Digitales Lernen nach dem Lockdown
Ein robustes und zukunftsfähiges Bildungssystem würde digitale und analoge Lernangebote kombinieren. Möglichkeiten dazu gäbe es viele.
Viele Eltern haben es am eigenen Leib erfahren: Homeschooling ist kein Zuckerschlecken! In den Medien wurde von den Schwierigkeiten und vom Frust für Kinder, Eltern und Lehrer berichtet. Werden wir nach dieser Krise zurückkehren zum Schulalltag, wie wir ihn vor dem Frühjahr 2020 kannten?
Die meisten würden darauf wohl antworten: Natürlich! Es ist wichtig, dass sich Schülerinnen, Schüler und Lehrpersonen im selben Raum befinden. Ein virtuelles Treffen ist selbstverständlich besser als gar keines, aber es ist keineswegs dasselbe. Ausserdem spielt die Schule eine entscheidende Rolle für eine funktionierende Wirtschaft, indem sie die Kinderbetreuung übernimmt, während die Eltern arbeiten – auch wenn diese Aussage politisch vielleicht nicht ganz korrekt ist. Doch was passiert nun?
Wissenschaftler und politische Entscheidungsträger werden die Erfolge und Misserfolge des Fernunterrichts während der Pandemie analysieren. Möglicherweise werden sie empfehlen, die nötige Software bereitzuhalten, damit im Krisenfall auf Fernunterricht umgestellt werden kann. Doch wenn sich Schulen und Universitäten bei der nächsten Krise in ein paar Jahren einfach auf die Reaktivierung bestehender Programme verlassen, werden sie feststellen müssen, dass diese bis dahin veraltet sind: Lizenzen wurden nicht verlängert, Inhalte nicht aktualisiert. Es kann gut sein, dass wir uns dann in einer ähnlichen Lage befinden wie in den letzten Monaten, als es in vielen Ländern nicht genug persönliche Schutzausrüstung gab.
Sinnvoller wäre ein anderer Ansatz: Wenn Schulen digitale und analoge Lernangebote systematisch kombinieren, müssen im Krisenfall lediglich die Anteile von herkömmlichem Unterricht und Fernunterricht angepasst werden, statt radikale Veränderungen vorzunehmen. Viele scheinen das Lernen von zu Hause für völlig neu zu halten. Aber haben Schüler nicht schon immer abends und am Wochenende auch daheim Aufgaben erledigt? Und integrieren Lehrer nicht schon heute das Internet in ihren Unterricht? Schüler teilen in Whatsapp-Gruppen Aufgaben, Lehrer laden Übungen in die Dropbox hoch und so weiter.
Hausaufgaben tragen zu sozialer Ungleichheit bei
Die Post-Covid-19-Schule wird teilweise digital bleiben müssen, denn Kinder haben schon immer auch zu Hause gelernt und daran wird sich nichts ändern. Allerdings hat die Forschung gezeigt, dass Hausaufgaben, egal ob digital oder analog, zu sozialer Ungleichheit beitragen. Während der Corona-Krise wird dieses Problem noch verstärkt durch ungleichen Zugang zu digitalen Technologien und Unterschiede in der Zeit, die Eltern der Schularbeit ihrer Kinder widmen können.
Die Vermeidung digitaler Tools stellt jedoch keine Lösung dar. Vielmehr sollte man diese Tools dazu einsetzen, Ungleichheit zu reduzieren. So könnten Eltern, die nicht zu Hause sind, ihren Kindern online bei den Hausaufgaben helfen. Gemeinnützige Organisationen könnten Schüler unterstützen, die zu Hause keine Hilfe bekommen. Künstliche Intelligenz könnte genutzt werden, um Schulen zu informieren, wenn Kinder Lernschwierigkeiten haben, und so weiter.
Nach der Krise wird die ewige Suche nach der idealen Lern- und Lehrplattform weitergehen. Doch es gibt sie nicht, die eine Technologie, die alle Erwartungen erfüllt. Vielmehr nutzen Schulen für unterschiedliche Aktivitäten verschiedene Programme: zum Beispiel Moodle für die Organisation von Aktivitäten, Google Drive zum Teilen von Dokumenten, E-Mail, Zoom oder Slack für die Kommunikation und interaktive Anwendungen für Rechenübungen und naturwissenschaftliche Simulationen.
Eine schlechte Lernplattform kann ein Projekt zunichtemachen – doch eine gute ist noch lange keine Garantie für Erfolg. Damit das Online-Lernen gelingt, sollte man weniger auf die Auswahl der Software achten als auf die Qualität der Lernaktivitäten, die die Schüler damit erledigen.
Wir sollten uns an den Gedanken gewöhnen, digitale und analoge Aktivitäten systematisch zu kombinieren.
Es wird gerne darauf hingewiesen, dass Lehrer für den Umgang mit digitalen Technologien nicht ausreichend geschult seien. Doch um welche Fähigkeiten geht es hier eigentlich? Die meisten Lehrer sind durchaus in der Lage, im Internet Flüge zu buchen oder ihre Steuererklärung abzugeben. Die Technik von Lernsoftware ist auch nicht komplizierter als Programme, die wir in unserem Alltag ohnehin schon nutzen. Neben den unvermeidlichen technischen Störungen liegt das wahre Problem bei der Verwendung digitaler Lernplattformen nicht darin, wie man die Software anwendet, sondern in der Frage: Was kann ich online mit meinen Schülern machen?
Wenn wir uns an den Gedanken gewöhnen, digitale und analoge Aktivitäten systematisch zu kombinieren, dann können wir in einer Post-Covid-19-Welt dieselbe Videotelefoniesoftware für eine Vorlesung, ein physikalisches Experiment, eine praktische Demonstration im Biologieunterricht und für Schülerreferate nutzen. Es geht also weniger um die Programme als um deren pädagogisch- didaktischen Einsatz. Nach der derzeitigen Krise sollten wir uns darauf konzentrieren, Beispiele für erfolgreiche Online- Aktivitäten zu sammeln und zu teilen. Dieses Vorgehen wird uns helfen, ein stabiles System zu schaffen, das digitale und analoge Lernangebote kombiniert, deren Anteil bei Bedarf entsprechend angepasst werden kann.
Dieser Text erschien zuerst in englischer Sprache auf BOLD – Blog on Learning and Development.
Die Plattform BOLD, eine Initiative der Jacobs Foundation, hat sich zum Ziel gesetzt, einer weltweiten und breiten Leserschaft näherzubringen, wie Kinder und Jugendliche lernen. Spitzenforscherinnen wie auch Nachwuchswissenschaftler teilen ihr Expertenwissen und diskutieren mit einer wissbegierigen Leserschaft, wie sich Kinder und Jugendliche im 21. Jahrhundert entwickeln und entfalten, womit sie zu kämpfen haben, wie sie spielen und wie sie Technologien nutzen.
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