Erwachsen werden in ungewissen Zeiten

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Unsere Kinder wurden in eine sich immer schneller wandelnde Welt hineingeboren. Das verunsichert. Wie junge Menschen mit dieser Unsicherheit leben können, soll auch die Schule vermitteln.
In den nächsten Wochen beginnt nicht nur für die Studierenden ein neues Kapitel ihres Lebens. In ganz Australien bereiten sich junge Menschen auf einen wichtigen Lebensabschnitt vor: den Übertritt in die Sekundarschule. Beide Bildungsumgebungen werden sich prägend auf die jungen Leute auswirken. Sie versprechen neues Lernen, Herausforderungen für Körper und Geist, Freundschaften und die erste grosse Liebe. Warum fürchten sich dann so viele davor? Und warum tun sich immer mehr junge Menschen schwer mit diesen Übergängen? So schwer, dass daraus zum Teil lebenslange psychische Probleme entstehen?
Psychische Belastungen nehmen bei jungen Menschen weltweit zu
Die Studierenden unten im Hof beginnen ihren neuen Lebensabschnitt, als die australischen Buschfeuer gerade von Überschwemmungen abgelöst werden. Sie wissen nicht, welche Teile des Landes noch bewohnbar oder erschwinglich sein werden, wenn sie sich einmal ein eigenes Zuhause aufbauen wollen. Sie sorgen sich um die Luftqualität und um die Folgen für die Kinder, die sie eines Tages haben möchten. Und sie erleben die negativen Auswirkungen von Naturkatastrophen und Pandemien auf die australische Wirtschaft.
Anders als die Babyboomer und ihre Kinder wurden heutige Jugendliche in eine instabile Welt geboren.
Doch die grösste Unsicherheit, der diese jungen Menschen ausgesetzt sind und die sie fürchten, ist ihr neues soziales Umfeld. Jugendliche reagieren auf soziale Ablehnung, besonders durch Mitschüler, sehr sensibel, und das wirkt sich negativ auf die Entwicklung ihres Selbstempfindens aus. Anerkennung ist für sie das wertvollste Gut.
Die meisten Erwachsenen können sich lebhaft an peinliche Momente vor ihren Mitschülern erinnern (ich zum Beispiel habe ausgerechnet dem Jungen, in den ich bis über beide Ohren verliebt war, aus Versehen meinen Salat ins Gesicht gespuckt) oder an tief sitzende, schmerzhafte Ablehnung. Und vielleicht erinnern sich diese Erwachsenen auch daran, damals in ihrem Zimmer Zuflucht gesucht zu haben, einem nicht-sozialen Raum. Im Zeitalter der sozialen Medien und mobilen Geräte ist es heute jedoch schwierig geworden, einen Ort zu finden, der von sozialer Kontrolle frei ist.
In der Schule dreht sich alles um gesichertes Wissen und Fakten
Im Zeitalter der sozialen Medien und mobilen Geräte ist es schwierig geworden, einen Ort zu finden, der frei von sozialer Kontrolle ist.
Lernen, mit Ungewissheit umzugehen
Wissenschaftlern ist bewusst, dass alles, was wir lernen, widerlegbar ist, und Forschung, so schreibt Nowotny, sei «ein starker, systematischer Prozess, der Unsicherheiten ausräumen will, nur um dann wieder mit neuen Unsicherheiten konfrontiert zu werden». Wenn wir in Kindern und der ganzen Gesellschaft ein Bewusstsein für diesen Prozess wecken, können unsere Jugendlichen ihrer äusserst unsicheren Zukunft vielleicht resilienter entgegenblicken.
Dieser Text erschien zuerst in englischer Sprache auf BOLD – Blog on Learning and Development im Februar 2020.
BOLD Blog
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