Von Plappermäulern, bockigen Teenies und Traumprinzen

Michèle Binswanger ist entzückt: Als Tante entdeckt sie in der Kommunikation mit Kindern ganz neue Reize.
Manchmal kann ich nicht anders. Dann entfährt mir angesichts der noch jüngeren Kinder meiner Schwestern ein sehr tantenhafter Stossseufzer der Verzückung: «Hach, sie sind so süss, wenn sie noch so klein sind!» Die Nichte hatte auf ihrem Weg durch den Garten gerade an unserem Kaffeetisch Halt gemacht und einen Strom unsortierter Informationen herausgesprudelt.
Es ging um das Tierleben in den Gemüsebeeten, glaube ich, und die Hasen im Garten, aber so genau wollte ich das gar nicht wissen, als ich ihr zusah, wie sie zum Pflaumenbaum weiterhüpfte. «Hm jaa», sagte meine Schwester. Und nach einem Blick über die Schulter, ob ihre Tochter ausser Hörweite war, fügte sie an: «Manchmal nervt das Geplapper aber auch ganz schön.»
Es ist ein ewiges Dilemma mit Kindern: Entweder ist da zu viel oder zu wenig Kommunikation.
Wenn es die eigenen Kinder sind: Oh ja! «Radio Sohnemann» pflegte ich die ungefilterten Sprachergüsse meines Sohnes früher zu nennen, wenn er mir Einzelheiten aus Youtube-Filmchen oder Games erläuterte und ich kaum folgen konnte, weil ich gerade am Kochen oder Schreiben oder mit sonst was beschäftigt war. Für solche Situationen trainierte ich mir einen Gesichtsausdruck vorgeblicher Aufmerksamkeit an, garniert mit eingestreuten «Mhm!»- und «Aha!»-Lauten, die aktives Zuhören signalisieren sollten. Im Kopf blieb ich dabei ungerührt bei der Sache, an der ich gerade arbeitete.
Es ist ein ewiges Dilemma mit Kindern: Entweder ist da zu viel oder zu wenig Kommunikation. Es fängt an mit dem Gebrüll des Babys, das so seine Unzufriedenheit mitteilt. Leider sind allerdings die einem Baby zur Verfügung stehenden Kommunikationsmittel erstens schwer zu entziffern und deshalb zweitens ziemlich nervtötend. Es setzt sich später fort in Phänomenen wie «Radio Sohnemann», die in gewissen Situationen durchaus willkommen wären, etwa wenn man am Mittagstisch gern etwas aus dem Leben des Kindes erfahren würde. Aber auf Fragen wie «Und, wie war es in der Schule?» bekommt man dann oft nicht viel mehr zur Antwort als «Gut!», gefolgt von Schweigen, in dem sehr deutlich all das Nicht-Gesagte rauscht, über das man so gern mehr wissen würde.
Mit der Adoleszenz verschärft sich die Situation noch. Das ist die Zeit, in der die eigenen Kinder zwar ausdauernd über soziale Medien mit ihresgleichen kommunizieren, aber gegenüber ihren Eltern artikulieren sie ihre Gemütslage höchstens durch Grunzen, Schnauben oder Augenverdrehen und sumpfen sonst hinter verschlossenen Zimmertüren vor sich hin.
Bis sie dann eines Tages aus dem Zimmer spazieren und siehe da: keine Skylla und Charybdis zwischen Rededurchfall und Sprachverstopfung mehr. Da kommt ein erwachsener Mensch in die Küche geschlendert, legt den Marschbefehl fürs Militär auf den Tisch und fragt, ob er diesen decken soll. Und man bleibt nach dem Abendessen noch lange am Tisch sitzen und diskutiert: Was für die RS und was für den Zivildienst spricht. Warum Mathematik die Universalsprache der Natur ist und Liebe die grösste überindividuelle Erfahrung. Und ich gucke mir diesen Menschen an, der mein Sohn ist, mittlerweile aber auch ein Mann und ein vollwertiger Erwachsener. Und irgendwann steht er auf und sagt: Ich muss noch mein Zimmer aufräumen. Und ich kann den Stossseufzer der Verzückung eben noch zurückhalten. Aber innerlich juble ich vor Freude.