Lehrstelle finden: Wer ist wofür zuständig?
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Berufswahl: Wer ist wofür zuständig?

Lesedauer: 7 Minuten

Im achten Schuljahr müssen sich die Jugendlichen entscheiden, wie es mit der Ausbildung weitergeht. Manche haben Mühe, sich auf diesen Prozess einzulassen. Auch für Lea Schefer war es ein hürdenreicher Weg bis zur Lehrstelle.

Text: Susanna Valentin
Bilder: Gabi Vogt / 13 Photo

Dass ihre Tochter Lea schliesslich die Lehrstelle als Fachfrau Apotheke bekommen habe, sei eine richtige Erfolgsgeschichte, sagt Simone Schefer, 47, am Telefon. «Sie hat sich unglaublich dafür eingesetzt.» Einige Wochen später, in der hellen Stadtzürcher Wohnung am Familientisch von Simone Schefer und Manuel Caspani, ist die Erleichterung spürbar.

Die Geschichte von der Suche und dem Finden der Lehrstelle als Fachfrau Apotheke sprudelt nur so aus der 15-jährigen Lea heraus. Was jetzt leicht und locker erscheint, war zu Beginn das pure Gegenteil. «Unsere Tochter stand am Anfang vor einem riesigen Berg», erinnert sich Vater Manuel Caspani, 46. «Sie war völlig überfordert und dadurch total blockiert.» Jetzt staunt er darüber, was seine Tochter – gerade noch Kind – als junger Mensch geschafft hat. 

Ich war mit 13 noch nicht bereit für so eine grosse Entscheidung wie die Berufswahl.

Lea Schefer

Eltern unter Druck

Auch Leas Vater war nach der ersten Infoveranstaltung im Berufsinformationszentrum gefordert, als ihm ein dichter Zeitplan zur anstehenden Berufsfindung präsentiert wurde. «Nicht nur dieser Zeitplan verursachte Stress, auch die Mütter und Väter begannen anschliessend, sich gegenseitig mit bereits erreichten Etappen unter Druck zu setzen.»

War anderen Jugendlichen in ihrem Umfeld seit der 4. Klasse klar, welches Berufsfeld sie interessierte, hatte Lea noch überhaupt keinen Plan. «Ich war mit 13 noch nicht bereit für so etwas Grosses!» Für eine Entscheidung, die das zukünftige Leben beeinflusst.

Sie habe zwar von allen Seiten gehört, dass sie diese nicht für ihr ganzes Leben treffen müsse, dass Berufe heutzutage gewechselt würden und das Schweizer Ausbildungssystem durchlässig sei. «Doch am Ende beeinflusst die Erstaus­bildung doch recht viel. Schliesslich ist es eine Zeit- und Geldfrage, den Beruf wieder zu wechseln, oder nicht?», fragt sie rhetorisch.

Berufswahl: Lea Schefer mit ihrer Familie
Lea Schefer (Mitte) mit ihrer Mutter Simone, Vater Manuel und Bruder Marlon.

Frust und brodelnde Energie

Die Anfangszeit der Berufsfindung war dementsprechend geprägt von Frust und Ärger. Einen Stock höher, in ihrem Zimmer, zeigt sie, wie sie diesen Gefühlen entgegenwirkte. Der bestens ausgerüstete Schminktisch war die wichtigste Entspannungsquelle. «Schminken ist für mich total meditativ», sagt Lea, «manchmal setze ich mich einfach hin und probiere Make-up-Möglichkeiten aus, auch wenn ich nicht ausgehen möchte.» Nicht zuletzt aber hielt sie ihr Fussballverein aktiv, dort konnte sie all die Energie loswerden, die in ihr brodelte.  

Wir fragten uns die ganze Zeit, ob wir genug tun.

Simone Schefer, Mutter von Lea

Zur selben Zeit mussten sich auch ihre Eltern beraten, wie sie das Thema angehen sollten, auf das ihre Tochter nur mit Abweisung reagierte. «Wir standen ja selbst unter Stress, fragten uns die ganze Zeit, ob wir genug tun», erinnert sich Simone Schefer. Das richtige Mass von Anstupsen und In-Ruhe-Lassen zu finden, war schwierig.

«Eine Mutter im Bekanntenkreis durchkämmte mit ihrer Tochter die ganze Berufswahlmesse, wir liessen Lea allein mit Freundinnen hingehen, so wie sie es wünschte», sagt die Leiterin Stadtplanung. Am Abend sei ihre Tochter dann mit den Händen voller Gratisgeschenke und der Hoffnung nach Hause gekommen, einen der vielen Wettbewerbe gewonnen zu haben. In der Berufswahl sei sie allerdings keinen Schritt weitergekommen. 

Den Hörer selbst in die Hand nehmen

Der heute elfjährige Bruder Marlon erinnert sich, dass seine Schwester plötzlich absorbiert war. «Mir kam es vor, als müsste sie die ganze Zeit Hausaufgaben machen.» Die Suche nach einer Schnupperstelle beeindruckte ihn damals besonders. «Ich stelle es mir wahnsinnig schwierig vor, mit fremden Erwachsenen telefonieren zu müssen.» Ein Punkt, den seine Schwester damals genauso empfand. 

Um über diese Hürde springen zu können, aktivierte Lea schliesslich ihr eigenes Netzwerk. «Der Vater meiner Schulkollegin arbeitet als Chefkoch in einem Alters- und Pflegeheim», erzählt sie. «Als ich ihr sagte, dass ich mich für den Beruf als Köchin interessiere, fand sie, ich solle mich bei ihm melden. Zu wissen, mit wem ich telefoniere, machte diesen ersten Anruf einfacher.» In Eigeninitiative konnte sie auf diese Weise ihre erste Schnupperlehre vereinbaren. 

Die Schnupperlehre bei einem Bekannten absolvieren zu können, half Lea gewisse Ängste abzubauen.

Manuel Caspani, Vater von Lea

Positive Erfahrung als Angstlöser, eine Lehrstelle zu suchen

«Während des Schnupperns merkte ich dann ziemlich schnell, dass Köchin nicht mein Beruf ist», erinnert sich die Oberstufenschülerin. «Backen und Kochen gefällt mir nach wie vor, aber es bleibt ein Hobby.» Trotzdem war diese erste Schnupperlehre auch aus der Sicht von Vater Manuel Caspani bedeutend.

«Dieser Vater, ein Nachbar von uns, ist auch Berufsschullehrer und ging sehr offen auf unsere Tochter zu. Die Schnupperlehre bei ihm absolvieren zu können, war ein positives Erlebnis für Lea. Sie konnte dadurch gewisse Ängste abbauen.» Auch Mutter Simone bestätigt: «Die Menschen in dieser Institution waren sehr locker und zugänglich. Diese Erfahrung ebnete Lea den Weg für den weiteren Prozess der Berufswahl.» 

Mit der positiven Erfahrung der ersten Schnupperstelle kam auf einen Schlag der ganze Berufswahlprozess ins Rollen. «Die Hemmschwelle, auf mögliche Betriebe zuzugehen, hatte sich beträchtlich gesenkt», erinnert sich Leas Vater.

Die Mutter pflichtet ihm bei: «Lea öffnete sich für das Thema Berufswahl und begann, sich ernsthaft mit ihren Möglichkeiten und Wünschen auseinanderzusetzen.» Sie selbst begann, ihrer Tochter Videos von Berufen zu zeigen, die ihrer Meinung nach zu ihr passten. Die Richtung? «Ich sah sie aufgrund ihrer Interessen und Kommunikationsfähigkeiten in einem pflegerischen oder medizinischen Beruf.» 

Vergleiche ziehen

Dass die Mutter damit richtig lag, zeigte das Interesse, das sie bei Lea weckte. Kurze Zeit später entschied sich diese nämlich, für eine Schnupperlehre als Drogistin in der Apotheke und Drogerie anzurufen, in der die Familie ein- und ausgeht. «Lea wusste, wie es dort aussieht und welche Leute dort arbeiten. Das erleichterte ihr den Anruf», ist die Mutter überzeugt. Das Telefonat jedenfalls glückte, allerdings wurde ihr eine Schnuppermöglichkeit als Fachfrau Apotheke und nicht als Drogistin angeboten. Sie schnupperte drei Tage und war begeistert. 

All die Gespräche mit unterschiedlichen Menschen halfen mir, zu erkennen, was wirklich zu mir passt.

Lea Schefer

Um sicher zu sein, die richtige Entscheidung zu treffen, vereinbarte sie weitere Schnuppertage als Drogistin und medizinische Praxisassistentin (MPA), ausserdem sammelte sie in einer anderen Apotheke Erfahrungen. «Ich wollte Vergleiche ziehen können, bevor ich eine definitive Entscheidung traf», sagt Lea. Ein Vorgehen, das insbesondere Vater Manuel Caspani schätzte und ihm zeigte, dass seine Tochter in der Zeit der Berufswahl nicht nur ein bisschen älter, sondern auch ein bisschen reifer wurde. 

Was bei der Entscheidung für die richtige Lehrstelle half

Lea redete in dieser Zeit viel über die Berufswahl und nutzte auch die Möglichkeit der Sprechstunde mit der Berufsberaterin in der Sekundarschule. «All diese Gespräche mit dieser Fach­person, meinen Eltern und in meinem Freundeskreis halfen mir, meine Gedanken zu ordnen und zu erkennen, was wirklich zu mir passt», erklärt Lea rückblickend.

Alternative Berufe schloss sie nach und nach aus. «Die Tätigkeiten der MPA waren mir etwas zu einseitig, ich möchte nicht den ganzen Tag Spritzen verabreichen. Und der Beruf als Apothekerin erschien mir im Vergleich zur Drogistin vielfältiger», begründet sie ihren damaligen Entscheid, ihren Fokus auf eine Lehrstelle als Fachfrau Apotheke zu legen. 

Lea absolviert ihre Lehre in der Apotheke, die sie von Kindesbeinen an kennt. Hier erzählt sie persönlich von den Herausforderungen bei der Lehrstellensuche.

So bewarb sie sich schliesslich bei den zwei Apotheken, bei denen sie sich an den Schnupper­tagen sehr wohl gefühlt hatte. «Dass Lea auf die Atmosphäre und ihr Gefühl im möglichen Lehrbetrieb achtete, hat mich als Vater sehr beruhigt», sagt Manuel Caspani, der als Verwaltungs­angestellter im Bereich Hochbau tätig ist. Er selbst arbeitete nach der Ausbildung in einem unstimmigen Lehrbetrieb keinen Tag länger als Zimmermann; die Berufsfindung seiner Tochter liess seine schlechten Erfahrungen wieder aufleben. «Ich wollte nicht, dass sie dasselbe erlebt.» 

Die Sorge war unbegründet, Lea traf die Entscheidung sorgfältig. Und hatte plötzlich zwei Lehrstellen zur Auswahl. «Meine Tochter beim Bewerbungsgespräch zu erleben, war ein besonderes Ereignis für mich», sagt Simone Schefer. «Sie hat das unglaublich souverän gemeistert.» Ausserdem hätten beide Apotheken die Motivation ihrer Tochter wohl auch beim Schnuppern gespürt. Lea entschied sich für die Apotheke, in der das Angebot um eine Kinderapotheke erweitert wurde und der Kundenverkehr entsprechend grösser ist; die Apotheke, die sie von Kindesbeinen an kennt. 

Wenn Ihr Kind vor der Berufswahl steht
Dos und Don’ts für Eltern:

Das können Sie für Ihr Kind tun:

  • Von Ihrer eigenen Berufswahl und beruflichen Laufbahn erzählen
  • Ihre Erwartungen und Wünsche aussprechen, ohne sie zur Vorgabe zu machen
  • Interesse zeigen
  • Wünsche und Träume ernst nehmen
  • Offene Fragen stellen
  • Das Thema Berufswahl warmhalten
  • Ihrem Kind helfen, seine Berufswahl­aufgaben zu erledigen
  • Kompetenzen fördern, zum Beispiel mit Erwachsenen reden, Telefongespräche führen
  • Bewerbungen gegenlesen
  • Ihr Kind ermutigen; nach Absagen und Enttäuschungen beistehen
  • Haltung: Ihr Kind entscheidet, Sie unterstützen es dabei

Das sollten Sie sein lassen:

  • Frühe Berufserfahrungen rückblickend ausschliesslich negativ bewerten
  • Ideen Ihres Kindes sofort werten
  • Ihr Kind drängen
  • Wünsche und Träume ausreden
  • Geschlossene, absolute Antworten geben (ja, nein), Vorschriften machen
  • Ihr Kind unter Druck setzen
  • Berufswahlaufgaben für das Kind erledigen
  • Ihr Kind sich selbst überlassen, ihm zu viel Verantwortung übertragen
  • Bewerbungen für Ihr Kind schreiben
  • Ihr Kind vor Enttäuschungen und ­unangenehmen Situationen bewahren
  • Haltung: «Wir wissen, was für unser Kind das Beste ist, und führen es dorthin»

Stolz, Erleichterung und Vorfreude

Kurze Stille am Familientisch – diese Berufswahlreise nochmals aufleben zu lassen, weckt Emotionen. Wobei die positiven Erfahrungen letztendlich bei Weitem überwiegen. «Ich bin wahnsinnig stolz auf Lea», durchbricht Mutter Simone Schefer die Stille. «Dass sie den Lehrvertrag unterschreiben konnte, ist ihr Erfolg. Sie hat alles selbst organisiert und auch geschafft.»

«Zeitweise war dieser Prozess wirklich kräftezehrend und aufreibend», ergänzt Manuel Caspani. «Am Ende hat Lea aber unglaubliche Sprünge gemacht und nun eine wirklich passende Lehrstelle für sich gefunden.» Die Begeisterung für den Beruf zeigen Leas leuchtende Augen beim Aufzählen der Aspekte, die sie von der Lehre zur Fachfrau Apotheke überzeugt haben: «Ich werde mir sehr viel Wissen über Medikamente und Naturheilmittel aneignen können, Compiarbeit erledigen, Einkäufe tätigen, und nicht zuletzt freue ich mich sehr auf den Kundenkontakt.» 

Bald wird sie ihre Lehrstelle antreten. «Dann kannst du mir eine Playstation 5 kaufen!», ruft Bruder Marlon fröhlich. Eigenes Geld zu verdienen, klingt für ihn sehr verlockend. In nicht allzu ferner Zeit wird auch beim Fünftklässler das Thema Berufswahl aufkommen. Die Eltern Manuel Caspani und Simone Schefer werfen sich einen Blick zu und lachen. «Oje, in zwei Jahren ist es schon wieder so weit!»

Hier können Sie das Berufswahl-Spezial als Einzelausgabe bestellen für 8.90 Fr. plus Porto.

Susanna Valentin
schätzt das durchlässige Schweizer Bildungssystem und hat es gleich selbst genutzt. Vor vier Jahren liess sich die diplomierte Heil- und Sozialpädagogin zur Fachjournalistin ausbilden.

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