Mein Kind trödelt! - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Mein Kind trödelt!

Lesedauer: 4 Minuten

Wenig bringt Eltern so sehr auf die Palme wie Kinder, die trödeln. Warum kann sich die Tochter nicht einfach anziehen und an den Frühstückstisch kommen? Wie man Trödlern sanft auf die Sprünge hilft.

Text: Fabian Grolimund
Illustration: Petra Dufkova/Die Illustratoren

Dieser Artikel wurde am 19. Oktober 2022 aktualisiert.

Als wir bei einem Eltern-Kind-Seminar zum Thema Lernen Eltern und Kinder getrennt voneinander befragt haben, was sie am meisten nervt, stand das Trödeln bei den Eltern weit oben. Für die Kinder war dies keine Überraschung. Sie wussten, dass ihre Tagträume und ihre Langsamkeit die Eltern störten – schliesslich hörten sie den ganzen Tag «Beeil dich!», «Mach vorwärts!», «Bist du immer noch nicht weiter?!» Die Eltern jedoch überraschte die Antwort der Kinder auf die Frage, was für sie das Schlimmste überhaupt sei. Die Mehrzahl sagte: das ständige Hetzen und Drängen der Eltern.

Erst durch diese Rückmeldung wurde den Eltern bewusst, wie sehr ihr ständiges Antreiben die Kinder beim Lernen unter Druck setzt, ihnen unbeschwerte Momente stiehlt und sie aus dem Spiel herausreisst.

Wir haben also auf der einen Seite Eltern, die ihren Tagesplan im Kopf haben, auf die Uhr schielen und dafür sorgen müssen, dass die Kinder rechtzeitig in der Schule oder beim Sport sind. Auf der anderen Seite stehen die Kinder, die im Moment leben, den Augenblick geniessen und sich in etwas vertiefen möchten. Wie können Familien in diesem Punkt zueinanderfinden?

Hören Sie auf, das Kind zu drängen!

Der oft geäusserte Vorschlag, die Eltern sollen die Kinder früher wecken, damit sie am Morgen nicht hetzen müssen, bringt wenig. Meist dauert dann alles noch etwas länger.

Doch auch das ständige Antreiben nützt herzlich wenig. In den letzten Jahren habe ich vielen Eltern die Frage gestellt: «Was passiert, wenn Sie Ihr Kind dazu drängen, sich zu beeilen? Wird es dadurch langsamer oder schneller?» Die allermeisten Eltern antworteten: Mein Kind wird noch langsamer.

Kinder, die zum Träumen und Trödeln neigen, flüchten sich vermehrt in Tagträume, wenn sie unter Druck gesetzt werden.

Mir scheint, dass Kinder, die zum Träumen und Trödelnneigen, sich vermehrt in Tagträumeflüchten, wenn sie von aussen unter Druck gesetzt werden. Sie blenden die fordernde Welt, die gestressten Eltern, den vollen Terminkalender aus, um einen Moment der Ruhe zu finden. Mein Vorschlag wäre daher: Hören Sie auf, «Beeil dich!» zu sagen.

Wenn Sie möchten, können Sie es mit mehr Struktur versuchen – dies hilft verträumten Kindern, sich nicht zu verlieren. Hat ein jüngeres Kind beispielsweise Mühe, sich morgens zügig anzuziehen, können Sie einen Parcours mit seinen Kleidern legen: die Unterhose neben das Bett, das T-Shirt auf die Türschwelle, die Socken in den Gang, die Hosen in die Küche. Ihr Kind bewegt sich vom Zimmer zum Frühstück, während es sich anzieht.

Bei älteren Kindern kann eine Playlist mit einer fixen Abfolge von Songs helfen. Schalten Sie morgens die Liste mit den Lieblingsliedern Ihres Kindes ein. Das erste Lied darf es im Bett hören, die nächsten drei unter der Dusche, das fünfte beim Abtrocknen, das sechste beim Anziehen.

Kinder lassen sich lieber sanft von ihren Lieblingsliedern aus der Tür begleiten als von genervt hervorgepressten Kommentaren.

Warum ist mein Kind so langsam? Psychologin Stefanie Rietzler erklärt und gibt Tipps.

Schützen Sie ihr Kind vor Druck, indem Sie das Pensum reduzieren

Manchmal bleibt Ihnen als Eltern eines langsamen Kindes nichts weiter übrig, als es vor dem Tempo und dem Druck der Welt zu bewahren. Manche Eltern von Träumerkindern berichten, dass ihre Kinder bereits in der Primarschule mehrere Stunden für die Hausaufgaben aufwenden.

Diese Kinder sind oft so schulmüde, dass sie während dieser Hausaufgabenmarathons kaum etwas zustande bringen. Dafür entwickeln sie eine immer grössere Aversion gegen das Lernen. 

Es fehlt ihnen an Freizeit und Erholungsräumen. Die dringend benötigten Pausen nehmen sie sich dann immer mehr während des Unterrichts, indem sie sich ausklinken, träumen und aus dem Fenster schauen.

Ich empfehle Ihnen in diesem Fall, die Zeit für die Hausaufgaben zu begrenzen. Reden Sie mit der Lehrperson, schildern Sie ihr, wie lange Ihr Kind für die Aufgaben braucht.

Fast alle Lehrpersonen sind offen für diesen Vorschlag: Das Kind macht 10 Minuten Hausaufgaben pro Schuljahr (zum Beispiel 40 Minuten in der vierten Klasse).

Hat es in dieser Zeit konzentriert gearbeitet, darf es die Hausaufgaben abbrechen. Sie als Eltern schreiben ins Hausaufgabenheft: «Hat 40 Minuten konzentriert gearbeitet.» Meist arbeiten die Kinder konzentrierter und schneller, wenn das Pensum reduziert wird.

Viele packt der Ehrgeiz, in dieser Zeit möglichst viel zu schaffen. Ihr Kind arbeitet noch besser, wenn Sie die Hausaufgaben gemeinsam planen, Ihr Kind die Arbeitszeiten mit kurzen Pausen unterbrechen darf und Sie ihm wirksame Lernstrategien vermitteln.

Vom Kind das Trödeln wieder lernen

Schliesslich möchte ich Ihnen vorschlagen, von Ihrem Kind zu lernen – und sich damit selbst etwas Gutes zu tun. Vertieft sich Ihr Kind gerne in ein Spiel? Beobachtet es jeden Käfer auf dem Weg? Ist es ihm egal, wenn der Einkauf etwas länger dauert und Sie den Bus verpassen?

Ob Sie darauf gestresst reagieren oder diese Momente mit Ihrem Kind geniessen können, hängt stark davon ab, was Sie sich vornehmen.

Wenn Sie Ziele wie «Einkaufen» oder «Geschirrspüler einräumen» im Kopf haben, werden Kinder mit ihren Plänen, ihrem Spiel und ihrem eigenen Kopf zu einem Hindernis auf dem Weg zu Ihrem Ziel. Hindernisse frustrieren und ärgern uns.

Je stärker Sie sich einem bestimmten Zeitplan verpflichtet fühlen, desto grösser der Frust – und desto mehr stellen sich die Kinder quer.

Lassen Sie sich öfter mal auf den Rhythmus Ihres Kindes ein und geniessen Sie es, selbst langsamer zu werden.

Darf ich Ihnen ein Experiment vorschlagen? Setzen Sie sich nächste Woche an zwei Nachmittagen das Ziel, Zeit mit Ihren Kindern zu verbringen und sich auf deren Rhythmus einzulassen. Dabei gilt: Alles kann, nichts muss. 

Betrachten Sie es als Bonus, wenn Sie in dieser Zeit auch einkaufen oder die Wohnung aufräumen können. Fragen Sie sich am Ende dieser Nachmittage: Wie habe ich mich gefühlt? Wie war die Stimmung zwischen den Kindern und mir? Was haben wir gemacht?

Vielleicht bemerken Sie, dass Sie genauso gut vorankommen, dabei aber weniger Stress empfinden. Wir Erwachsenen leben nach der Uhr. Sich einmal auf den Rhythmus, das Lebenseinzulassen und die Dinge dann zu tun, wenn es sich richtig anfühlt, kann befreiend wirken.

Kurztipps für den Umgang mit langsamen, trödelnden und verträumten Kindern:

  • Verzichten Sie darauf, Ihr Kind zur Eile anzutreiben. Meist werden die Kinder dadurch noch langsamer.
  • Geben Sie dem Kind mehr Struktur, indem Sie mit ihm planen oder feste Abläufe einüben. 
  • Schützen Sie Ihr Kind vor Überforderung. Begrenzen Sie die Hausaufgabenzeit in Kooperation mit der Lehrperson. Es ist wichtiger, dass Ihr Kind lernt, kurze Phasen konzentriert zu arbeiten, als alles fertig zu machen.
  • Achten Sie gerade bei trödelnden Kindern darauf, dass Sie die Hausaufgaben durch kurze Pausen (5 Minuten) unterbrechen. Bewusste Pausen reduzieren das Bedürfnis, sich Pausen zu stehlen, indem man aus dem Fenster schaut und vor sich hinträumt. 
  • Lassen Sie sich öfter mal auf den Rhythmus des Kindes ein und geniessen Sie es, selbst langsamer zu werden und das Leben bewusster wahrzunehmen.
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Fabian Grolimund
ist Psychologe und Buchautor. Gemeinsam mit ­Stefanie Rietzler leitet er die Akademie für Lerncoaching in Zürich. Er ist verheiratet, Vater eines Sohnes und einer Tochter und lebt mit seiner Familie in Fribourg.

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