Unsere Worte als Eltern hinterlassen Spuren
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Unsere Worte als Eltern hinterlassen Spuren

Lesedauer: 2 Minuten

Die meisten Ratschläge seiner Mutter hat Lukas Linder sofort vergessen. Bis auf einen. Dieser prägt unseren Kolumnisten bis heute.

Text: Lukas Linder
Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren

Meine Mutter hat mir viele Ratschläge gegeben. Die meisten habe ich sofort wieder vergessen, zumindest einer jedoch hat sich für immer in mein Gedächtnis eingebrannt: Sei kein Mitläufer. Ich war acht oder neun Jahre alt und sie erzählte mir zum ersten Mal vom National­sozialismus. Ich kann unmöglich alles verstanden haben, doch redete meine Mutter mit einer so leidenschaftlichen Abscheu, dass mir unmittelbar klar wurde: Es gibt nichts Verwerflicheres, als Teil einer Gruppe zu sein.

Einfach nur Spass haben, musste ich erst lernen.

Ich war ein braver Junge, der nichts lieber wollte, als sein Mami stolz zu machen. Also begann ich schon am nächsten Tag nach ihrer Maxime zu leben. Beim Spielen in der grossen Pause schlug ich mich alleine in die Büsche, wo mich erst der Klassenlehrer wieder herausziehen konnte. Im Musikunterricht sang ich bei «Im Frühtau zu Berge» meine eigene geheime Melodie mit einem Text, den nur ich verstehen konnte. Und als mir Esther Moser eine Einladung zu ihrer Geburtstagsparty überreichte, zerriss ich sie. Geburtstagsparty? Genau so hat Nazideutschland angefangen.

Meine Mutter hatte recht. Unheil entsteht immer dann, wenn Menschen allesamt wie Lemminge in die gleiche Richtung laufen. Trotzdem habe ich damals ein paar Dinge durcheinandergebracht. Meine Mitschüler waren keine Nazis. Es gibt einen Unterschied zwischen Widerstand und Asozialität. Wenn Menschen zusammenkommen, tun sie das nicht immer aus Furcht und Feigheit. Manchmal wollen sie einfach nur Spass haben. Das habe ich erst lernen müssen.

Kleinste Bemerkungen können das Leben unserer Kinder nachhaltig beeinflussen.

Mit der Zeit wurde es besser, ich begann sogar Unihockey zu spielen! Doch auch heute noch fühle ich mich in Gruppen nicht besonders wohl und bin am liebsten allein. Es wäre ungerecht, meine Mutter dafür verantwortlich zu machen. Sowieso sollte man ab dem 30. Lebensjahr seine Eltern aus der Verantwortung nehmen. Das ist mein Leben. Ich habe mich entschieden, es so zu leben, wie ich es nun einmal lebe.

Wie Grosi zum Vampir wurde

Und doch finde ich es erschreckend, wie kleinste Bemerkungen, die wir als Eltern machen, das Leben unserer Kinder nachhaltig beeinflussen können. Jetzt, wo ich selber Vater bin, ist mir das erst so richtig bewusst geworden: Was wir sagen, hat tatsächlich eine Wirkung. Das ist nicht wie auf Facebook oder in langjährigen Beziehungen, wo uns schon seit Jahren niemand mehr zuhört. Hier nimmt ausnahmsweise wirklich jemand ernst, was wir sagen. Das ist so verführerisch wie gefährlich. Wir müssen uns plötzlich zusammenreissen, unsere Worte haben ein Gewicht, dienen ­einem höheren Zweck.

Neulich habe ich meinem Sohn eine unheimliche Geschichte erzählt. Vampire kamen darin vor. «Woran erkennt man sie?», wollte er wissen. Ich überlegte: «Man erkennt sie daran, dass sie rückwärtsgehen.» Prompt sah er seine Grossmutter ein paar Tage später rückwärts aus dem Bus steigen.

Seither glaubt er, meine Schwiegermutter sei ein Vampir. Das wird sich legen. Aber andere Sachen, die ich ihm erzähle, werden sich nicht legen. Sie werden Spuren hinterlassen und sein Leben bleibend verändern, so wie damals der Ratschlag meiner Mutter. Welche werden es sein?

Lukas Linder, Kolumnist

Lukas Linder
studierte Germanistik und Philosophie. Der Dramatiker und Buchautor («Der Letzte meiner Art», «Der Unvollendete») hat einen Sohn und lebt mit seiner Familie in der Nähe von Zürich.

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