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Ist guter Schlaf lehrbar?

Lesedauer: 3 Minuten

Viele Jugendliche schlafen nicht genug. Dabei ist ein gesunder Schlaf wichtig fürs Lernen. Eltern müssen aber aufpassen, dass das Schlafverhalten nicht zum Angstfaktor wird.

Text: Annie Brookman-Byrne
Bild: Harry & Lidy/Plainpicture

Dieser Text erschien zuerst in englischer Sprache auf www.boldblog.org

Schlaf ist wichtig für den Lernprozess. Einerseits sorgt er dafür, dass die Schüler ausgeruht und lernbereit sind, andererseits wird das am Tag Gelernte im Schlaf gefestigt. Für Jugendliche, die typischerweise lange aufbleiben und morgens nicht aus dem Bett kommen, stellt der Schlaf eine beson­dere Herausforderung dar.

Viele glauben, dass sich Teenager bewusst dafür entscheiden, abends lange aufzubleiben und morgens faul im Bett zu liegen. Doch das ist zu kurz gedacht. Während dieser Lebensphase verändert sich vielmehr die «innere Uhr» (der Schlaf-Wach-Rhythmus).

Das bedeutet, dass Jugendliche nicht müde sind, wenn die Eltern sie ins Bett schicken, und nicht wach werden, wenn sie sich für die Schule bereit machen müssen.

Viele Schüler schlafen deshalb weniger als empfohlen, was ihre Lernleistung beeinträchtigt. Manche Schulen haben versucht, sich darauf einzustellen, indem sie die Schulzeiten nach hinten verschoben haben, der Schultag also später beginnt und endet.

Eine Studie aus den USA ­zeigte, dass die Jugendlichen so mehr Schlaf bekamen, und widerlegte zugleich die ­These, sie entschieden sich bewusst für weniger Schlaf. Auch wurden die Noten besser und die Absenzen weniger.

Eine US-Studie zeigte, dass Jugendliche bei späteren Schulzeiten mehr Schlaf und bessere Noten bekamen sowie weniger fehlten.

In Grossbritannien sollte mit dem Projekt «Teensleep» der Education Endowment Foundation die Auswirkung eines späteren Schulbeginns ebenfalls untersucht werden. Leider waren die Schulen nicht in der Lage, die dafür nötigen Veränderungen vorzunehmen. Stattdessen wurden die Schüler über die wichtige Rolle von Schlaf für den Lernprozess aufgeklärt.

Die Vorstudie zeigte, dass diese Aufklärung den Schlaf zwar nicht direkt verbesserte, dafür aber andere positive Auswirkungen hatte. So machten die ­Schülerinnen und Schüler tagsüber weniger oft ein Nickerchen und entwickelten ein stärkeres Bewusstsein für gesundes Schlafverhalten.

Forschung lässt sich in der Schule nicht so einfach anwenden

Die Pilotstudie zeigt, dass sich wissenschaftliche Forschung in der Schule nicht so einfach anwenden lässt, indem Theorien getestet und die Ergebnisse dann grossflächig umgesetzt werden. Zwar weisen die bisherigen Erkenntnisse darauf hin, dass ein späterer Schulbeginn die Lernleistung verbessert, allerdings ist es unmöglich, deshalb sämtliche Schulzeiten umzustellen.

Eine Veränderung dieser Grössenordnung hätte auch Auswirkungen auf die Arbeitszeiten der Lehrpersonen, den Alltag der Eltern und sogar auf den Fahrplan der Schulbusse. Dies ist ein Beispiel dafür, dass eine Leistungsverbesserung der Jugendlichen nicht das alleinige Kriterium für die Übersetzung von Forschungsergebnissen in die Klassenzimmer sein kann.

Vielmehr sollten Schulen die wissenschaftlichen Erkenntnisse in Betracht ziehen und aufgrund ihrer eigenen Werte und Prioritäten die für sie beste Entscheidung treffen. Dasselbe gilt für jede wissenschaftliche Empfehlung.

Lehrpersonen könnten bei der Vorbereitung ihrer Stunden die Unterrichtszeit und die voraussichtliche Müdigkeit der Schüler berücksichtigen.

Zwar zeigte in Grossbritannien das Aufklärungsprogramm zum Schlafverhalten nur minimale Wirkung, doch könnte es durchaus sein, dass die Jugendlichen über einen längeren Zeitraum hinweg von einem gesünderen Schlafverhalten überzeugt werden könnten. Andere Aufklärungsprojekte waren erfolgreicher und hatten bessere Noten zur Folge, die auf längeren Schlaf zurückgeführt werden konnten.

Auch ein stärkeres Bewusstsein in der Lehrerschaft für die Bedeutung von Schlaf könnte von Vorteil sein. So wäre es beispielsweise möglich, bei der Vorbereitung von Unterrichtsmaterialien die Unterrichtszeit und die voraussichtliche Müdigkeit der Schülerinnen und Schüler zu berücksichtigen. 

BOLD Blog

Der Blog, eine Initiative der Jacobs ­Foundation, hat sich zum Ziel gesetzt, einer weltweiten und breiten Leserschaft näherzubringen, wie Kinder und Jugendliche lernen. ­Spitzenforscherinnen wie auch Nachwuchswissenschaftler teilen ihr Expertenwissen und diskutieren mit einer wissbegierigen Leserschaft, wie sich Kinder und Jugendliche im 21. Jahrhundert entwickeln und entfalten, womit sie zu kämpfen haben, wie sie spielen und wie sie Technologien nutzen.  Mehr lesen: www.boldblog.org

Obwohl es derzeit sinnvoll erscheint, über die Bedeutung von Schlaf für den Lernprozess aufzuklären, sollten wir von einer Überbewertung unbedingt absehen. Denn natürlich ist der Schlaf nur einer von vielen Faktoren, die sich auf unsere Lernfähigkeit auswirken.

Wenn sich Jugendliche, die ohnehin nicht genug Schlaf bekommen, zu sehr mit ihrem Schlafverhalten beschäftigen, kann das zu wenig konstruktiven Ängsten führen – ähnlich wie bei manchen Erwachsenen, die Sleep-Tracker-Apps nutzen.

Trotzdem bleibt das Thema angesichts des Schlafmangels, unter dem viele Schülerinnen und Schüler unter der Woche leiden, ein Schwerpunktbereich für alle, die die Lernleistung von Jugendlichen verbessern wollen.

Annie Brookman-Byrne
ist stellvertretende Redaktionsleiterin der Fachzeitschrift «The Psychologist» der British Psychological Society. Davor forschte sie am Birkbeck College der Universität London im Bereich Neurodidaktik und befasste sich mit dem naturwissenschaftlichen und ­mathematischen Denken bei Jugendlichen.

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