muss nicht drei Stunden pro Tag mit jedem Kind verbringen. Es geht darum, die Momente zu erkennen, in denen es darauf ankommt, und dann Präsenz zu zeigen.

Larissa Hauser

Gleichzeitig finde ich: Man muss nicht drei Stunden pro Tag mit jedem Kind verbringen. Es geht eher darum, die Momente zu erkennen, in denen es darauf ankommt, und dann Präsenz zu zeigen. Für mich sind zum Beispiel die Morgen mit meiner Tochter wichtig; oft spielen wir vor dem Kindergarten noch ein Spiel zusammen. Mit meinem Sohn sind es eher die Gespräche vor dem Einschlafen.

Als Psychologin leite ich Weiterbildungen im Bereich Stress- und Selbstmanagement und sollte eigentlich wissen, worauf es ankommt. Doch Stress hat immer mit Emotionen zu tun und mit der persönlichen Bewertung der Situation. Insofern bin auch ich davor nicht gefeit und lerne jeden Tag dazu. Zumal sich Kinder gerade in den ersten Jahren sehr schnell verändern – was schön ist, aber auch anstrengend, weil dies viel Energie kostet.

Überhaupt ist Stressempfinden etwas sehr Persönliches. Für mich war zum Beispiel die Babyphase wahnsinnig anstrengend. Jetzt, da die Kinder grösser sind, finde ich es viel leichter. Rede ich aber mit Freundinnen, merke ich, dass dies jede anders wahrnimmt.

Generell haben wir alle oft zu viele Bälle in der Luft. Wie ein Jongleur, der nicht alle gleichzeitig oben halten kann. Gerade in stressigen Phasen muss man sich deshalb bewusst entscheiden: Was lasse ich fallen, um wieder mehr Kontrolle zu erhalten? Dies sind zum Teil schmerzhafte Prozesse.

Wir haben seit zwei Jahren keine selbst gestalteten Fotobücher mehr, weil Schlaf und Gesundbleiben für mich gerade wichtiger sind.

Larissa Hauser

Wenn ich etwa erkennen muss: ‹Ich konzentriere mich erst mal nur noch auf wenige Menschen› oder ‹Jenes Hobby hat gerade keine Priorität›. Wir haben zum Beispiel seit zwei Jahren keine selbst gestalteten Fotobücher mehr, weil Schlaf und Gesundbleiben für mich gerade wichtiger sind. Doch irgendwann ist das bestimmt wieder möglich. ‹Es ist nur eine Phase›, sage ich mir bis dahin.

Kristina Reiss
ist freischaffende Journalistin und Mutter einer Tochter, 12, und eines Sohnes, 9. Sie lebt mit ihrer Familie am Bodensee.

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