Patchwork – wie gelingt das? 10 Fragen und Antworten
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Wie gelingt Patchwork? 10 Fragen und Antworten

Lesedauer: 5 Minuten

Das Leben mit neuem Partner und dessen Kindern ist anspruchsvoll. Expertinnen und Experten antworten auf Fragen, die Patchworkfamilien umtreiben.

Text: Virginia Nolan
Bild: Herbert Zimmermann / 13 Photo

Wie lassen sich Konflikte vermeiden, wenn aus zwei Haushalten einer wird?

Gar nicht. Konflikte machen unterschiedliche Haltungen, Wertvorstellungen und Massstäbe deutlich. Sichtbar werden diese Unterschiede vor allem an den Kindern. Die Konflikte selbst haben mit diesen nichts zu tun, sondern vor allem mit unterschiedlichen Familientraditionen. Es hilft, offen über Rollenbilder, Erziehungsstile oder Lebensgewohnheiten zu sprechen, damit klar wird, wem welche Grundsätze wichtig sind. Um Grenzen deutlich zu machen und die Privatsphäre zu schützen, sind zumindest am Anfang auch Türschilder oder Absprachen über den Umgang mit fremden Räumen hilfreich.

Was erleichtert Kindern den Start als Patchworkfamilie?

Jede Familie hat eigene Rituale, sei es das Vorlesen am Abend oder ein gemeinsamer Fernsehabend. Kinder sollten möglichst viele dieser Rituale von der alten Familie in die neue mitnehmen können. Problematisch ist die Vorstellung, eine «richtige» Familie mache alles gemeinsam. Sie gefährdet die Bindung zu Mutter oder Vater und erschwert den Beziehungsaufbau zum Stiefelternteil. Kinder brauchen regelmässig Exklusivzeit mit ihrem leiblichen Elternteil. Für ihr Wohlergehen ist auch wichtig, dass der ausserhalb lebende Elternteil einbezogen wird: Bleibt der aussen vor, kann dies Loyalitätskonflikte erzeugen oder verstärken.

Wie gelingt die Beziehung zum Stiefkind?

Sie braucht vor allem Zeit. Also nichts forcieren – auch nicht als leiblicher Elternteil, der hofft, das Kind möge den Partner auch lieben. Es muss wissen: Der Stiefelternteil ist Partnerin oder Partner von Papa oder Mama, aber nicht Ersatzmutter oder -vater. Es hilft, wenn Stiefeltern dem Kind mit Interesse begegnen, ihm ihre Fähigkeiten zur Verfügung stellen, kurzum, sich als Bezugsperson anbieten, aber ohne sich aufzudrängen.

Stiefeltern dürfen und sollen ihre Grenzen deutlich machen, sowohl dem Partner als auch den Stiefkindern gegenüber.

Thomas Hess

Gerade Jugendliche sind an einer näheren Beziehung vielleicht nicht interessiert, das gilt es zu akzeptieren. Genauso sollten Stiefeltern davon absehen, alles richtig machen zu wollen. Sie dürfen und sollen ihre Grenzen deutlich machen, sowohl dem Partner als auch den Stiefkindern gegenüber. Bei Unstimmigkeiten sollte man nicht dem Frieden zuliebe schweigen, sondern den Konflikt riskieren.

Warum lehnt ein Kind seinen Stiefelternteil ab?

Kinder sind wie Seismografen, was elterliche Ambivalenzen angeht. Vielleicht spürt ein Kind die Unsicherheit des Vaters, sich voll auf die neue Beziehung einzulassen. Durch seine Ablehnung der neuen Partnerin gegenüber bremst es die Intensivierung der Liebesbeziehung. Oder das Kind will aus Loyalität gegenüber dem getrennt lebenden Elternteil, der zu wenig einbezogen wird, auf dieses Manko hinweisen. Bei Pubertierenden kann generelle Auflehnung gegen alles, was mit den Eltern zu tun hat, die alleinige Ursache dafür sein oder zu anderen Faktoren hinzukommen.

Wie kann man seinem Gegenüber die Stiefelternrolle erleichtern?

Indem man ihm zutraut, seine Sache gut zu machen, und sich – auch bei Konflikten – nicht gleich einmischt. Erfahrungsgemäss gelingt das Vätern leichter, während Mütter oft den Anspruch haben, ihr Partner müsse seine Stiefvaterrolle nach ihren Vorstellungen leben. Beobachten sie ihn dann mit Argusaugen, ob er diesen gerecht wird, ergibt sich daraus ein Machthebel, den Kinder zu ihren Gunsten nutzen.

Nachgiebigkeit ist Gift: Kinder haben ein Recht auf Führung, die ihnen Sicherheit vermittelt.

Ria Eugster

Was ich auch oft sehe: Eltern haben aufgrund der neuen Situation ein schlechtes Gewissen und werden den Kindern gegenüber übertrieben nachgiebig. Schlechtes Gewissen ist Gift: Kinder haben ein Recht auf Führung, die ihnen Sicherheit vermittelt.

Wie klappt es, dass niemand zu kurz kommt?

Für alle gleich viel von allem: In einer Patchworkfamilie funktioniert das nicht. Oft haben nicht alle dieselbe Wohnsituation. Ein Teil der Kinder lebt ständig im Haushalt, der andere tageweise. Dies erfordert eine sorgfältigere Planung, was gemeinsame Aktivitäten betrifft. Trotzdem wird sich dann und wann ein Kind ausgeschlossen fühlen, weil es nicht mit dabei sein konnte.

Man kann nicht immer allen Beteiligten gerecht werden, aber versuchen, einen Ausgleich zu schaffen.

Rita Eugster

Oder Kinder, die permanent im Haushalt sind, maulen, weil sie mehr mithelfen müssen als jene, die nur tageweise kommen. Ebenso wird ein Vater, der seine Kinder nur am Wochenende sieht, intensiver Zeit mit ihnen verbringen wollen und seine Partnerin dann hintanstehen müssen. Man kann nicht immer allen Beteiligten gerecht werden, aber versuchen, einen Ausgleich zu schaffen.

Was, wenn Patchworkpartner unterschiedliche Erziehungsvorstellungen haben?

Erziehung ist, was Grundwerte angeht und Fragen, die die Zukunft des Kindes betreffen, Sache der leiblichen Eltern. Verfährt die Partnerin mit ihren Kindern anders, gilt es das zu akzeptieren. Im Gespräch bleiben ist aber wichtig, sei es bei Konflikten oder im Bemühen um gemeinsame Leitplanken. Denn die Patchworkpartner teilen die Verantwortung für einen Haushalt und kommen nicht umhin, die Aufsicht der eigenen Kinder gelegentlich dem anderen abzutreten – in diesem Fall gelten dann dessen Alltagsregeln. Wenn Erziehungsansichten stark auseinandergehen, merken Kinder oft vor den Erwachsenen, dass diese ihre Unterschiede nicht überbrücken können. Manche opponieren dann so stark, dass ein Paar seinen Zusammenzug rückgängig machen muss.

Darf ein Stiefelternteil das Erziehungsverhalten der Partnerin oder des Partners kritisieren?

Kritik ist nicht per se schwierig, im Gegenteil, sie hat Entwicklungspotenzial für die Patchworksituation. Wenn das Paar eine wertschätzende Kommunikation hat, kann der kritisch-distanzierte Blick des Stiefelternteils hilfreich sein und Veränderungen anstossen, die der leibliche Elternteil dem Kind aus ‹blinder› Liebe nicht zugemutet hätte. Oft steckt in der Kritik aber auch eine Abwertung des Kindes oder des Partners. Fühlt sich ein Stiefvater etwa zurückgesetzt, weil die Partnerin eine überfürsorgliche Mutter ist, kann es sein, dass er unbewusst in die Konkurrenzfalle tappt und die eigentliche Diskussion nicht mehr ums Kind geht, sondern um das Bedürfnis des Stiefelternteils, gesehen zu werden – oder um Schuldgefühle der Mutter, die vielleicht hinter der Überfürsorge stecken.

Was hilft Patchworkpaaren, ihre Liebe zu erhalten?

Patchworkpaare müssen akzeptieren, was Liebende schwer hinnehmen können: dass man beim anderen nie in jeder Hinsicht an erster Stelle stehen wird. Die Kinder, der oder die Ex waren vorher da. Was hilft? Selbstfürsorge! Das Bedürfnis nach Exklusivzeit mit meinem Liebsten, Wertschätzung für die geleistete Care-Arbeit und Anerkennung meiner Gefühle ist richtig – in erster Linie bin ich selbst dafür verantwortlich. Ich rate daher: Finden Sie heraus, was Sie brauchen, und bleiben Sie im Austausch darüber. Sorgen Sie für sich, scheuen Sie sich nicht vor Verhandlungen. So kommt die Liebe nicht unter die Räder.

Was sollten Patchworkpaare beachten, wenn ein gemeinsames Kind dazukommt?

Die Erfahrung, das eigene Kind auf die Welt kommen zu sehen, ist überwältigend. Möglicherweise erlebt einer der beiden Partner dies nun zum ersten Mal – seine Liebe zu den Stiefkindern rückt damit zwingend in den Hintergrund. Das ist normal. Aber es ist wichtig, dass sich der Stiefelternteil dieser Tatsache bewusst ist und auch Zeiträume schafft, um die Beziehung zu den Stiefkindern zu pflegen. Auch ihren leiblichen Elternteil, der noch einmal Mutter oder Vater geworden ist, brauchen Kinder ab und zu ganz für sich – ohne das Kleine im Anhang. Das muss nicht gleich ein Tagesausflug sein, auch ein gemeinsamer Spaziergang ist wertvolle Exklusivzeit.

Virginia Nolan
ist Redaktorin, Bücherwurm und Wasserratte. Sie liebt gute Gesellschaft, feines Essen, Tiere und das Mittelmeer. Die Mutter einer Tochter im Primarschulalter lebt mit ihrer Familie im Zürcher Oberland.

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