Vom Lesen und Vorlesen
Merken
Drucken

Warum Sie Ihrem Kind vorlesen sollten

Lesedauer: 2 Minuten

Unser Kolumnist Mikael Krogerus über seine Freude am Vorlesen, was es ihm und seinen Kindern bringt und warum Eltern sich dabei gleich selbst austricksen.

Text: Mikael Krogerus
Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren

Frage: Was ist ein alltäglicher Moment mit Ihrem Kind, den Sie geniessen? Ich meine nicht einen Moment, der aussergewöhnlich schön ist, sondern einen, der wirklich alltäglich ist, der also auch an einem durchwachsenen Tag stattfindet und etwas Licht ins Grau lässt. Und ich meine auch nicht einen Moment, den Ihr Kind geniesst, sondern einen, von dem Sie sagen: Das hier, das mache ich gern mit meinem Kind.

Bei mir? Das Vorlesen. 

In der Regel war es immer schon deutlich spät, mein Sohn sollte längst schlafen, fragte mich aber mit leicht anklagender Stimme: «Du liest mir noch was vor, oder?» Und weil die Verbindung zwischen meinem Herz und meinem Hirn auf verschlungenen Wegen verläuft, sagte ich nicht, was ich dachte: «Nein, jetzt ist es wirklich schon spät», sondern, was ich fühlte: «Klar, aber wirklich nur zwei Kapitel» und kroch zu ihm ins Bett.

Beim Vorlesen entsteht ein Zauber zwischen mir und meinem Sohn, und es überkommt mich eine Ruhe, Zugewandtheit und Konzentration, die zugleich anregend und einschläfernd wirkt.

Lesen ist eigentlich alles im Leben. Wer liest, kann fliegen. Wer liest, geht weiter. Wer liest, ist auch nie einsam. Es gibt, habe ich mal gelesen, eine Studie, die besagt, dass sogar bei Ballerspielen jene besser abschneiden, die früh viel gelesen haben. Es ist irre. Das Lesen hat überall seine Finger mit im Spiel, ist sogar an seiner eigenen Abschaffung beteiligt.

Beim Vorlesen ganz da sein

Noch grösser als Lesen erscheint mir das Vorlesen. Eine Kulturtechnik, die Menschen auf eine Art miteinander verbindet, wie es eine gemeinsam geschaute TV-Serie nie schaffen kann. Beim Vorlesen entsteht ein Zauber zwischen mir und meinem Sohn, und es überkommt mich eine Ruhe, Zugewandtheit und Konzentration, die zugleich anregend und einschläfernd wirkt. Anders als beim Fernseher oder Laptop wird man durch seine Stimme selber zum Medium. Man schenkt seinem Kind etwas. War es am Ende das, was Marshall McLuhan mit «The medium is the message» meinte?! 

Man taucht auf jeden Fall gemeinsam ein in eine Geschichte – von verschiedenen Seiten zwar, mit unterschiedlichem Hintergrund, aber doch gemeinsam, Seite an Seite. Man erlebt – lesend – ein Abenteuer. Bücher, die gut funktionieren? Nach meiner Erfahrung eigentlich jedes. Es macht keinen grossen Unterschied, ob man «Momo» liest, «Die rote Zora», Harry Potter oder Dostojewski, wichtig ist nur, dass man liest. Dass man gegenwärtig ist und den warmen Körper und regelmässigen Atem eines kleinen Menschen an seiner Seite spürt. 

Viele Eltern machen sich Sorgen, dass ihre Kinder zu wenig lesen. Oder gar nicht. Dass sie lieber auf einen Bildschirm starren als auf eine gedruckte Seite. Ich kann dazu nur sagen: Das trifft auch auf mich zu. Also dass ich eher auf einen Bildschirm als auf eine Seite schaue. Und deshalb ist das Vorlesen eben nicht nur etwas für meinen Sohn, sondern auch für mich. Denn wenn man vorliest, kann man nicht zeitgleich aufs Smartphone schauen. Man kann sowieso nichts nebenher machen. Man muss ganz da sein. Bei seinem Sohn. Und darum geht es eigentlich, oder?

Mikael Krogerus
ist Autor und Journalist. Der Finne ist Vater einer Tochter ­und eines Sohnes und lebt in Basel. Von 2013 bis 2023 war er Kolumnist für das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi.

Alle Artikel von Mikael Krogerus

Lesen Sie mehr zum Thema Vorlesen

Kinder im Wachstum brauchen ausreichend Vitamine und Vitamin B Strath
Advertorial
Was Kinder zum gross werden brauchen
Für ein gesundes Wachstum benötigen Kinder Vitamine, Mineralstoffe, lebenswichtige Fette – und vieles mehr.
Väter: 6 Eigenschaften, die Männer zu einem guten Vater machen
Entwicklung
6 Eigenschaften, die Männer zu einem guten Vater machen
Viele Eltern teilen sich heutzutage die Familienarbeit – zum Wohl des Kindes, denn Väter erziehen anders als Mütter.
2403 Ritual erleichtern Familienalltag Christian Hugi Primarlehrer LCH Elternmagazin Fritz Fraenzi Hausaufgaben Zähneputzen HG
Familienleben
Rituale – die wertvollen Anker im Alltag
Dank Routinen verlaufen Familien- und Schulalltag entspannter. Die Bedürfnisse der Kinder müssen dabei mitberücksichtigt werden.
Fritz+Fränzi
Patchwork: Unser Thema im Oktober
Glück im zweiten Anlauf? Wo die Herausforderungen und Chancen bei der Gründung einer zusammengewürfelten Familie liegen.
Thomas Feibel Medienexperte
Familienleben
Wir sollten unseren Kindern so lange wie möglich vorlesen
Wenn Kinder selbst lesen können, hören wir meist auf, ihnen vorzulesen. Dabei profitieren selbst Teenager von diesen oft innigen Momenten.
Beim Vorlesen erfahren Kinder, dass sich das Lesenlernen lohnt
Gesellschaft
«Beim Vorlesen erfahren Kinder, dass sich das Lesenlernen lohnt»
Leseexpertin Sara Grunauer betont die vielfältigen positiven Effekte des Vorlesens – auch für ein Primarschulkind.
Wenn Eltern ihren Kinder vorlesen. Vater mit Tochter und einem Buch im Bett.
Erziehung
Lesen Sie Ihrem Kind vor
Möchten Sie Ihrem Kind dabei helfen, eine engere Beziehung zu Ihnen aufzubauen und es gleichzeitig in vielen wichtige Bereichen fördern? Dann lesen Sie ihm vor. 
Elternbildung
Mütter lesen häufiger vor als Väter
Zum Jubiläum des 5. Schweizer Vorlesetags am 18. Mai 2022 haben wir mit Christine Tresch vom Schweizerischen Institut für Kinder- und Jugendmedien SIKJM gesprochen und sie gefragt, warum Väter ihren Kindern seltener vorlesen als Mütter.
Kinder lesen sich gegenseitig vor
Familienleben
«Wem vorgelesen wird, eröffnen sich bessere Startchancen»
3 Fragen an Franziska Baetcke, Direktorin der Stiftung Bibliomedia, über das Programm Buchstart und die Wichtigkeit des Vorlesens.
Mit Büchern durch die Krise
Entwicklung
Mit Büchern durch die Krise
Geschichten sind für Kinder mehr als nur gute Unterhaltung, sie können heilsam sein. Die richtigen Bücher helfen, Entwicklungsschritte leichter zu nehmen.
Einfach vorlesen!
Gesellschaft
Einfach vorlesen!
Ihr Kind soll sich besser konzentrieren können, leichter lesen und schreiben lernen? Dann lesen Sie ihm vor. Schon eine Viertelstunde pro Tag wirkt wahre Wunder
Vorlesen: Wie lange soll man Kindern vorlesen?
Familienleben
«Bitte nie mit dem Vorlesen aufhören!»
Passend zum Schweizer Vorlesetag am 27. Mai: Drei Fragen an Barbara Jakob über die Wichtigkeit des Vorlesens.
Unsere Bücher-Tipps
Familienleben
Unsere Bücher-Tipps zum Vorlesen
Für die kindliche Entwicklung und die familiäre Bindung sind Vorlesen und selber Lesen elementar. Wir stellen unsere liebsten Bücher vor.
Entscheiden Gene über den Schulerfolg?
Entwicklung
Gene entscheiden über den Schulerfolg – aber anders, als wir denken
Durch die Erziehung und das Verhalten der Eltern nehmen die Gene auch dann Einfluss auf die Entwicklung, wenn die Kinder sie nicht geerbt haben.
Die liebsten Kinderbücher der Redaktion zum Vorlesen
Familienleben
Unsere liebsten Kinderbücher zum Vorlesen
Vorlesen stärkt die Bindung zwischen Kinder und Eltern, fördert die Sprach- und Leseentwicklung und macht Gross und Klein Spass. Hier unsere liebsten Bücher:
Mikael Krogerus Kolumnist
Blog
«Wunder» – ein Buch das Eltern und Kinder begeistert
Kolumnist Mikael Krogerus hat jüngst ein Buch entdeckt, das ihn genauso begeistern konnte wie seine Tochter.
Lesen und lesen lassen
Medien
Lesen und lesen lassen
Musik hören, fernsehen und Bücher lesen. Das sind die liebsten Medientätigkeiten von Kindern im Primarschulalter. Das Buch hat nicht an Bedeutung verloren.