Ab welchem Alter verstehen Kinder Ironie? - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Ab welchem Alter verstehen Kinder Ironie?

Lesedauer: 4 Minuten

Eltern verwenden häufiger ironische Äusserungen, als ihnen bewusst ist. Dahinter steckt die Absicht, kritische Bemerkungen zu umgehen. An sich ist das keine schlechte Idee, manchmal kann Ironie aber auch schaden.

Text: Birgit Weidt
Bilder: Getty Images

Das Zimmer chaotisch, die Hausaufgaben schludrig erledigt und das Sackgeld ist, kaum ausbezahlt, schon wieder ausgegeben. Kinder bringen einen schnell auf die Palme. Dann wird oft geschimpft, belehrt, ermahnt – meist ohne Erfolg. Die Kinder erfinden Ausreden oder werden selbst laut. Warum also nicht mit witzigen, spöttelnden, durchaus auch scharfzüngigen Bemerkungen reagieren, die den Nachwuchs im besten Fall aufhorchen lassen? Ein Versuch ist es wert, denn mit einer ironischen Äusserung lässt sich manch herausfordernde Situation entschärfen.

Ironie ist ein sprachliches Stilmittel, bei dem Worte in einem scheinbaren Widerspruch zur eigentlichen Bedeutung stehen, also die Aussage von der wirklichen Botschaft abweicht. Dabei wird der tatsächliche Sinn des Satzes durch die entsprechende konträre Formulierung oder Betonung verändert.

Ironie kann Probleme ansprechen, ohne dass sich das Gegenüber angegriffen fühlt.

Ironische Äusserungen sollen so in kritischen Situationen eine entspannte und positive Atmosphäre schaffen, Wortgefechte unterbinden und Stress reduzieren. Denn dieser «Kommunikationstrick» bietet die Möglichkeit, Probleme anzusprechen, ohne dass sich das Gegenüber angegriffen fühlt und in eine Verteidigungs- beziehungsweise Abwehrhaltung wechseln muss.  

«Ironie kann Gespräche witziger und unterhaltsamer machen», sagt der Zürcher Psychologe Moritz Daum, «und einen sogar zum Lachen bringen. Sie kann dazu führen, dass man während der Kom­munikation kurz stutzt und die Aufmerksamkeit erhöht.» Zum Beispiel, wenn die Mutter mit Blick auf die im Kinderzimmer verteilten Bausteine ausruft: «Ja, Wahnsinn! Ich glaube, du brauchst unbedingt noch mehr davon!» Statt genervt festzustellen, dass es zu viele Spielsachen gibt, vermittelt sie auf lustige Weise, dass es allemal genug sind.

Eine Frage des Entwicklungsstandes

Auch Kindern gelingt es dem Alter entsprechend, die Eltern aufhorchen zu lassen. Die Zürcher Philosophin Suzann-Viola Renninger erinnert sich an eine Situation, in der sie ihren kleinen Sohn nach dem Mittagessen gebeten hatte, ihr beim Aufräumen zu helfen, was er jedoch ablehnte.

«Auf meinen tadelnden Blick hin meinte er: ‹Das gehört halt zur Pubertät!›», erinnert sich die Philosophin und sagt: «Ich musste lachen. Denn eines war klar: Es ­sollte noch eine Zeit dauern, bis es bei ihm so weit sein würde. Ob er danach seinen Teller abräumte, weiss ich gar nicht mehr. Doch ich erinnere mich, dass wir beide vergnügt waren und ich ­dachte: Da hat er sich mit Ironie geschickt aus der Affäre gezogen.»

Kinder verstehen Ironie oft erst im Jugendalter wirklich.

Ob ein Kind jedoch die Fähigkeit besitzt, ironische Äusserungen zu verstehen, hängt von seinem Entwicklungsstand ab. In Ausnahme­fällen können bereits Vierjährige die verborgene Botschaft mancher Aussagen erkennen, wie beim Ausruf: «Super, endlich wieder eine Hose kaputt!» Doch es gelingt nicht allen Vorschulkindern, denn grundsätzlich tun sie sich schwer mit subtilen Ausdrucksweisen.

Sechs- oder Achtjährige erkennen schon eher die deutliche Kluft zwischen Gesagtem und Gemeintem, wenn sie klar und offensichtlich formuliert ist, wie zum Beispiel beim Ausruf einer Mutter in der Gelateria, als sie den üppigen Eisbecher erblickt: «Oh, so ein winziges Eis, da werden wir wohl noch eins bestellen müssen!» Im Alter zwischen neun und elf Jahren entwickeln die Heranwachsenden dann ein tieferes Verständnis für soziale Kontexte und beginnen, inhaltlich feine Nuancen zu erfassen.

Abstraktes Denken ist gefragt

Doch welche kognitiven Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit sich ein Verständnis für Ironie entwickeln kann? «Wichtig ist die Fähigkeit zur Perspektivenüber­nahme», sagt Moritz Daum. Die Perspektivenübernahme ist die Fähigkeit, sich in die Gedanken, Emotionen und Perspektiven anderer Menschen hineinversetzen zu können. Sie ermöglicht uns, die mentalen Zustände anderer zu verstehen und vorherzusagen, was sie denken oder fühlen könnten. 

«Ausserdem ist die Fähigkeit zu abstraktem Denken wichtig», so Daum. «Ironieverständnis benötigt einen gewissen Grad an Abstraktion, da der wahre Sinn hinter den gehörten oder gelesenen Worten nicht direkt erkennbar ist. Weiter sind ein reicher Wortschatz und das Verständnis für sprachliche Nuancen von Vorteil.»

Ein Kind muss bei einer ironischen Bemerkung erst lernen, Signale wie Mimik, Körpersprache und Tonfall richtig zu interpretieren.

Da so viele Faktoren zusammenfliessen müssen, ent­wickelt sich das Verständnis für ­Ironie bei Kindern nur langsam und kommt oft erst im Jugendalter zum Abschluss. So fanden die Psychologinnen Eva Filippova und Janet Wilde Astington von der Universität Toronto bei ihrer Forschung über das Verständnis kindlicher Ironie heraus, dass neunjährige Kinder noch nicht das Niveau von Erwachsenen erreichen. 

«Ein Kind versteht erst dann Ironie, wenn es nicht nur den Bedeutungswiderspruch zwischen dem Gesagten und dem Gemeinten auflöst, sondern auch durchschaut, welche Absicht hinter der Aussage des Erwachsenen steht. Es muss Signale wie Mimik, Körpersprache und Tonfall hinzuziehen können», sagt die deutsche Verhaltensbiologin Gabriele Haug-Schnabel. 

Ironische Äusserungen können ernste Gespräche auflockern, doch sie können ebenso Stress verursachen.

Ironie mit Bedacht verwenden

Bei allen positiven Effekten gibt es jedoch Situationen im Familien­alltag, in denen Ironie nicht angebracht ist. Eltern sollten ironische Äusserungen vermeiden, wenn sich ihr Kind in einer emotional sensiblen oder sehr angespannten Situation befindet. Bei Kindern, die unter einer Depression leiden oder autistisch veranlagt sind, ­sollte darauf verzichtet werden, da die Betroffenen soziale Nuancen und nonver­bale Signale nicht so leicht verstehen. In diesen Fällen können ironische Aussagen zusätzlich Stress auslösen.

Ansonsten können ironische Äusserungen «kleine Helfer» im Alltag sein, wenn es darum geht, ernste Gespräche aufzulockern. Inwieweit das eigene Kind diese versteht und richtig zu deuten weiss, obliegt der Einschätzung der Eltern. 

So kann die Aussage des Vaters mit Blick auf das schlecht ausgefallene Zeugnis – «Wie wunderbar, eine so herausragend gute Mathe­note! Du solltest Lehrer werden!» – zweierlei bewirken: Ist der Sohn selbstsicher, kann die Art und ­Weise, wie der Vater seinem Unmut über die schlechte Note Ausdruck verleiht, den Jungen motivieren, sich in diesem Fach anzustrengen und zu verbessern. Wenn der Sohn jedoch unter der schulischen Situation leidet und ohnehin schon unter Druck steht, könnte ein solcher Kommentar ihn zusätzlich verunsichern und verletzen.

Birgit Weidt
Birgit Weidt ist Journalistin und Buchautorin und lebt in Berlin. Sie ist Mutter einer erwachsenen Tochter sowie Grossmutter.

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