Wie wird die Schule zu einem glücklichen Ort?
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Wie wird die Schule zu einem glücklichen Ort?

Lesedauer: 4 Minuten

Menschen, Abläufe und Orte können Kindern dabei helfen, die Herausforderungen in einer Lernumgebung zu meistern.

Text: Julia Mori
Bild: Pexels

Mit 14 litt ich unter Prüfungsangst. Ich hatte Angst, Fehler zu machen, und war unsicher, wie meine schulischen und beruflichen Chancen waren. Oft arbeitete ich bis zwei Uhr früh, um meine Hausaufgaben zu perfektionieren und mich zu beweisen. Meine Angst zu versagen stand im Gegensatz zum Spass, den ich zusammen mit Gleichaltrigen hatte.

Ich erinnere mich daran, wie ein Lehrer mich an die Wandtafel rief, um eine chemische Formel zu lösen. Ich wusste die Antwort nicht, aber meine Freundin Alexandra steckte mir einen Zettel mit der Antwort zu. Ich war ihr so dankbar. Und ich fühlte mich durch dieses Erlebnis in der Klasse akzeptiert. Ereignisse wie dieses zeigten mir, dass man auch in unangenehmen Schulmomenten oft Positives erleben kann. Seither stosse ich in meiner Forschungstätigkeit immer wieder darauf, wie positive Beziehungen für Kinder der Schlüssel sind, um viele Schwierigkeiten in der Schule zu meistern. Das gilt ganz besonders für Beziehungen zu Gleichaltrigen wie meine Freundschaft mit Alexandra.

Meine Erfahrungen in der Schule haben mir geholfen, die Bedeutung des Wohlbefindens in der Schule zu erkennen.

Durch meine eigenen Schulerfahrungen habe ich erkannt, wie wichtig das Wohlbefinden in der Schule ist. Bei meiner Arbeit als Kleinkinderzieherin und Lehrerin habe ich erlebt, wie das Wohlbefinden der Schülerinnen und Schüler eine wichtige Triebkraft für ihr Lernen ist. Und weil ich verstehen wollte, wie man die Schule zu einem Ort machen kann, der den Bedürfnissen der Kinder gerecht wird, wurde ich Bildungsforscherin. Heute untersuche ich, wie ein Fokus auf das Wohlbefinden in der Schule zu einem positiven Unterricht beitragen kann. Das bedeutet, dass wir nicht nur den Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler beachten müssen, sondern auch ihre emotionale und soziale Entwicklung.

Meine Forschung wurde zum Teil vom 2016 erschienen UNESCO-Bericht «Happy Schools: A Framework for Learner Well-being in the Asia-Pacific» inspiriert. Der Bericht enthält eine umfangreiche Literaturübersicht und basiert auf Forschungsarbeiten wie Workshops mit Schulen, einer Umfrage und einem Seminar. Er bezieht die Stimmen von Interessenvertreterinnen und -vertretern wie den Schülerinnen und Schülern, Eltern, Lehrpersonen, Schulleitungen und schulischen Hilfskräften sowie der Öffentlichkeit ein. Die Forschung hat drei Faktoren identifiziert, die für eine glückliche Schule entscheidend sind: Menschen, Abläufe und Orte (3 Ps: People, Process, Place). Wenn diese drei Faktoren stimmen, sind Unterrichten und Lernen angenehm und machen Spass.

Eine glückliche Schule erschaffen

Der erste Faktor, die Menschen, befasst sich mit sozialen Beziehungen in der Schule. Laut dem Bericht sind Freundschaften und Beziehungen innerhalb der Schulgemeinschaft die wichtigsten Bestandteile einer glücklichen Schule. Positive und unterstützende Beziehungen in der Schule fördern die Motivation der Lernenden und deren Interesse an der Schule sowie ihr Streben nach schulischen und sozialen Zielen.

Der Bericht regt an, die Schülerinnen und Schüler zu Diskussionen zu ermutigen, um Empathie und Verständnis zu fördern. So könnten sie beispielsweise eine Geschichte aus verschiedenen Perspektiven analysieren. Schulen können auch positive Werte, Einstellungen sowie Verhaltensweisen im Klassenzimmer und durch Gruppenarbeiten kultivieren. Der Respekt vor Vielfalt und Unterschieden kann zum Beispiel durch Diskussionen über verschiedene Kulturen und Hintergründe oder über die Vorteile der Zusammenarbeit gefördert werden.

Der zweite Faktor, Abläufe, bezieht sich auf Unterrichts- und Lernmethoden, die das Wohlbefinden der Kinder verbessern. Die Verwendung von spannenden Inhalten aus dem Alltag wird das Unterrichten und Lernen sowohl für Lehrpersonen als auch für Schülerinnen und Schüler angenehmer machen. Das Wohlbefinden verbessert sich, wenn Fehler als Teil des Lernprozesses gewürdigt werden, die Lernenden zu Fragen ermutigt werden und wenn sie positives Feedback erhalten. Schulen können ausserdem Programme zum Wohlbefinden umsetzen oder Achtsamkeitsmeditationen für Schülerinnen und Schüler sowie für Lehrpersonen einführen.

Der dritte Faktor, Orte, betrifft die physische Umgebung und die Schulatmosphäre. Schulen können das Glücksgefühl fördern, indem sie eine sichere und freundliche Umgebung ohne Mobbing schaffen, die Dankbarkeit und Lächeln betont. Die Schulglocke kann durch Musik ersetzt werden. Lernen und Spielen können draussen in begrünter Umgebung stattfinden, die einen Bezug zur Natur fördert.

Wir sind alle gemeinsam verantwortlich dafür, die Kultur einer florierenden und glücklichen Schule voranzubringen.

Dieses auf Evidenz basierende Modell unterstreicht die Tatsache, dass das Wohlbefinden der Schülerinnen und Schüler von einer Reihe Faktoren auf unterschiedlichen Ebenen beeinflusst wird. Viele Schulsysteme haben erkannt, dass das Wohlbefinden ein wichtiger Teil der Schulerfahrung ist, und zwar ebenso wichtig wie die schulische Leistung. Die Förderung des Wohlbefindens wie auch der traditionellen schulischen Fähigkeiten ist ein komplexer Prozess, zu dem Lernende, Lehrpersonen, Schulen und die Gesellschaft beitragen müssen. Angesichts der globalen Veränderungen, Unsicherheiten und des Drucks einer sich ständig wandelnden Welt sind wir alle gemeinsam verantwortlich dafür, die Kultur einer florierenden und glücklichen Schule voranzubringen.

Die Einschränkungen der Covid-19-Pandemie haben es schwieriger denn je gemacht, diese drei Faktoren umzusetzen. Durch die Schulschliessungen hatten einige Schülerinnen und Schüler schlechte Internetverbindungen, begrenzten Zugang zu digitalen Technologien und nur minimale Interaktionen mit Lehrpersonen und Klassenkameradinnen und -kameraden. Das führte in vielen Fällen dazu, dass sie das Interesse und die Lernmotivation verloren. Die Auswirkungen der Pandemie auf das Leben und Wohlbefinden der Kinder dürften tiefgreifend und lang anhaltend sein.

Es gibt kein einfaches Rezept, wie sich der Charakter und die Atmosphäre einer Schule so umgestalten lassen, dass sie sich wie ein Zuhause anfühlt. Und es ist nicht immer möglich, diese beiden Bestandteile zu transformieren. Doch ich glaube fest daran, dass jede noch so kleine Anstrengung, um das Glücksgefühl und Wohlbefinden der Schülerinnen und Schüler zu fördern, etwas bewirken kann.

Ein Anfang wäre es, die kulturellen und linguistischen Unterschiede im Klassenzimmer wertzuschätzen; ein holistisches Lernen zu fördern, das auf die emotionale, intellektuelle und soziale Entwicklung fokussiert; den Schülerinnen und Schülern freizustellen, sich selbst auszudrücken, und einfache positive Aktivitäten wie Dankbarkeit zeigen in die Lektionen zu integrieren. Mit dem Ziel, eine glücklichere und fürsorglichere Gesellschaft zu gestalten, können kleine Schritte, die jetzt unternommen werden, später eine grosse Wirkung entfalten.

Dieser Text erschien zuerst in englischer Sprache auf BOLD – Blog on Learning and Development.

BOLD

Die Plattform BOLD, eine Initiative der Jacobs Foundation, hat sich zum Ziel gesetzt, einer weltweiten und breiten Leserschaft näherzubringen, wie Kinder und Jugendliche lernen. Spitzenforscherinnen wie auch Nachwuchswissenschaftler teilen ihr Expertenwissen und diskutieren mit einer wissbegierigen Leserschaft, wie sich Kinder und Jugendliche im 21. Jahrhundert entwickeln und entfalten, womit sie zu kämpfen haben, wie sie spielen und wie sie Technologien nutzen.

Mehr lesen: www.bold.expert

Julia Mori
ist Postdoktorandin und Dozentin am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Bern. Ihre Forschungstätigkeit befasst sich mit positiver Bildung, die nicht nur das wirksame Lernen in der Schule fördert, sondern auch die emotionale und soziale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen unterstützt.

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