Was Kindern nach einer Trennung hilft
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Was Kindern nach einer Trennung hilft

Lesedauer: 4 Minuten

Fast jede zweite Ehe wird heute geschieden. Kinder stecken eine Trennung nicht so leicht weg. Ihre Wut und Trauer gilt es auszuhalten ­— und zwar, ohne sich selber zu erklären und zu rechtfertigen.

Ich weiss noch, wie dieser Satz bei mir einschlug: «Die Eltern von Daniel lassen sich scheiden.» Ich war etwa 8 Jahre alt und mein bester Freund hatte mir erzählt, dass die Eltern eines Klassenkameraden sich trennen werden. Bis zu diesem Zeitpunkt war mir – zumindest auf emotionaler Ebene – nicht bewusst, dass Eltern sich plötzlich nicht mehr lieben und auseinandergehen könnten. Am Abend mussten mir meine Eltern versichern, dass sie sich «ganz, ganz sicher nie scheiden lassen werden».

Heute haben Trennungen und Scheidungen den Anstrich von etwas Alltäglichem. Schliesslich werden gegen 40 Prozent aller Ehen wieder aufgelöst. Das hat den Vorteil, dass getrennt lebende Eltern heute weniger stigmatisiert werden. Es hat aber auch den Nachteil, dass viele Eltern unterschätzen, was eine Trennung alles mit sich bringt.

Im Bekanntenkreis habe ich in den letzten Jahren mehrmals miterlebt, dass Eltern davon ausgingen, dass sie die Trennung «als reife Erwachsene» relativ zügig über die Bühne bringen können und die Scheidung einen Schlussstrich unter eine unbefriedigende Beziehung setzt.

Erst im Nachhinein wurde klar, wie schwierig es sein kann, wenn man plötzlich viele wichtige Entscheidungen gemeinsam mit jemandem treffen muss, den man gerade verlassen hat, weil vieles im Argen lag und man kaum mehr miteinander reden konnte. Und plötzlich sahen sich Eltern, die sich geschworen hatten, genau das den Kindern zuliebe nicht zu tun, mit Anwälten vor Gericht, stritten erbittert darum, wer die Kinder wie oft «haben» darf, wie hoch die ­Alimente ausfallen sollen und darum, wer der bessere Elternteil ist.

Trennung ist fast immer eine Belastung für die Kinder

Eine Bekannte meiner Frau war überrascht, wie heftig ihre Kinder auf die Scheidung reagierten. Sie ging davon aus, dass die ständigen Streitereien für die Kinder schlimmer sind als eine Trennung. Ich glaube, dass sie mit dieser Einschätzung richtig lag. Nur hat sie unterschätzt, wie sehr Kinder doch darauf hoffen, dass die Eltern es irgendwie hinbekommen.

Kinder gehen selbstverständlich davon aus, dass sich ihre Eltern lieben. Auch dann, wenn diese immer wieder streiten. Erfahren sie durch die Trennung, dass dem nicht so ist, erschüttert sie das in ihrer Bindungssicherheit: Beziehungen können also einfach zerbrechen. Da liegt es für Kinder nicht fern, sich zu überlegen, ob die Eltern nicht auch sie plötzlich nicht mehr lieben, sie vielleicht sogar verlassen könnten. Dieser Eindruck wird verstärkt, wenn sie den ausziehenden Elternteil kaum sehen können oder ­dürfen.

Gerade jüngere Kinder glauben oft, dass sie der Grund für die Trennung waren.

Manche Kinder reagieren aus dieser Angst heraus sehr klammernd. Sie folgen dem Elternteil auf Schritt und Tritt, lassen ihn kaum aus den Augen und wollen vielleicht nicht mehr zur Schule oder in den Kindergarten.

Während einige Kinder mit Aggressionen reagieren, verfolgen andere die Strategie, brav und angepasst zu sein, um den Eltern ja keinen Anlass zu weiterem Kummer zu geben und nicht Gefahr zu laufen, auch verlassen zu werden. Gerade jüngere Kinder glauben zudem oft, dass sie der Grund für die Trennung waren. Dann kann hinter angepasst wirkendem Verhalten auch die Hoffnung stehen, dass die Eltern wieder zusammenkommen, wenn man sich als Kind viel Mühe gibt. Vor allem aber sind die Kinder in der Phase nach der Trennung traurig.

Einfach Trost spenden

Doch wie können Eltern dafür sorgen, dass Kinder die Trennung möglichst gut überwinden?

Wenn ein Kind mit Wut oder Trauer auf die Trennung reagiert, geraten viele Eltern in eine Verteidigungshaltung. Anstatt das Kind zu trösten und ihm diese Gefühle einzugestehen, reagieren sie mit Argumenten und erläutern dem Kind, dass die Entscheidung richtig war.

Es braucht das Bekenntnis: Wir sind kein Paar mehr, aber wir bleiben beide die Eltern unserer Kinder und wollen uns diese Rolle zugestehen.

Es hilft dem Kind aber nicht, wenn es erfährt, dass man sich als Eltern auseinandergelebt hat, oder wenn ihm die Eltern sagen, dass eine Trennung doch besser sei, als sich immer zu streiten. Schliesslich erwarten die Eltern ja auch, dass man sich nach einem Streit mit dem Geschwister oder den Eltern wieder verträgt, und sie gehen davon aus, dass man sich trotzdem liebt. ­Warum sollte diese Regel für Eltern nicht gelten?

Je mehr es ihnen gelingt, die Wut und die Trauer des Kindes auszuhalten, desto besser kann das Kind diese Gefühle verarbeiten und in der Beziehung zu den Eltern neue Sicherheit gewinnen. Als Mutter oder Vater kann man sich vielleicht bewusst machen: «Ich weiss, dass die Trennung richtig war. Aber mein Kind kann das noch nicht nachvollziehen und braucht jetzt einfach Trost.»

Eine wichtige Botschaft an das Kind: Du verlierst keinen Elternteil

Marianne Nolde, die das wunderbare Buch «Eltern bleiben nach der Trennung» geschrieben hat, nennt neben der Begleitung des Kindes einen Punkt, der noch wichtiger ist: Das Kind sollte möglichst rasch erfahren, dass es keinen Elternteil verliert, sondern sich die Betreuungssituation verändert. Dazu braucht es von beiden Elternteilen ein klares Bekenntnis zur Elternschaft des anderen: Wir sind kein Paar mehr, aber wir bleiben beide die Eltern unserer Kinder und wollen uns diese Rolle zugestehen.

Es mag wenige Ausnahmen geben, wo es tatsächlich besser ist, wenn der Kontakt zu einem Elternteil minimiert oder abgebrochen wird. Beispielsweise wenn ein sexueller, psychischer oder physischer Missbrauch des Kindes Grund für die Trennung war. In allen anderen Fällen ist es für Kinder essenziell, dass sich ihre Eltern diese Haltung erarbeiten.

Buchtipp

Marianne Nolde: Eltern bleiben nach der Trennung. Was Ex-Partner für sich und ihre Kinder wissen sollten. Knaur 2020, 192 Seiten, ca. 27 Fr.

Der Psychologe Kemal Temiz­yürek spricht von Bindungsfürsorge und beschreibt damit eine wertschätzende Haltung von Eltern gegenüber den gewachsenen Bindungen ihrer Kinder zu anderen Bindungspersonen und das Bemühen, diese Bindungen zu erhalten. Bei getrennt lebenden Eltern äussert sich dies in einer Haltung und konkretem Verhalten, das dem Kind verdeutlicht: «Du darfst weiterhin beide Elternteile lieben.»

Wie wichtig das ist, zeigt eine Studie der Kinder- und Jugend­soziologin Anneke Napp-Peters, die 150 Scheidungsfamilien in einer Längsschnitt-Untersuchung begleitet hat. Ihr Fazit: Kinder, die nach einer Scheidung keinen oder kaum Kontakt zu einem Elternteil hatten, fühlten sich abgewiesen, minderwertig und hatten später mehr Probleme. Kinder, die gleich viel mit Mutter und Vater zu tun hatten, wurden glücklicher, lebensbejahender, stabiler.

Zu wissen, wie wichtig dies für die Entwicklung des eigenen Kindes ist, kann Eltern dabei helfen, sich über eigene Enttäuschungen und Verletzungen hinweg für die Bindungen des Kindes einzusetzen.

Carsten Vonnoh, Autor von «Up to Dad» und selbst getrennt erziehender Vater, schreibt dazu in seinem Buch aus Sicht eines Kindes: «Wenn ich abgeholt und zurückgebracht werde, erlebe ich euch für einen kurzen Moment gleichzeitig. Lasst mich spüren, dass ihr hier und heute Verbündete für mich seid.»

Fabian Grolimund
ist Psychologe und Buchautor. Gemeinsam mit ­Stefanie Rietzler leitet er die Akademie für Lerncoaching in Zürich. Er ist verheiratet, Vater eines Sohnes und einer Tochter und lebt mit seiner Familie in Fribourg.

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