Getrennt: So bleiben dem Kind beide Eltern erhalten
Kinder können eine Trennung gut meistern, wenn Mütter und Väter zusammen- statt gegeneinander arbeiten. Dies kann im kooperativen oder im parallelen Modell funktionieren. Erfahren Sie mehr in Teil 1 unserer Serie «Trennungseltern».
Kürzlich sprach eine meiner Kursteilnehmerinnen über ihr Familienleben nach der Trennung. «Mein Mann und ich streiten noch immer heftig, was unsere Tochter mitbekommt. Das ist doch nicht gut», sagte sie. Und: «Ich fände es daher besser, wenn Laura nur am Wochenende zu ihrem Vater ginge, anstatt wöchentlich zwischen uns beiden hin- und herzuwechseln.» Dann gäbe es ihrer Meinung nach weniger Konflikte.
Trotz einer Trennung gut miteinander kooperierende Eltern zu bleiben, ist aus verschiedenen Gründen anspruchsvoll. Oft bestehen emotionale Verletzungen weiter und destruktive Kommunikationsmuster müssen erst überwunden werden. Das erschwert kindgerechte Lösungen. Der Gedanke, den anderen Elternteil ausblenden zu können, damit innerer Frieden einkehrt, scheint verlockend. Diese Betrachtung kann aber schwerwiegende Folgen für die Entwicklung des Kindes haben.
Väter fordern zunehmend ihr Recht ein, auch unter der Woche ein wertevermittelnder Teil- oder Vollzeitvater zu sein. Oft zum Wohl des Kindes.
Unbestritten ist, dass Kinder unter bestimmten Bedingungen eine Trennung gut meistern können. Diese Meinung vertritt auch der Wissenschaftler, Jurist und Psychologe Jorge Guerra González. Er hat erwachsene Trennungskinder untersucht. Die Ergebnisse seiner Studie wurden im Herbst 2022 publiziert.
In seinem Bericht heisst es, dass es Trennungskinder im späteren Leben vor allem dann schwerer haben als Kinder aus intakten Familien, wenn die Eltern ihre Konflikte nicht von den Kindern fernhalten können – und darunter die Bindung zu einem Elternteil leidet. «Das Schlimmste, was Eltern tun können, ist, den Paarkonflikt auf die Kinder zu übertragen und ihnen einen Elternteil vorzuenthalten», sagt Guerra González.
Lieber ein Teilzeit- statt ein Wochenendvater
Seit der Einführung des gemeinsamen Sorgerechts bei Trennung und Scheidung im Jahr 2014 leben Eltern immer öfter die alternierende Obhut. Väter fordern zunehmend ihr Recht ein, auch unter der Woche ein wertevermittelnder Teil- oder Vollzeitvater zu sein. Oft zum Wohl des Kindes, denn Kinder, die nach der Trennung eine enge Beziehung zu beiden Elternteilen leben können, stärken damit ihre physische und psychische Gesundheit.
Die Forschung spricht von etwa fünf Prozent hochstrittig getrennten Eltern. Sie schaffen es nicht, Konflikte zugunsten der Kinder einzudämmen.
Ein Grossteil der Mütter und Väter kann nach der Trennung angemessen miteinander sprechen und auch einvernehmliche Lösungen für ihr Kind umsetzen. Sie haben die Paarebene hinter sich gelassen und realisieren, dass sie als Eltern miteinander verbunden bleiben. Auf der Elternebene klären sie in persönlichen oder telefonischen Gesprächen, wer beispielsweise zum Besuchsmorgen geht oder das Kind zum Wochenendturnier fährt. Diese Eltern leben das sogenannte «kooperative Elternmodell».
«Kinder, die in ihren Bedürfnissen wahrgenommen werden und ihre Eltern als fähig erleben, Beziehungen und Alltag konstruktiv zu meistern, haben guten Grund, zuversichtlich ins Leben zu gehen», sagt die Soziologin Muriel Degen von der Universität Basel.
Der andere Teil der Eltern schafft es aber nicht, Konflikte zugunsten der Kinder einzudämmen und sich über den Nachwuchs in sachlicher Weise auszutauschen. Die Grenzen zwischen Strittigkeit und Hochstrittigkeit sind fliessend. Die Forschung spricht von etwa 5 Prozent hochstrittig getrennten Eltern.
Kein Zuständigkeitsgerangel mehr
Damit Trennungskindern dennoch beide Elternteile erhalten bleiben und sie sich gesund entwickeln können, empfiehlt sich das Modell der «parallelen Elternschaft». In diesem Modell setzt jeder Elternteil in seiner Zeit mit den Kindern seine eigenen Regeln fest und geht gemeinsamen Terminen, Events oder Erlebnissen aus dem Weg.
1. Residenzmodell: Das Kind hat seinen zivilrechtlichen Wohnsitz bei einem Elternteil. Meistens ist dies die Mutter. Das Kind geht in der Regel jedes zweite Wochenende für einen oder zwei Tage zum anderen Elternteil, meist ist dies der Vater.
2. Wechselmodell oder alternierende Obhut: Die Eltern teilen sich die Obhut über das Kind, welches seinen zivilrechtlichen Wohnsitz jedoch nur bei einem Elternteil hat. Das Kind wechselt zwischen Vater und Mutter, beispielsweie jede Woche oder halbwöchentlich. Immer mehr Eltern leben mit ihrem Kind das Wechselmodell, bei dem dessen Lebensmittelpunkt erhalten bleibt.
3. Nestmodell: Das Kind behält seinen Wohnsitz in der Familienwohnung, in der es abwechselnd mit Vater und Mutter lebt. Jeder Elternteil hat zusätzlich eine eigene Wohnung.
Je grösser die Erziehungsverantwortung beider Elternteile ist, desto mehr gibt es zu klären. Hier kommt das kooperative oder parallele Elternmodell zum Tragen. Gelingt konflikthaften Eltern die Zusammenarbeit für das Kind nicht gut, sollten sie die Zuständigkeiten untereinander von einer externen Stelle regeln lassen.
Damit dieses parallele Betreuen und Erziehen gelingen kann, braucht es im Vorfeld viel Kommunikation. Die ausgehandelten Zuständigkeiten werden dann schriftlich fixiert und müssen verbindlich eingehalten werden. Die folgenden vier Themenbereiche tangieren Eltern am häufigsten:
Schule: Eltern können fix vereinbaren, wer zu den Schulgesprächen und Elternabenden geht und wie der andere Elternteil informiert wird. Sie können sich beispielsweise jährlich abwechseln. Bei zwei Kindern könnten sie die Zuständigkeit je Kind zwischen ihnen aufteilen. Nach Schulgesprächen kann die Lehrperson das Protokoll auch an den anderen Elternteil versenden.
Bei Elternabenden kann der Vater die Notizen abfotografieren und der Mutter mittels Messenger oder E-Mail zuschicken. Hilfreich ist es, die Lehrperson über die verschiedenen Zuständigkeiten zu informieren. «Ich dachte zuerst gar nicht daran, mit der Lehrerin unseres Sohnes über unsere Familiensituation zu sprechen, aber im Nachhinein zeigt sie mehr Verständnis für ihn», melden Eltern in der Beratung zurück.
Erfahrungsgemäss zeigen sich die Lehrkräfte dankbar für die Mitteilung. Sie sind oft auch bereit, ein separates Gespräch mit dem anderen Elternteil zu führen, da ihnen das Befinden ihrer Schülerinnen und Schüler am Herzen liegt.
Hobby: Jeder Elternteil plant in seiner eigenen Betreuungszeit eine Freizeitaktivität des Kindes. Tangiert das Hobby die Betreuungszeiten beider Elternteile, sollte der betreuende Elternteil sich um das Bringen und Abholen kümmern. Aufführungen und Sportturniere werden abwechselnd besucht oder die Eltern achten darauf, sich bei den Anlässen nicht zu begegnen.
Es gibt Kinder, die darauf bestehen, dass Mama und Papa trotz ihrer Konflikte zum Fussballmatch kommen. Können sich Eltern hier überwinden, gilt ihnen eine hohe Wertschätzung, da ihnen dieser Schritt emotional viel abverlangt.
Gesundheit: Es gibt Trennungseltern, die mit ihrem Kind nicht gemeinsam zum Arzt gehen können, weil Streit droht. «Mir hilft es, dass der Arzt mit dem Vater separat spricht, da ich sonst aufgewühlt nach Hause gehe», erzählte eine Mutter in der Beratung. Das mag aufwendig klingen, aber für das Kind ist es wertvoll, weil es keine gestresste Mutter erlebt und der Vater dennoch einbezogen wird.
Es zahlt sich also aus, wenn ein Elternteil für die medizinischen Themen verantwortlich ist und der andere medizinische Auskünfte von den Ärzten oder Therapeuten direkt einholt. Über Termine wird schriftlich per Mail informiert. Im Notfall oder bei Krankheiten wie Erkältungen oder Grippe geht der betreuende Elternteil zum Arzt.
Betreuungsmodalitäten: Je nachdem wie umfangreich eine Betreuungsregelung vom Gericht oder der KESB angeordnet wurde, entstehen mehr oder weniger offene zu klärende Punkte. Dazu gehören Ort und Uhrzeiten der Kindesübergaben an den Betreuungstagen und Ferien.
Damit kein Gerangel entsteht, empfiehlt es sich, bei der Aufteilung von zwei Ferienwochen die Ferienwoche an das Betreuungswochenende des einen Elternteils anzuschliessen und dabei fixe Uhrzeiten der Übergaben festzulegen. Damit Eltern nicht über den Geburtstag des Kindes streiten, einigen sich manche darauf, dass das Kind den Tag beim betreuenden Elternteil verbringt und beim anderen das Nachtessen einnimmt.
Kurznachrichten führen oft zu einem Ping-Pong-Austausch, der sich emotional aufladen kann. Es empfiehlt sich, via E-Mail zu kommunizieren.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten; wichtig ist, dass Eltern zu einer fixen Einigung kommen, um später nicht mehr darüber verhandeln zu müssen. Sind diese Themen erst einmal geregelt, geht jeder Elternteil mit dem Kind seinem eigenen Alltag nach. Gibt es ein zu klärendes Thema, sind Kurznachrichten wie SMS weniger sinnvoll als E-Mails. Die Kommunikation über SMS birgt eine grössere Gefahr des Ping-Pong-Austauschs, der sich emotional aufladen könnte. Genau das gilt es im parallelen Elternmodell zu vermeiden.
- Kinder getrennter Eltern, die mit Vater und Mutter aufwachsen, entwickeln sich physisch und psychisch gesünder als nur mit einem Elternteil.
- Immer mehr Kinder werden von beiden Elternteilen betreut (alternierende Obhut oder auch Wechselmodell), verfügt durch das Gericht oder die KESB.
- Nicht immer gelingt es Eltern nach einer Trennung, ihre Konflikte beizulegen, was bei Kindern zu Belastungsstörungen führen kann, die bis ins Erwachsenenalter spürbar bleiben.
- Getrennten Eltern, die sich nicht spontan oder regelmässig persönlich über ihr Kind austauschen können, kann das Modell der sogenannten parallelen Elternschaft helfen.
- In der parallelen Elternschaft werden Zuständigkeiten – zum Beispiel Schulthemen, Hobbys, medizinische Angelegenheiten, Betreuungsmodalitäten – schriftlich fixiert und eingehalten.
- Die kantonalen Familienhilfestellen beraten betroffene Eltern in der Ausgestaltung des Modells der parallelen Elternschaft. In Basel, Zürich und St. Gallen können hochstrittige Eltern vom Gericht oder von der KESB in eine angeordnete Beratung geschickt werden, um eine Betreuungsregelung auszuarbeiten.