Die emotionale Stärke von Jugendlichen fördern
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Die emotionale Stärke von Jugendlichen fördern

Lesedauer: 3 Minuten

Das Üben von sozialen und emotionalen Fähigkeiten kann die psychische Gesundheit von jungen Menschen verbessern.

Text: Alex Lloyd
Bild: Adobe Stock

Können Sie sich noch an Situationen erinnern, in denen Sie sich als Teenager mit Freunden gestritten haben? Und wie Sie anschliessend Ihren Frust an einem Familienmitglied ausgelassen haben? Beziehungen und Emotionen hängen eng zusammen – ganz besonders in der Pubertät.

Obwohl Beziehungen manchmal negative Emotionen auslösen können, können sie auch unseren Optimismus und den positiven Austausch mit anderen unterstützen. Eine Überraschungsparty zum Geburtstag kann beispielsweise ein fröhliches Erlebnis sein, das positive Erinnerungen mit Freundinnen schafft und Beziehungen unter Gleichaltrigen stärkt.

Auf lange Sicht kann das Zusammenspiel von Emotionen und Beziehungen die psychische Gesundheit beeinflussen, und zwar sowohl auf positive als auch auf negative Weise. Die Fähigkeit, Emotionen zu verarbeiten und gesunde Beziehungen zu pflegen, kann Teenager davor bewahren, sich in Negativspiralen zu verfangen, die psychische Probleme auslösen oder verschlimmern können.

Die Negativspirale durchbrechen 

Die gute Nachricht ist, dass es Strategien gibt, die Jugendlichen helfen, solche Negativspiralen zu durchbrechen. Meine Kollegen und ich verwenden dafür die Begriffe «Ich-Strategien» und «Wir-Strategien».

«Ich-Strategien» können Jugendliche dabei unterstützen, ihre Emotionen zu verarbeiten und ihre Gefühle gegenüber einer Situation zu verändern. Folgende Strategien stehen alle im Zusammenhang mit positiven Auswirkungen auf die mentale Gesundheit:

  • Wer nach positiven statt negativen Emotionen im Gesichtsausdruck von anderen Menschen sucht, trainiert die Emotionswahrnehmung. Mit diesem Ansatz lernen Teenager, positive Emotionen im Gegenüber zu identifizieren. Sie überwinden so die natürliche Neigung, Gesichtsausdrücke als negativer zu beurteilen, als sie tatsächlich sind.
  • Wer (positive) Selbstgespräche führt, hat die Möglichkeit, sich von einer Situation zu distanzieren oder diese weniger negativ zu bewerten. Damit trainieren wir die Emotionsregulierung. Selbstgespräche wie diese helfen Jugendlichen dabei, eine Situation zu relativieren und ihre Emotionen anzupassen.
  • Durch die Wahrnehmung von physischen Veränderungen wie einem erhöhten Puls können Teenager Emotionen erkennen. So trainieren sie die interozeptive Wahrnehmung – also das Verständnis für die Signale ihres Körpers.

Das Üben solcher Strategien zur Emotionsverarbeitung kann die mentale Gesundheit verbessern. Meines Wissens gibt es keine Studie, die spezifisch darauf fokussiert, junge Menschen zu unterstützen, diese Fähigkeiten im Alltag anzuwenden. Stattdessen versuchen Forschende diese Fähigkeiten in einer Laborumgebung zu trainieren. Dabei berücksichtigen sie nicht, wie diese Strategien in der Realität eingesetzt werden könnten.

Die von uns als «Wir-Strategien» bezeichneten Techniken helfen Teenagern dabei, Beziehungskonflikte zu lösen. Viele dieser Strategien mögen vertraut klingen. Dazu gehören, sich in andere hineinzuversetzen, jemandem gegenüber nachsichtig zu sein und Ich-Botschaften zu verwenden, wenn man über die eigenen Gefühle spricht. Doch wir vergessen diese Strategien oft in der Hitze des Gefechts – also gerade dann, wenn sie besonders hilfreich wären.

Konstruktiv mit dem Gegenüber auseinandersetzen

Meine Kollegen und ich ermutigen Teenager dazu, darüber nachzudenken, wie sie diese Strategien bei einem Streit anwenden würden. Das kann sie befähigen, weitere Konflikte zu vermeiden. Indem sie «Wir-Strategien» einsetzen, denken sie über die Gründe für ein Problem nach und darüber, wie sie sich konstruktiv mit dem Gegenüber auseinandersetzen können, um das Problem zu lösen. So könnte eine Jugendliche zum Beispiel Ich-Botschaften verwenden, um einem Freund zu erklären, warum sie in letzter Zeit das Gefühl hatte, ignoriert zu werden.

Früher tendierten Forschende dazu, ihren Fokus entweder auf soziale Fähigkeiten zu legen oder auf die Fähigkeit, Emotionen zu verarbeiten – aber nicht auf beides. Beide Fähigkeiten gleichzeitig anzugehen, könnte jedoch der Schlüssel sein, um das Entstehen oder Verschlimmern von mentalen Problemen in der Pubertät zu verhindern. Menschen mit mentalen Problemen kämpfen häufig mit ihren Emotionen und haben Mühe, eine Beziehung zu ihrem Umfeld aufzubauen. 

Erhalten Jugendliche die Fähigkeiten, ihre Emotionen auf gesunde Weise zu verarbeiten, kann das den Ausbruch von psychischen Problemen verhindern.

Vor diesem Hintergrund testen wir neuartige Interventionen an Schulen, bei denen wir Jugendlichen diese «Ich-» und «Wir-Strategien» in Gruppensitzungen beibringen. Das Ziel des sogenannten ReSET-Projekts (Building Resilience through socio-emotional Training) ist die Verminderung von Negativspiralen. Gleichzeitig werden Fähigkeiten vermittelt, die Positivspiralen unterstützen. Diese sollen die Entwicklung oder Eskalation von mentalen Problemen verhindern.

Die Pubertät ist eine kritische Phase in der sozialen und emotionalen Entwicklung. Erhalten Jugendliche die Fähigkeiten, ihre Emotionen auf gesunde Weise zu verarbeiten und mit ihrem Umfeld zu kommunizieren, kann das den Ausbruch oder eine Verschlimmerung von psychischen Problemen verhindern. Ich hoffe, dass unsere Versuche Jugendlichen dabei helfen, diese häufig schwierige Phase in ihrem Leben zu meistern.

Dieser Text erschien zuerst in englischer Sprache auf BOLD – Blog on Learning and Development.

BOLD

Die Plattform BOLD, eine Initiative der Jacobs Foundation, hat sich zum Ziel gesetzt, einer weltweiten und breiten Leserschaft näherzubringen, wie Kinder und Jugendliche lernen. Spitzenforscherinnen wie auch Nachwuchswissenschaftler teilen ihr Expertenwissen und diskutieren mit einer wissbegierigen Leserschaft, wie sich Kinder und Jugendliche im 21. Jahrhundert entwickeln und entfalten, womit sie zu kämpfen haben, wie sie spielen und wie sie Technologien nutzen.

Mehr lesen: www.bold.expert

Alex Lloyd
ist ein Postdoc Research Fellow am University College London (UCL). Er schloss sein Doktorat an der Royal Holloway University of London ab. Im Rahmen seiner Forschung untersuchte er, wie Jugendliche ihre Umgebung erforschen und warum dieser Prozess für die Entwicklung der im Erwachsenenleben benötigten Unabhängigkeit so wichtig ist.

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