Wetteifern um das perfekte Foto aus den Ferien
Seit der Trennung verreisen unsere Kolumnistin und ihr Ex-Mann jeweils abwechselnd mit den Kindern. Und schicken sich gegenseitig Schnappschüsse des Nachwuchses aus den Ferien. Das nimmt zuweilen groteske Züge an.
Ben auf der Banane, Ben mit Babykamel, Ben an der Beachbar. Ich klicke auf Senden. Empfänger ist der Vater des Hauptmotivs. «Wieso schickst du dem das überhaupt?», fragt meine Urlaubsbekanntschaft links neben mir im afrikanischen Sand. Wir schauen aufs Meer.
Kurze Pause. Ja, warum eigentlich, nachdem wir länger getrennt sind, als wir je zusammen waren?
Um die fünftausend Fotos zuckersüsser, patschhändiger Knuddelbuben hab ich in meiner Foto-Mediathek.
«Da war gerade WLAN…», sage ich, in Ermangelung einer echten Antwort. Warum schicken sich getrennte Eltern, die nie (mehr) freiwillig ihren Urlaub gemeinsam verbringen würden, selbst Jahre nach der Scheidung noch Fotos ihrer gemeinsamen Kinder? Aus ihrer hochheiligen, privaten Quality-Holiday-Time?
So um die fünftausend Fotos zuckersüsser, patschhändiger Knuddelbuben vor Sandeimern, Schaufeln und Schwimmflügeln vor blauem Himmel, am Strand, im Meer hab ich in meiner Foto-Mediathek: sowohl meine Urlaubsfotos, als auch die ihres Vaters. Sie unterscheiden sich nicht nur in der Wahl der Hintergrund-Motive.
Inzwischen sind mein Hauptsujet Teenager mit Pickeln und Zahnspangen. In ihrer Abwesenheit während der Sommerferien mit ihrem Vater pausiert mein Job als Putzhilfe und Küchengerät. Wenn sie weg sind, koche ich nicht. Ich gehe meist essen, es gibt wenig aufzuräumen und ich kann arbeiten, ohne Hunderte von Malen «Mama, ich habe Hunger» zu hören. Ich stolpere nicht permanent über Turnschuhe, Salamisticks und Pingui-Papierchen, Socken, Hoodies. Und im Kühlschrank sind keine leeren Milchtüten.
Warum, bitteschön, sollte ich meine Söhne vermissen? Spätestens ab Tag Nummer drei ohne Lebenszeichen setze ich eine WhatsApp-Nachricht im Familien-Chat ab: «Und wie ist Sardinien? So still hier ohne euch…» Fehlte nur noch der Tränensmiley, als Dokumentation für die Leere meines Lebens.
Die darauf folgenden Bilderfluten, die ihr Vater vom Mittelmeer sendet, erinnern ein bisschen an den Film «Der talentierte Mr. Ripley». Goldgelockte, zart gebräunte Jünglinge, die mit blütenweissen Poloshirts ohne Schokoeis am Kragen durch marode, italienische Gassen flanieren. Musterknaben vor kultiviertem Essen, Muscheln mit Reis und Salat, sonnenbehütet im Schatten, ihre Nasen in Büchern.
Perfekt inszenierte Fotos
Klar, Bücher! Nicht, dass meine Söhne in meinen Ferien keine Bücher dabei hätten, es gibt bei uns sogar eine tägliche Lesepflichtstunde. (Ehrlich!) Ich finde nur lesende Kinder als Foto-Motiv irgendwie unspektakulär.
Seit also die Streberfotos in unserer Urlaubs-Korrespondenz Einzug gehalten haben, achte auch ich darauf, dass auf meinen Urlaubsbildern keine Pommes rot-weiss, Kaugummi-Eis oder Caspars sich pellende Schulter nach stundenlanger «Bronzage intensif» im flachen Salzwasser zu sehen sind. Schon ein Foto von Ben, der hinter einem Felsen mit einem Netz angelte, brachte mir prompt die Rückfrage ein, ob ich Ben auch durchgehend im Auge habe.
So hat jedes Familienmitglied seine eigene Art, Urlaubsgrüsse zu übermitteln.
Aber klar doch, schrieb ich und dachte: Wenn du wüsstest, wie oft wir den im Urlaub schon verloren haben! Wie oft Ben mir von der «Guardia Civil» oder wildfremden Leuten zurückgebracht wurde. Einmal von einem lesbischen englischen Paar, denen er erzählt hatte, seine Mama habe ihn ausgesetzt! Sie waren, glaube ich, kurz davor, ihn zu adoptieren.
Auf einem neueren Urlaubsbild sah Ben nach nächtlichem Discoprogramm in einer Clubanlage leicht lädiert aus. Sein Vater schrieb, nach Erholung sehe das ja nun wirklich nicht aus. Was soll ich da als Mutter antworten? Ja, das arme Kind bekommt bei mir kaum Schlaf, nichts zu essen, aber dafür Drogen fürs Durchfeiern?
Umgekehrt habe ich selbstverständlich wenig Grund, die sommerliche Rama-Familie auf den Fotos des Vaters meiner Kinder zu rügen. Sie alle scheinen mir zu sagen: «Schau her, Nicht-Schatz, also bei uns läuft es perfekt! Wir haben Spass und null Probleme…»
So hat eben jedes Familienmitglied seine eigene Art, Urlaubsgrüsse zu übermitteln. Auch Caspar, der letzten Sommer zum ersten Mal mit Kumpels und ohne Eltern nach Mallorca gereist war. Als auf meinem Handy-Display dieser rote, schielende Typ erschien, Hintergrund: Schinkenstrasse, Ballermann, dachte ich noch: Mensch, der sieht ja fast ein bisschen wie Caspi aus. Dann hörte ich: «Digga, bist du online, Digga, ich hau dir eine rein…» Dann noch ein «hicks» und «Alda, da war Mama!» Dann war die Verbindung gekappt.
Zuerst musste ich lachen, dann wurde ich ein bisschen traurig. War das wirklich derselbe Sohn, dessen dünne Bubenbeine eben noch in «Bob, der Baumeister-Shorts» steckten, nebst Flossen, Schnorchel und Taucherbrille? Mit diesem türkisen Schildkäppi mit Lightning McQueen aus «Cars» vorne drauf?
Foto an falschen Absender
Ben war knapp zwei, Caspar sieben, als wir drei zum ersten Mal ohne ihren Vater verreisten. Damals habe ich ihm noch lückenlos Urlaubsbilder durchgesteckt, als wär es meine Pflicht, wenn wir schon ohne ihn verreisten, zumindest stündlich Rapport zu erstatten. Inklusive kleiner Gehässigkeiten, wie zufälliger, muskulöser Latin-Lover im Hintergrund. Doch auch mich erreichten in diesem Urlaub diverse brennende Liebesgrüsse meines Ex – nur waren sie nicht für mich bestimmt, sondern für seine neue Freundin. Man kann sich schliesslich auch mal vertippen beim Senden!
Wenn Elternpaare länger getrennt sind, als sie je zusammen waren, sind die Phasen emotional-verstrickter Botschaften irgendwann dann auch vorbei. Wir schicken uns immer noch Fotos von unseren Kindern aus Urlaubs-Ländern dieser Welt. Wenn gerade mal WLAN da ist. Und vielleicht weil Urlaubsbilder Puzzleteile getrennter Kindheiten sind, die sich irgendwann mal zu einer zusammenfügen. Spätestens bei der Fotoshow am Diaprojektor zu ihrer Hochzeit.