Period Positivity – die erste Mens entspannt erleben
Wie bereitet man Mädchen am besten auf die erste Periode vor? Indem man offen und unverkrampft über den weiblichen Zyklus spricht, sagen zwei Expertinnen und plädieren für ein sexualfreundliches Klima in der Familie.
Die einen Mädchen* werden vollkommen überrascht. Andere wünschen sie sich sehnlichst herbei. Und wieder andere haken ihre erste Periode als selbstverständliche Nebensächlichkeit ab. Gänzlich unbeeindruckt von der Tatsache, dass sie mit dem Einsetzen der Mens keine kleinen Mädchen mehr sind, sondern Frauen, die Kinder gebären könnten.
Durchschnittlich 12,5 Jahre alt sind Mädchen heute in der Schweiz, wenn sie die erste Regelblutung haben. Die sogenannte Menarche kann allerdings auch schon mit 10 einsetzen oder erst mit 16. «Bei der Pubertätsentwicklung ist die Spannweite sehr gross», erklärt Gynäkologin Anne Renner, die in ihrer Zürcher Praxis spezielle Mädchensprechstunden anbietet.
Sie findet es wichtig, Mädchen schon vor der ersten Regelblutung aufzuklären – und ihnen vor allem das Vertrauen zu vermitteln, dass sie jederzeit alle Fragen rund um die Menstruation stellen können. «Je offener Eltern mit dem Thema umgehen, darüber sprechen und klarmachen, dass nichts peinlich daran ist, desto leichter haben es ihre Kinder», betont die Medizinerin.
Die Periode ist ein Geschenk, ein Zeichen, dass sich der Körper gesund entwickelt.
Anne Renner, Gynäkologin
Etwa zwei Jahre vor der ersten Periodenblutung bemerken die meisten Mädchen, dass sich ihr Körper verändert: Die Brüste wachsen, die Hüften werden breiter, Achsel- und Schamhaare spriessen. «Dies ist ein guter Zeitpunkt, um das Kind darauf hinzuweisen, dass sich auch die inneren Organe verändern», findet Renner. So beginnen beispielsweise in den Eierstöcken langsam Eizellen zu reifen.
Gut ist, wenn Eltern ein Gespür für den Nachwuchs entwickeln: Denn während manche Mädchen regelrecht auf solche Gespräche warten, sind andere noch nicht bereit dafür. Deshalb: nicht aufdrängen, aber Gesprächsbereitschaft signalisieren. Antwortet das Kind nur knapp oder fragt nicht weiter nach, sollte man es erst einmal gut sein lassen.
Hilfreich ist auch, wenn weibliche Bezugspersonen selbst einen natürlichen Umgang mit der eigenen Periode pflegen – und beispielsweise aus der Benutzung von Hygieneartikeln wie Tampons, Menstruationstassen oder Binden kein Geheimnis machen.
Schon in den ersten acht Lebensjahren passiert viel
Vera Studach plädiert ebenfalls dafür, möglichst früh mit Kindern über Körper und sexuelle Themen zu sprechen – und zwar mit beiden Geschlechtern. Sie ist Fachperson für sexuelle Gesundheit in Bildung und Beratung und leitet die Fachstelle Liebesexundsoweiter in Winterthur ZH. Mit ihrem Team ist sie im Auftrag der Bildungsdirektion in Schulklassen unterwegs. «Besonders die ersten acht Lebensjahre sind unglaublich prägend», sagt sie. «In dieser Zeit nehmen Kinder am meisten auf. Deshalb ist es so wichtig, sich zu Hause von Anfang an für ein sexualfreundliches Klima einzusetzen.»
Auch Buben sollen wissen, dass Mami einmal im Monat ihre Tage hat.
Vera Studach, Fachperson für sexuelle Gesundheit
Dazu gehört etwa, mit Mädchen wie mit Buben über die Veränderungen des Körpers zu reden. Und dabei Fruchtbarkeit ganzheitlich zu thematisieren, anstatt Regelblutung isoliert zu betrachten. «Auch Buben sollen wissen, dass Mami einmal im Monat ihre Tage hat oder was es heisst, wenn Frauen in die Wechseljahre kommen», findet Studach, selbst Mutter von zwei Söhnen.
Ein offener Umgang mit dem Thema Sexualität in der Familie lasse zudem zu, dass Kinder von sich aus Fragen stellen und erzählen. Dann müsse man nicht nachhaken: «Gell, du sagst es mir, wenn du deine Mens bekommst?» Oder ständig fragen: «Hast du schon deine Mens?» Dies könne beim Kind sonst irgendwann das Gefühl auslösen, etwas stimme nicht mit ihm.
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Nicht von sich auf das Kind schliessen
Setzt dann die erste Menstruation ein, sei dies schon etwas Einschneidendes im Leben eines Mädchens, findet Anne Renner. Man müsse dieses Ereignis zwar nicht unbedingt übertrieben feiern – dies sei vielen Mädchen eher peinlich. «Aber darauf hinweisen, dass die Periode ein Geschenk ist, ein Zeichen, dass sich der Körper gesund entwickelt und man in der Lage ist, dereinst Kinder zu bekommen, dürfen Eltern schon», so die Gynäkologin. Dies sei ohnehin das Wichtigste: die Periode als etwas Positives darzustellen.
Eltern sollten keine Ängste erzeugen, die Menstruation negativ belegen oder Kinder mit eigenen schlechten Erfahrungen überfordern. «Die Menschen sind unterschiedlich», gibt Renner zu bedenken. Sie warnt davor, von sich auf den Nachwuchs zu schliessen. «Hat die Mutter starke Regelschmerzen, heisst das nicht, dass es auch der Tochter so ergehen wird.»
Gleichzeitig gelte es achtsam vorzugehen und die natürliche Scham zu respektieren. Was bedeutet: Die erste Regelblutung muss nicht am Familientisch besprochen werden. Und eine Freundin darf anders nachfragen als die Mutter – vor allem wenn zuvor in der Familie kaum offen über Menstruation und Zyklus geredet wurde.
Leider wird die Menstruation in der Oberstufe nicht mehr thematisiert. Das ist schade, es gäbe so viel zu sagen.
Vera Studach, Fachperson sexuelle Gesundheit
Grosse Aufklärungslücken an Schulen
Tatsächlich müssen Vera Studach und ihre Kolleginnen und Kollegen bei ihren Besuchen in Schulen immer noch sehr viel Aufklärungsarbeit leisten – auch wenn die zahlreichen sexualisierten Inhalte in den sozialen Medien etwas anderes vermuten lassen. Doch anhand der (anonymen) Fragen der Schülerinnen und Schüler stellen die Fachpersonen immer wieder fest, dass Jugendlichen zum Teil selbst die biologischen Grundlagen nicht klar sind.
Zwar ist sexuelle Bildung auch Teil des Lehrplans und das Thema Menstruation wird in der sechsten Klasse behandelt. Doch in der Oberstufe sind diese Themen nicht mehr vorgesehen – «was sehr schade ist, schliesslich gäbe es so viel zu sagen», so Studach. Auf der anderen Seite treffen die Fachpersonen aber auf viele junge Frauen und Männer, die sehr offen sind und gut Bescheid wissen. «Die Schere geht hier weit auseinander», sagt Vera Studach.
- quittenduft.ch: «You are bloody brilliant!» und «dein Zyklus matters», sagt Josianne Hosner. Seit 2017 hat die Autorin und Zyklusexpertin in ihren Kursen schon über 1000 Frauen fürs zyklische Leben begeistert.
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- feel-ok.ch ist eine Facheinheit der Schweizerischen Gesundheitsstiftung RADIX und ein internetbasiertes Interventionsprogramm für Jugendliche.
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«Period Positivity» will mit Tabus aufräumen
Sie freut sich, dass der Trend in Richtung «Period Positivity» geht. «Was nicht bedeutet, dass alles positiv ist. Aber dass die Menstruation und der weibliche Zyklus generell als Themen betrachtet werden, die man aktiv angeht.» So sei zunehmend nicht mehr von «Hygieneartikeln» die Rede, sondern von «Menstruationsprodukten» – «was nur richtig ist, schliesslich geht es ja nicht um etwas Dreckiges».
Bei der grossen Auswahl an Menstruationsprodukten findet jede junge Frau etwas, das sich gut für sie anfühlt.
Auf dem Markt hat sich dabei in den letzten Jahren viel getan: Tampons in unterschiedlichsten Grössen, Texturen und Beschaffenheiten. Binden, die längst nicht mehr auftragen. Bequeme Periodenunterwäsche, Menstruationstassen. Je nach persönlicher Vorliebe und Stärke der Periode findet hier jede Menstruierende etwas.
Viele junge Mädchen benutzen zunächst nach wie vor Binden, beobachtet Gynäkologin Renner, weil diese eben sehr einfach zu handhaben seien. Häufig funktioniere das Einführen eines Tampons am Anfang nicht so gut; dann sollte man die Tochter bestärken («Das wird schon mit der Zeit», «Dann nimmst du eben nicht am Schwimmunterricht teil»). Vaginale Cremes oder Gleitgel können hier helfen. Auch für die richtige Anwendung einer Menstruationstasse brauche es etwas Erfahrung mit dem eigenen Körper. «Deshalb ist dies am Anfang vielleicht nicht das richtige Produkt», findet die Gynäkologin.
Eltern, rät die Fachfrau, sollten ihre Tochter ruhig unterstützen, einen Überblick über die zahlreichen Produkte zu bekommen, damit sie schauen kann, was sich für sie gut anfühlt. Auch eine Binde immer in der Schultasche zu haben, ist sinnvoll, weil die Periode am Anfang oft noch recht unregelmässig kommt, so die Gynäkologin. Nach wie vor gibt es nämlich kaum Schul-WCs, die mit Menstruationsartikeln ausgestattet sind. «Weniger als zehn Prozent», schätzt Vera Studach, die viel in Schulhäusern unterwegs ist. «Das ist wirklich äusserst schwach.»
Bücher anstatt Social Media
Auch bei den zahlreichen Kanälen, die unzählige Infos zu Menstruation und Zyklus anbieten, sollten Eltern dem Nachwuchs beim Filtern helfen. Alleine auf Social Media gibt es eine schier unüberschaubare Flut an Beiträgen – die mal mehr, mal weniger gut recherchiert sind. Beide Expertinnen empfehlen deshalb vor allem Bücher zum Thema, in denen Jugendliche immer mal wieder blättern können, oder fundierte Websites.
… über den weiblichen Zyklus
- Josiane Hosner: Back to the roots – Zyklisch leben mit immenser Freude. 2020 im Selbstverlag herausgegeben, 243 Seiten, zu bestellen über www.quittenduft.ch, 29 Fr., für Mädchen und Frauen empfohlen
- Antje Heymann: Happy Period. So lernst du deinen Zyklus und Körper zu lieben. 2023 im Selbstverlag herausgegeben, 106 Seiten, zu bestellen über www.antjeheymann.com, ca. 30 Fr., für Mädchen empfohlen.
- Chella Quint: Period Positivity. Endlich Schluss mit den Tabus! Hier erfährst du alles über Menstruation, Zyklus und Co. DK Verlag 2022, 160 Seiten, ca. 25 Fr., für Mädchen empfohlen.
- Luisa Stömer, Eva Wünsch: Ebbe und Blut. Goldmann Verlag 2018, 240 Seiten, ca. 25 Fr.
… über Sexualität, Körper und Gefühle
- Magdalena Heinzl: Was kribbelt da so schön? Von Beginn an aufklären für einen selbstbewussten Zugang zu Sexualität, Körper und Gefühlen. Beltz Verlag 2023, 269 Seiten, ca. 30 Fr.
- Sanderijn van der Doef: Kleine Menschen – grosse Gefühle. Die sexuelle Entwicklung von Kindern (0–12 Jahre). Beltz Verlag 2015, 173 Seiten, ca. 27 Fr.
- Nadine Beck, Rosa Schilling: Sex in echt. Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät. Friedrich Oetinger Verlag 2022, ca. 28 Fr.
Übrigens: Die erste Regelblutung ist kein zwingender Grund, schnell einen Termin bei der Gynäkologin zu vereinbaren. «Viele junge Frauen kommen das erste Mal zu mir, wenn sie Beschwerden haben – Schmerzen oder starke Blutungen zum Beispiel. Oder wenn es um das Thema Verhütung geht», sagt Anne Renner. Doch der Gyn-Besuch kann auch eine gute Option sein, wenn der Nachwuchs noch eine andere Ansprechperson für seine drängenden Fragen sucht. Oder Eltern das Gefühl haben, nicht alles beantworten zu können. «Beim ersten Besuch leiste ich deshalb meist nur Aufklärungsarbeit und untersuche gar nicht», so Anne Renner.
* Ist in diesem Text von Mädchen oder Frauen die Rede, sind alle Personen gemeint, die menstruieren.