Eltern und Kinder auf verschiedenen Wellenlängen?

Bild: Pexels
Dieser Text erschien zuerst in englischer Sprache auf BOLD – Blog on Learning and Development.
Das extrovertierte Kind liebt starke Sinnesreize, die introvertierte Mutter gedämpftes Licht und leise Musik: Konflikte um die Mediennutzung hängen oft mit unterschiedlichen Sinneswahrnehmungen zusammen. Forscher haben Spannendes herausgefunden.
Ich erinnere mich noch gut an den Tag, an dem ich eine meiner heute besten Freundinnen kennenlernte und mir beim Gedanken an das Treffen der kalte Schweiss ausbrach. Damals war ich elf Jahre alt und musste an eine neue Schule wechseln. Das Mädchen war mir als «Buddy» zugewiesen worden, um mir den Einstieg zu erleichtern, und wir hatten uns den ganzen Sommer lang Briefe geschrieben (ja, ich bin alt genug, mit elf Jahren keine E-Mail-Adresse gehabt zu haben!). Ich mochte sie und war überzeugt, dass wir uns anfreunden würden.
Was bitte schön hat all das nun mit Forschung zu Kindesentwicklung und Technologie zu tun, fragen Sie sich?
Das Netz als sichere Umgebung
Dabei fiel auf – und hier kommt wieder meine eigene Geschichte ins Spiel –, dass Studienteilnehmer, die sich unter Menschen eher unwohl fühlen, das Internet als wertvoller für «intime Selbstoffenbarungen» einstuften als weniger unsichere Kinder. Was bedeutet das? Für Kinder, wie ich eines war, bei denen gewisse soziale Situationen Unbehagen, Verwirrung und manchmal richtiggehendes Grauen auslösen, dient das Internet als sichere Umgebung. Vor Kurzem veröffentlichten meine Freundin Stephanie Reich und ihre Studentin Joanna Yau eine Studie, die zeigte, dass Online-Freundschaften für Teenager ebenso real und wichtig sind wie Offline-Freunde.
Es geht nicht um Bildschirmzeit!
Erst letzten Sommer habe ich verstanden, dass es bei den Streitereien um «Bildschirmzeit» zwischen Mutter und Tochter eigentlich um etwas ganz anderes ging: Meine extrovertierte Schwester wollte sich unterhalten, meine introvertierte Nichte sehnte sich nach Ruhe. Und der Bildschirm war zu einem Symbol für diese Spannung geworden. Wenn Eltern sich sorgen, ihr Teenager verhalte sich nicht sozial genug, dann geht es dabei auch um eine Definition von «sozial», die Eltern sich wünschen oder erwarten. Ich weiss noch, wie ich einmal zu meiner Nichte gesagt habe: «Deiner Mutter bedeutet der Umgang mit Menschen genauso viel wie dir deine Bücher.» Sie blickte mich ungläubig an, ob der Tatsache, dass so etwas möglich sein sollte. Auch mir fällt es schwer, das zu verstehen, doch ich habe es mittlerweile akzeptiert.
Introvertierte Menschen sehen ihre Online-Identität als «wahres Ich» an.
Häufig haben Konflikte zwischen Eltern und Jugendlichen nicht mit der Mediennutzung per se zu tun, sondern damit, dass Eltern und Kinder unterschiedliche sensorische Umfelder bevorzugen. Mein Sohn und ich sind dafür ein gutes Beispiel: Er liebt starke Sinnesreize. Während er im Wohnzimmer fernsieht, möchte er sich gleichzeitig über das Geschehen unterhalten, mit einem lauten, blinkenden Spielzeug spielen und sich mit seinem Bruder beschäftigen. Dieser Sohn sieht sich nun mit einer Mutter konfrontiert, die gedämpftes Licht, leise Musik und ein gutes Buch mag.
Die Kinder besser verstehen
Ich bin froh über alles, das mir hilft, meine Kinder ein bisschen besser zu verstehen.
Bold Blog
wie auch Nachwuchswissenschaftler teilen ihr Expertenwissen und diskutieren mit einer wissbegierigen Leserschaft, wie sich Kinder und Jugendliche im 21. Jahrhundert entwickeln und entfalten, womit sie zu kämpfen haben, wie sie spielen und wie sie Technologien nutzen.
Mehr lesen: www.boldblog.org
Zur Person:
Weiterlesen:
- Always online? Jugendliche reflektieren Mediennutzung besser als Erwachsene! Anlässlich einer repräsentativen Studie der Hochschule für Soziale Arbeit der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) wurden 16- bis 25-Jährigen befragt: Wie erleben sie das permanente Online-Sein? Wo sind die Grenzen?
- Wie helfen Eltern der Generation Smartphone?
Damit Medien Spass machen und nicht zur Gefahr werden, brauchen Eltern eine grosse Medienkompetenz. Das ist anstrengend, trägt aber zu einer guten Eltern-Kind-Beziehung bei …