ADHS:Hyperaktive Kinder brauchen eine günstige Lernumgebung
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Hyperaktive Kinder brauchen eine günstige Lernumgebung

Lesedauer: 4 Minuten

Kinder mit der Diagnose ADHS haben spezielle Bedürfnisse. Was ihnen beim Lernen hilft, sind eine angepasste Unterrichtsatmosphäre sowie spezielle Lehrmittel.

Text: Friederike Blume und Dieter Baeyens
Bild: Adobe Stock

Sophies Lehrkräfte sind beunruhigt. Die Achtjäh­rige ist verträumt und vergesslich. Auch fällt es ihr schwer, still zu sitzen und zu warten, bis sie an der Reihe ist. Ihre Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität sind Symptome einer Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung, kurz ADHS. Diese medizinische Dia­gnose wird bei Kindern mit einer starken Ausprägung dieser Schwierigkeiten gestellt.

Aber auch Kinder ohne diese Diagnose können in geringerem Masse davon betroffen sein. Ohne Unterstützung sind Sophies Lernerfolg und ihre schulischen Leistungen möglicherweise gefährdet. Für Sophies Lehrpersonen stellt sich nun die Frage, wie sie ihre Entwicklung, ihr Lernen und ihre schulischen Leistungen am besten unterstützen können.

Sophies Konzentrations- und Verhaltensschwierigkeiten in der Schule können auch daran liegen, dass das Klassenzimmer und die Lernumgebung ihren Bedürfnissen nicht gerecht werden. In Einklang mit der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sollten ihre Lehrkräfte daher Anstrengungen unternehmen, um ihre Lernumgebung passender zu gestalten.

Durch eine Flexibilisierung der Unterrichtsformen können alle Schülerinnen ihr Wissen auf die Weise zeigen, die ihnen am besten liegt.

Hilfestellung bieten beispielsweise Leitlinien für den Umgang mit ADHS-Symptomen innerhalb und ausserhalb des Klassenzimmers. Mit Unterstützung von Experten, zum Beispiel Schulpsychologen, können sie umgesetzt werden. Und obwohl es grosse Unterschiede bei Kindern mit einer ADHS-Diagnose gibt, können Lehrkräfte einige Massnahmen ergreifen, um Schülerinnen und Schülern wie Sophie zu helfen.

Individualisiertes Lernen ermöglichen

Sie können beispielsweise die Richtlinien des sogenannten «Universellen Designs für das Lernen» um-setzen. Diese haben zum Ziel, sicherzustellen, dass alle Schülerinnen und Schüler vergleichbare Möglichkeiten haben, erfolgreich zu sein. In der Praxis bedeutet dies, dass sie beispielsweise selbst entscheiden können, wie sie auf das Lernmaterial zugreifen, wie sie sich damit auseinandersetzen und wie sie zeigen, was sie wissen.

Dazu können Lehrkräfte sowohl digitale als auch akustische Informationen zur Verfügung stellen, die Verwendung von Kopfhörern mit Geräuschunterdrückung während der stillen Arbeit gestatten oder Rollenspiele und Diskussionen einsetzen, um die Schüler emotional zu beteiligen. Durch die Flexibili­sierung der Unterrichtsgestaltung erhalten alle Schülerinnen und Schüler – unabhängig davon, ob sie Konzentrations- und Verhaltensschwierigkeiten haben oder nicht – vielfältige Möglichkeiten, zu lernen und ihr Wissen auf die Weise zu zeigen, die ihnen am besten liegt.

Weitere Möglichkeiten, die Chancengleichheit zu verbessern, bestehen darin, die Unterrichts­methoden zu verändern, während die Leistungsanforderungen gleich bleiben. Inwieweit solche Änderungen allerdings tatsächlich wirksam sind, ist bislang kaum untersucht.

Ein Beispiel: Obwohl Studierende mit ADHS-Diagnose angeben, von einer verlängerten Bearbeitungszeit bei Prüfungen zu profitieren, gibt es bislang kaum Belege dafür, dass diese Massnahme tatsächlich zu besseren Ergebnissen führt. Eine weitere gängige Empfehlung lautet, Schüler mit ADHS in der Nähe ihrer Lehrkräfte sitzen zu lassen. Dies wirkt sich zwar positiv auf das Lernen aus, gilt jedoch im Allgemeinen für alle Schülerinnen und Schüler.

Beziehung zwischen Lehrerin und Schüler stärken

Welche Massnahmen konkret für einzelne Schülerinnen nützlich sind, hängt auch von individuellen Merkmalen der Kinder wie etwa ihrem Alter, ihren Stärken und ihren jeweiligen Bedürfnissen ab. Anpassungen sollten stets auf das Individuum und das Lernumfeld zugeschnitten sein. Zugleich sollten Lehrpersonen idealerweise die Wirksamkeit der etablierten Massnahmen genau über­wachen, um festzustellen, ob sie das gewünschte Ergebnis erzielen.

Durch verschiedene Arten der Unterstützung können Lehrkräfte dazu beitragen, dass ein Missverhältnis zwischen den Fähigkeiten des Einzelnen und dem Klassenumfeld vermieden oder verringert wird. Die Interaktion zwischen der Lehrkraft und dem Schüler kann dazu beitragen, dass sich Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität nicht verstärken.

Lehrkräfte können emotionale Unterstützung bieten, etwa indem sie mit den Kindern einfühlsam kommunizieren und ihre Sichtweisen berücksichtigen. Dadurch schaffen sie ein sicheres und geschütztes Umfeld, in dem die Kinder ihre sozialen Interaktionen ausprobieren und verbessern und ihre Emotionen besser regulieren können. Für Kinder mit Verhaltens- und Konzentrationsschwierigkeiten sind emotional unterstützende Interaktionen besonders wichtig.

Organisatorische Unterstützung ist für unaufmerksame, hyperaktive und impulsive Kinder ebenfalls hilfreich. Durch eine gute Klassenführung können Lehrkräfte das Verhalten ihrer Schüler unauffällig und vorausschauend steuern, sodass Aufmerksamkeit und lernförderliche Verhaltensweisen unterstützt werden. Indem sie Erwartungen klar formulieren und als Vorbilder fungieren, verdeutlichen sie ihren Schülerinnen und Schülern, wie sie sich verhalten sollen und wie sie ihr eigenes Lernen verbessern können.

Klare Leitplanken fördern die Lernbereitschaft

Durch unterstützende Massnahmen im Unterricht, beispielsweise passende Lernangebote mit angemessenem Schwierigkeitsgrad, können Lehrkräfte schliesslich auch kognitive Fähigkeiten und die Lernbereitschaft ihrer Schülerinnen ­fördern und Lernergeb­nisse ver­bessern. Im Rahmen sorgfältig konzipierter Lernaktivitäten erhalten Kinder ausreichend Zeit, auf einem Schwierigkeitsniveau zu üben, bevor sie zum nächsten übergehen.

Geeignete Aufgaben fördern die Fähigkeit zum Lösen von Problemen und helfen dabei, diese Fähigkeiten in neuen Situationen einsetzen zu können. Darüber hinaus unterstützen gezielte Rückmeldungen der Lehrkräfte, auch Scaffolding genannt, Schüler dabei, ein Lern- und Leistungsniveau zu erlangen, das sie alleine sonst nicht erreichen würden. Ist die Beziehung zwischen Lehrkraft und Schülerinnen oder Schülern vertrauensvoll und frei von Konflikten, wird die Wirkung solch positiver Interaktionen noch verstärkt.

Was in einer bestimmten Unterrichtsstunde hilft, muss in einem anderen Kontext nicht ebenso helfen.

Lehrkräfte, die Kinder mit Konzentrations- und Verhaltensschwierigkeiten unterrichten, wissen, wie verschieden diese Kinder sein können. Sie haben unterschiedliche Stärken und Bedürfnisse, reagieren unterschiedlich auf Fördermassnahmen und unterscheiden sich vielleicht auch noch von Tag zu Tag. Was in einer bestimmten Unterrichtsstunde hilft, muss in einem anderen Kontext nicht ebenso helfen.

Bisherige Forschungs­ergebnisse berücksichtigen solche Unterschiede allerdings kaum. Zukünftige Studien sollten daher der Frage nachgehen, welche Massnahmen welche Schülerinnen und Schüler unter welchen Rahmenbedingungen am wirksamsten unterstützen. Diese Erkenntnisse sollen Lehrkräfte dabei unterstützen, Kindern wie Sophie stets die bestmöglichen Lernbedingungen bieten zu können.

Dieser Text erschien zuerst in englischer Sprache auf BOLD – Blog on Learning and Development.

BOLD

Die Plattform BOLD, eine Initiative der Jacobs Foundation, hat sich zum Ziel gesetzt, einer weltweiten und breiten Leserschaft näherzubringen, wie Kinder und Jugendliche lernen. Spitzenforscherinnen wie auch Nachwuchswissenschaftler teilen ihr Expertenwissen und diskutieren mit einer wissbegierigen Leserschaft, wie sich Kinder und Jugendliche im 21. Jahrhundert entwickeln und entfalten, womit sie zu kämpfen haben, wie sie spielen und wie sie Technologien nutzen.

Mehr lesen: www.bold.expert

Dieter Baeyens
ist Professor in der Arbeitseinheit Erziehung und Sonderpädagogik an der belgischen Universität KU Leuven sowie klinischer Psychologe und Verhaltenstherapeut.

Friederike Blume
ist Habilitandin in der Abteilung Bildung und Entwicklung am Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation DIPF in Frankfurt (D).

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