Was malst du da?
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Was malst du da?

Lesedauer: 6 Minuten

Bei vielen Kindern geht die Freude am Malen irgendwann verloren. Das ist schade. Sich gestalterisch frei auszudrücken, fördert die Kreativität, wirkt entspannend und kann sogar helfen, belastende Erfahrungen zu verarbeiten.

Text: Debora Silfverberg
Bild: Adobe Stock

Künstlerischer Ausdruck ist ein tief menschliches Bedürfnis, welches bis in die Steinzeit zurückreicht. Seit Menschen Werkzeuge besitzen, benutzen sie diese auch, um Markierungen und Spuren zu hinterlassen und damit Geschichten zu erzählen. Auch kleine Kinder malen und zeichnen meist sehr gerne und ohne Vorbehalte. Dabei können sie ihre Gefühle besonders gut ausdrücken. Manchmal auf sehr berührende Weise. 

«Kindermund tut Wahrheit kund!» ist ein Sprichwort, das auf Kinderbilder besonders zutrifft. Durch Stift und Papier können sich Empfindungen und Gefühle zeigen, die nicht oder nur schwer in Worten fassbar sind. Auch beim Betrachter werden dabei Emotionen ausgelöst.

Warum ist das so? Sehr vereinfacht gesagt, wird durch Malen und Zeichnen hauptsächlich die rechte Hirnhälfte aktiviert. Diese ist unter anderem zuständig für Intuition, Kreativität und Emotionen. Deshalb kann gestalterischer Ausdruck unbewusste Anteile der Innenwelt anregen und offenlegen.

Kinder malen
Mit Papa im Regen (5-jähriges Kind). (Bild: zVg)

Das funktioniert natürlich auch bei Erwachsenen. Nur halten diese sich grundsätzlich gedeckter, wenn es um das Preisgeben der eigenen Gefühlswelt geht.

Entwicklungspsychologische Schritte  

Wie bei der körperlichen Entwicklung gibt es auch beim Zeichnen gewisse Schritte, die fast alle Kinder vollziehen. So werden zum Beispiel die ersten Darstellungen von Menschen weltweit als «Kopffüssler» dargestellt. Wer kennt ihn nicht, den Kreis mit Strichen – die Arme und Beine – die vom runden Kopf wegführen? 

Zeichnungen eignen sich bestens, um mit einem Kind ins Gespräch zu kommen.

Mit steigendem Bewusstsein und der emotionellen und geistigen Entwicklung von Kindern werden ihre Zeichnungen immer präziser. Ab etwa fünf Jahren spielen dabei gesellschaftliche und kulturelle Einflüsse eine immer grössere Rolle. Deshalb kann ab dem Schulalter kaum noch verallgemeinert werden, welche Entwicklungsschritte «normal» sind. Um ein Gespräch oder eine Anamnese zu ergänzen, werden jedoch für gewisse psychologische Abklärungen gerne spezifische Zeichenaufgaben benutzt.

Vorsicht beim Interpretieren von Kinderbildern 

Wenn es ums Zeichnen und Malen zu Hause oder im alltäglichen Schulkontext geht, ist das Interpretieren von Bildern jedoch nicht sinnvoll. Zu viele Faktoren beeinflussen, wie ein Bild entsteht. Das sind einerseits Umstände, die individuell auf das Kind zutreffen: zum Beispiel seine Motivation, der allgemeine Gefühlszustand oder seine körperliche Verfassung. Andererseits gibt es auch Umweltfaktoren, die eine Rolle spielen. Das kann die Familiensituation, die Schule oder der kulturelle Hintergrund sein. 

Es existiert viel Halbwissen darüber, was gewisse Elemente in einem Bild angeblich aussagen sollen. Das Haus hat keine Fenster – das Kind ist verschlossen oder der Baum hat keine Wurzeln – das Kind hat keinen Halt. Auch die Farbwahl kann ein Thema sein.

Kinderbild: Familie
Finger weg von Pseudo-Wissen: Die Farbe schwarz bedeutet nicht automatisch depressiv oder traurig. (Bild: zVg)

Als Laie und mit wenig Kenntnis über das emotionale Leben eines Kindes ist es nicht förderlich, dessen Bild zu interpretieren oder zu analysieren. In den meisten Fällen werden ungefragt geäusserte «Pseudo-Einsichten» als übergriffig empfunden. 

Kinderzeichnungen sollten uns vor allem Freude bereiten und unsere Neugier wecken. Denn sie bieten eine wunderbare Plattform, um mit einem Kind ins Gespräch zu kommen und die Welt aus seinen Augen zu sehen. 

Sorgen um «gruselige oder traurige» Bilder

Gruselige oder brutale Darstellungen auf Kinderbildern können Erwachsene verunsichern. Dabei ist zu bedenken, dass die Welt voller belastender Geschichten ist, vor denen Kinder kaum geschützt werden können. 

Ein Bild kann dabei helfen, bedrückenden Gefühlen eine Gestalt ausserhalb der eigenen Gedankenwelt zu geben und deshalb lindernd wirken. Auf dem Blatt ist ein Monster besser aufgehoben als im Innenleben des Kindes. Ein solches Monster kann sogar aktiv verbannt werden – etwa zerknüllt im Abfall – oder im Feuer verbrannt. Ein solches Bild kann ein guter Einstieg für ein Gespräch darüber sein, was das Kind gerade beschäftigt. 

Kinderbild: Monsterverbot
Angst vor Monstern? Ein Verbot auf Papier kann das Kind schützen und stärken. (Bild: zVg)

Malen ist oft einfacher, als über Dinge zu sprechen. Wenn ein Kind durch eine schwierige Zeit geht, kann eine gestaltungs- und maltherapeutische Begleitung die richtige Wahl sein. Sie bietet einen professionellen Rahmen, wo auf einen schmerzhaften Verlust oder ein traumatisches Erlebnis eingegangen und belastende Themen verarbeitet werden können.

Darstellung einer physischen oder emotionalen Verletzung (4-jähriges Kind). (Bild: zVg)

Kritische Augen stehlen die Freude am Malen

Mit der wachsenden Selbsterkenntnis eines Kindes wächst auch der Graben zwischen dem, was es in der Welt beobachtet, und dem, was auf dem Blatt entsteht. Das kann frustrierend und enttäuschend sein.

Wenn diese Erkenntnis auch noch zusammentrifft mit einem Umfeld, das sich sehr auf Resultate fokussiert, kann die Lust am Zeichnen und Malen schnell verloren gehen.

Loben Sie das Bestreben des Kindes und nicht das Resultat.

Es ist nichts Falsches dabei, Techniken zu lernen, wie Proportionen erfasst werden, wie man räumliche Perspektive zeichnet, wie man Licht und Schatten malt oder wie man Farben mischt. All diese Fertigkeiten sind wertvoll. Sie sollen jedoch der Kreativität dienen und diese nicht ausbremsen. Wer Angst hat, etwas falsch zu machen, ist nicht mehr frei und lässt es lieber bleiben, anstatt sich zu blamieren. Wie können wir also Kinder dabei unterstützen, auch nach dem Vorschulalter leichtherzig mit Papier und Farbe umzugehen?

Weitere Infos zu Malateliers und Kunsttherapien:

Es gibt verschiedenste Malateliers und Kunsttherapeutische Angebote in der Schweiz. Weitere Informationen dazu und Therapeutenlisten finden Sie hier:

 

Für Malen als Freizeitaktivität eignet sich auch ein Atelier nach Arno Stern in Ihrer Region:

Drei Dos und Don’ts im Umgang mit Kinderbildern

Es gibt ein paar Grundsätze im Umgang mit Kinderbildern, die dabei helfen, die Freude am freien Ausdruck beizubehalten. Dies geschieht vor allem durch Wertschätzung und Respekt:

  • Loben Sie das Bestreben, nicht das Resultat. Ein Kind, das stundenlang an einem Bild gearbeitet hat, verdient dafür Anerkennung. Die ästhetische Wertung des Resultats ist dabei weniger wichtig. Deshalb ist auch ein schnell hingekrakeltes Bild meist nicht «sehr schön». Anstatt wertend zu reagieren, könnte man sagen «vielen Dank» – so wie man auch Danke sagt, wenn einem ein kleines Kind einen Stein oder ein Blümchen schenkt. Lob muss auf jeden Fall authentisch sein.
  • Wenn ein Kind sein Bild zeigen möchte, lassen Sie es erzählen, was entstanden ist. Die Darstellung zeigt immer das, was das Kind sagt, auch wenn Sie vielleicht etwas anderes sehen oder vermuten. Denken Sie an den kleinen Prinzen von Saint-Exupéry. Er hat nicht, wie alle Erwachsenen meinen, einen Hut gemalt, sondern eine Schlange, die einen Elefanten verschluckt hat. Ginge es nach dem Pädagogen Arno Stern, würde man sich komplett zurückhalten. Fragen wie: «Was wolltest du hier darstellen?», «Ist das eine Blume?», «Nun erklär mir mal deine Zeichnung!», nennt er eine grobe Einmischung in das Spiel des Kindes. (Arno Stern: «Wie man Kinderbilder nicht betrachten soll»)
  • Nie selber auf das Bild eines Kindes malen – ausser es ist ein Spiel, in dem gemeinsam gemalt wird oder wenn das Kind es explizit verlangt. 

Selbst Erwachsene können noch voller Unmut auf ein Kinderbild von sich schauen, weil ihnen eine Bezugsperson «der Ästhetik willen» hineingepfuscht hat. Es ist eine Grenzüberschreitung, die mehr auslöst, als sich viele bewusst sind.

Kinder, die in ihrem kreativen Ausdruck unterstützt und deren Bilder respektiert werden, können etwas von dieser Erfahrung ins Erwachsenenleben mitnehmen. Wer sich auch als Erwachsener an ein leeres Blatt traut, ohne Angst zu haben, etwas falsch zu machen, besitzt ein wertvolles Werkzeug. Dieses dient weit über den unbeschwerten Umgang mit Papier und Stift hinaus.

Tipps
So fördern Sie den freien Ausdruck:

  • Für ganz kleine Kinder kann als Alternative zu Fingerfarben einfach eine Tüte Maizena mit Wasser vermischt werden. Nach einer kurzen Zeit entsteht eine Masse, die halb flüssig, halb fest ist und mit der wunderbar mit den Händen oder auch mit Bechern gespielt werden kann. Am besten auf einem Tablett mit Rand.
  • Für stressfreies Malen und Zeichnen ist es eine gute Idee, jeweils ein grosses Papier- oder Plastiktischtuch auszulegen – Es macht Spass, ganz frei kritzeln oder malen zu dürfen, ohne dass sich jemand Gedanken machen muss, wo Farbe landen darf und wo nicht. Ein Papiertischtuch kann auch ganz zur Leinwand werden.
  • Setzen Sie sich doch auch einmal dazu, nehmen Sie einen Stift oder Pinsel in die Hand und seien Sie neugierig, was auf Ihrem eigenen Papier entsteht. Ihr Kind wird sich garantiert freuen.
  • Für ältere Kinder, die keine Lust auf Zeichnen und Malen haben, könnte «Natur-Kunst» eine Alternative sein. Gehen Sie einen Nachmittag in den Wald, Park oder an den Strand und lassen Sie gemeinsam der Fantasie und Kreativität freien Lauf. Aus Blättern, Steinen, Beeren, Stöcken und Erde entstehen Kunstwerke. Zur Erinnerung daran den Fotoapparat oder das Handy nicht vergessen.

Debora Silfverberg
hat viele Jahre als Fach- und Leitungsperson in der Familien- und Sozialpsychiatrie gearbeitet. Seit 2020 ist sie mit ihrem Mann und den beiden Töchtern in verschiedenen Ländern Europas unterwegs und schreibt als freie Journalistin und Autorin über gesellschaftliche Themen.

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