«Stiefeltern sind für Eltern keine Konkurrenz»
Sabine Walper erforscht die Beziehungen in Stieffamilien. Sie erklärt, wie eine Patchworkkonstellation Kinder prägt und warum neue Partner für Trennungsfamilien eine Chance sind.
Frau Walper, wie geht es Kindern in Patchworkfamilien?
Das lässt sich pauschal nicht beantworten: Es gibt nicht «die» Patchworkfamilie. Wir haben es mit einer sehr vielfältigen Gruppe zu tun. Der Fokus der Wissenschaft lag in dem Zusammenhang traditionell auf primären Stiefvaterfamilien, in denen das Kind mit seiner leiblichen Mutter und deren neuem Partner lebt. Es gibt aber noch andere Konstellationen, etwa die «Wochenend-Stiefmutterfamilie», die entsteht, wenn der getrennt lebende Vater mit einer neuen Partnerin zusammenzieht.
Viele Kinder in Patchworkfamilien haben die Trennung ihrer Eltern miterlebt. Was bedeutet dies für ihre Entwicklung?
Eine Trennung stellt für die meisten Kinder eine äusserst belastende Phase dar, die vor allem kurzfristig Verhaltensauffälligkeiten, psychische Probleme, schulische oder soziale Schwierigkeiten mit sich bringen kann. Langzeitstudien zeigen aber, dass diese Belastungen in den ersten drei Jahren merklich zurückgehen und die Mehrheit der Kinder keine chronischen Probleme entwickelt. Allerdings variieren Entwicklungsverläufe – familiäre Beziehungen spielen da eine Schlüsselrolle.
Inwiefern?
Die Forschung zeigt, dass anhaltende Konflikte zwischen den Eltern, ein beeinträchtigter Erziehungsstil und eine schwierige Beziehung zum getrennt lebenden Elternteil zentrale Risikofaktoren für die kindliche Entwicklung sind. Viele dieser Probleme treten aber nicht erst mit der Trennung auf, sondern gehen dieser oft jahrelang voraus. Damit relativiert sich das Verständnis dessen, was als Trennungseffekt einzuordnen ist.
Mit Jugendlichen ist Patchwork nachweislich schwieriger.
Es gibt auch Kernfamilien, in denen Kinder solchen Belastungen ausgesetzt sind, etwa Partnerschaftskonflikten, die nicht aufhören. Ein Schlussstrich kann sich dann tatsächlich positiv auf die kindliche Entwicklung auswirken – sofern hinterher Ruhe einkehrt. Wenn nicht, drohen Kindern langfristige Nachteile in Bezug auf die psychische Gesundheit, soziale Beziehungen und berufliche Chancen.
Wie häufig sind langfristig konfliktbehaftete Trennungen?
Internationale Daten legen nahe, dass 10 bis 20 Prozent der Trennungen hochstrittig verlaufen. Demgegenüber gelingt jedem dritten bis zweiten Ex-Paar eine gute Kooperation. Die übrigen praktizieren, was sich parallele Elternschaft nennt: Es gibt wenig Austausch, jeder Elternteil erzieht nach eigenen Vorstellungen. Das kann friedlich sein, aber oft gehen sich die Eltern aus dem Weg, um Streit zu vermeiden.
Neuere Untersuchungen zeigen, dass es in diesem Modell vielfach verdeckte Konflikte gibt, die die Ex-Partner über das Kind austragen, indem sie sich in ihren jeweiligen Erziehungsbemühungen untergraben. Wie in hochstrittigen Fällen laufen Kinder dann Gefahr, in Loyalitätskonflikte verwickelt zu werden, die schädlich sind für ihre Entwicklung.
Was macht es mit Kindern, wenn auf die aufgelöste Kernfamilie eine neue folgt?
Wir finden keine nennenswerten Unterschiede in der Entwicklung von Kindern aus Patchwork- und Einelternfamilien. Aufgrund der Trennungserfahrung, die die Mehrheit von ihnen gemacht hat, haben beide Gruppen gegenüber Gleichaltrigen aus Kernfamilien Risiken für Nachteile, die wir besprochen haben.
Das Auftreten eines Stiefvaters im Leben eines Kindes hat keinen Einfluss auf dessen emotionale Nähe zum leiblichen Vater.
Die Gründung einer Patchworkfamilie bedeutet für ein Kind erst mal eine Umstellung, die ihm erhebliche Anpassungsleistungen abverlangt. Bis ins Primarschulalter gelingt dies leichter. Gerade wenn es darum geht, eine Beziehung zum Stiefelternteil aufzubauen. Ältere Kinder werden diesen vielleicht als Konkurrenz empfinden, seine Rolle infrage stellen.
Und dann?
Braucht es Geduld und einfühlsame Zurückhaltung. Mit Jugendlichen ist das Unterfangen nachweislich schwieriger – ihre alterstypischen Autonomiebestrebungen laufen nicht selten Bemühungen des Paares entgegen, als Familie zusammenzuwachsen. Eine neue Partnerschaft hat aber auch das Potenzial, Konflikte zwischen den zerstrittenen leiblichen Elternteilen zu entschärfen und die Situation so auch für die Kinder zu verbessern. Dies zeigen mehrere Studien.
Das klingt erst mal wenig plausibel.
Geht eine Trennung mit grossen Verletzungen einher, ist es für die Beteiligten oft unmöglich, ihren Groll abzulegen. Man verrennt sich in Wut und Schmerz. Oft vermag eine neue Partnerschaft Menschen aus diesem Teufelskreis herauszuholen, weil sie eine Perspektive bietet: Der Fokus liegt nicht mehr nur auf alten Verletzungen, auf dem, was nicht geklappt hat. Da ist ein Blick nach vorne, eine Perspektive.
Das hilft, das Verhältnis zum Ex-Partner unverkrampfter anzugehen. Forschende beobachten sogar oft, dass der Kontakt zum ausserhalb lebenden Elternteil häufiger wird, wenn ein neuer Partner ins Leben des hauptbetreuenden Elternteils tritt.
Viele getrennte Eltern haben Angst, die neue Liebe der Ex-Partnerin könnte – was die Kinder betrifft – zur Konkurrenz werden.
Es gibt viele Untersuchungen zur Beziehung von Trennungsvätern zu ihren Kindern, die hauptsächlich bei der Mutter wohnen. Zumindest für diese Konstellation, die häufigste, kann die Forschung Entwarnung geben: Das Auftreten eines Stiefvaters im Leben des Kindes hat im Allgemeinen keinen Einfluss auf dessen emotionale Nähe zum leiblichen Vater, auch nicht auf gemeinsame Aktivitäten oder die Kontakthäufigkeit. Letztere schwächt sich nur leicht ab, wenn der leibliche Vater auch eine Folgefamilie gründet – was erklärbar ist, weil er seine zeitlichen Ressourcen nun aufteilen muss.
Was lässt sich zur Beziehung von Kindern zu ihrem Stiefvater sagen?
Wir verglichen die Beziehung von Trennungskindern zum leiblichen Vater mit der zum Stiefvater und befragten Kinder wie auch Erwachsene. Die Mehrheit der Stiefväter und Stiefkinder berichteten von einem guten gegenseitigen Verhältnis, wobei die Verbundenheit der Kinder zu ihrem leiblichen Vater leicht stärker war. Stiefeltern sind keine Konkurrenz für Eltern – aber sie sind für sie oft sehr wichtig.
Untersuchungen lassen vermuten, dass es für die meisten Kinder schwer wiegt, wenn sich der Stiefelternteil vom leiblichen trennt. Ähnliches berichten mir Rechtsanwälte, die Stieffamilien vor Gericht sehen: Sie hören oft von Fällen, in denen Stiefkinder durch das Ende der Patchworkfamilie stärker litten als Geschwister, die in diese hineingeboren wurden.