Rituale – die wertvollen Anker im Alltag
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Rituale – die wertvollen Anker im Alltag

Lesedauer: 4 Minuten

Dank festen Abläufen und Routinen verlaufen Familien- und Schulalltag entspannter und verlässlicher. Um die Kinder dabei ins Boot zu holen, müssen ihre Bedürfnisse und Wünsche mitberücksichtigt werden

Text: Christian Hugi
Bild: Pexels

Viele Menschen schätzen Überraschungen und spontane Unternehmungen oder Begegnungen im Alltag und suchen sie sogar aktiv. Gleichzeitig erleichtern uns Rituale und feste Abläufe vieles und machen die Tage und Wochen planbar. Oder sie verhindern unnötige Konflikte und Probleme. In der Schule sind Routinen und feste Strukturen genauso wichtig und sinnvoll wie im Familienalltag. Sie helfen Kindern dabei, abzuschätzen, was als Nächstes kommt oder wie eine Situation abläuft. Dies führt dazu, dass sie sich sicher und geborgen fühlen. Besonders in Zeiten von Veränderungen oder Unsicherheiten ist das wichtig.

Feste Strukturen machen den Alltag planbarer und schaffen so Raum für die ­gemeinsame Zeit als Familie.

Denn Routinen geben Halt und können dabei helfen, mit neuen Situationen besser umzugehen – etwa dann, wenn eine Schulreise, eine Prüfung, eine Projektwoche oder ein Klassenwechsel ansteht. Auch in der oft hektischen Adventszeit oder nach einem langen Quartal kurz vor den Sommerferien helfen die festen Abläufe und Rituale dabei, dass die Kinder vor Aufregung nicht völlig aus dem Häuschen geraten, sondern einigermassen konzentriert arbeiten können. Je besser ein Kind mit solchen strukturierten Abläufen vertraut ist, desto mehr kann es diese auch mittragen oder selbst anwenden.

Routinen helfen, Stress zu reduzieren

Auch uns Erwachsenen helfen Routinen und Strukturen, den Alltag zu organisieren und Stress zu reduzieren. Für Eltern sind sie praktisch, weil sie den Alltag planbarer machen und dafür sorgen, dass wichtige Aufgaben nicht vergessen gehen. Zudem sind sie auch hilfreich, um Raum für die gemeinsame Zeit als Familie zu schaffen, indem bestimmte Abläufe festgelegt werden. Daneben kann man gezielt Freiraum für gemeinsame Aktivitäten einplanen. In der Schule helfen Rituale ebenfalls, die Gemeinschaft zu pflegen und sicherzustellen, dass nichts vergessen geht und alle gleichermassen berücksichtigt werden – etwa beim «Kind der Woche»-Ritual. Um Routinen und Strukturen umzusetzen, müssen klare Regeln und Abläufe festgelegt werden.

Ein Ritual wird erst zu einem, wenn die gleichen Abläufe immer und immer wieder Gültigkeit haben.

Dabei ist es wichtig, die Bedürfnisse der Kinder zu berücksichtigen und realistische Ziele zu setzen. In der Familie können Tagesabläufe wie Essens- und Schlafenszeiten oder regelmässige Rituale wie das Vorlesen vor dem Schlafengehen dabei helfen, den Alltag strukturierter zu gestalten. Den allermeisten Kindern fällt es beispielsweise deutlich leichter, am Abend fürs Schlafen zur Ruhe zu kommen, wenn feste Abläufe eingehalten werden. Auch Wochenpläne oder wiederkehrende To-do-Listen können im Alltag sehr nützlich sein und dabei helfen, den Überblick über anstehende Aufgaben zu behalten.

In der Schule ist das nicht anders. Es hilft, wenn die Abläufe etwa für den Wechsel vom Klassenzimmer in die Turnhalle oder die Bibliothek immer gleich sind. Und wenn das Abgeben der (Haus-)Aufgaben immer gleich abläuft, braucht es nicht jedes Mal neue Erklärungen oder Anweisungen – höchstens ab und zu eine Erinnerung.

Bis ein Ablauf sitzt, braucht es Geduld

Für eine erfolgreiche Umsetzung von Ritualen braucht es anfangs vor allem Geduld, damit sie sich überhaupt etablieren können. Denn ein Ritual wird erst zu einem, wenn die gleichen Abläufe immer und immer wieder Gültigkeit haben und so verinnerlicht werden können. Wenn sie dann sitzen, laufen sie fast automatisch ab.

Bei uns Erwachsenen etwa ist das Zähneputzen vor dem Schlafengehen eine feste Routine, während sich Kinder erst noch mühsam und oft mit Widerwillen daran gewöhnen müssen. Sobald es etabliert ist, hilft dieses Ritual aber zuverlässig dabei, eine kurzfristig eigentlich leidige Aufgabe trotzdem immer wieder durchzuführen und so längerfristig eine gute Zahn- und Mundhygiene sicherzustellen.

Werden Kinder miteinbezogen, sind sie eher bereit sich an Rituale zu halten

Wo immer möglich können und sollen die Kinder in die Gestaltung der Routinen miteinbezogen werden. So sind sie auch eher bereit, sich an die festgelegten Abläufe zu halten, und fühlen sich ernst genommen. Um beim Beispiel mit dem Zähneputzen zu bleiben: Es hilft, wenn das Kind die Zahnpasta bestimmen darf oder eine Zahnbürste benutzt, die ihm gefällt.

Bei anderen Ritualen können die Kinder vielleicht bei den Inhalten mitreden oder sie dürfen (mit-)bestimmen, in welcher Reihenfolge Aufgaben erledigt werden oder wann. Wichtig ist dabei, flexibel zu bleiben und auf die Bedürfnisse der Kinder einzugehen.

Rituale bleiben auch für Jugendliche wichtig. Das sieht man etwa an den Begrüssungsritualen, die sie mit ihren Peers pflegen.

Natürlich verändern sich diese mit der Zeit. Da kann es manchmal notwendig sein, von den festgelegten Abläufen abzuweichen, neue Routinen einzuführen oder diese dauerhaft an die veränderten Umstände anzupassen. Werden die Kinder älter, verändern sich die Bedürfnisse, Kompetenzen und Fähigkeiten. Damit sollten sich auch die Routinen wandeln. So können ältere Kinder mehr und mehr Verantwortung für Rituale oder andere Abläufe übernehmen.

Für die Eltern heisst es dann zunehmend loszulassen und nur noch ab und zu nachzufragen oder zu kontrollieren. In der Schule wird den älteren Schülerinnen und Schülern ebenfalls mehr Selbstverantwortung übertragen. Sie übernehmen Aufgaben für die Gemeinschaft im Schulhaus und organisieren ihre Lernzeit und ihre Arbeitsaufträge zunehmend eigenverantwortlich.

Rituale bei Jugendlichen erfüllen vielerlei Zwecke

Trotzdem bleiben Rituale für Jugendliche wichtig – auch wenn es nicht mehr die gleichen sind wie früher. Das sieht man etwa an den Begrüssungsritualen, die sie mit ihren Peers pflegen. Die teilweise komplexen Abläufe und Gesten erfüllen den gleichen Zweck wie andere feste Routinen und Strukturen: Sie machen abschätzbar, was als Nächstes kommt, und geben so Halt und Sicherheit. Das schafft Vertrauen und fördert das Gemeinschaftsgefühl. Nicht zuletzt signalisieren sie auch: Ich gehöre dazu!

Routinen und Strukturen können und sollen darum im Familienalltag wie in der Schule eine wichtige Rolle spielen. Klare Regeln und feste Abläufe geben Sicherheit und Stabilität, reduzieren Stress und schaffen Raum für gemeinsame Zeit. Der Unterricht kann effektiver gestaltet werden und das soziale Klima wird gefördert. Mit einer guten Balance aus festen Abläufen und Flexibilität können Eltern und Lehrpersonen dazu beitragen, dass der Familien- beziehungsweise Schulalltag ruhiger und verlässlicher verläuft – gerade auch dann, wenn es trotzdem mal hektisch wird.

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Christian Hugi

Christian Hugi
ist Primarlehrer in der Stadt Zürich, Präsident des Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverbands (ZLV) und Mitglied der ­Geschäftsleitung des Dachverbands ­Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH).

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