«Die Trennung der Eltern kann für Kinder auch eine Chance sein»
Wie kann man ein Kind in die Neugestaltung der Familie einbinden, ohne es zu überfordern? Sabine Brunner, Psychotherapeutin für Kinder und Familien am Marie Meierhofer Institut für das Kind (MMI), spricht in ihrem Vortrag am 26. September über Herausforderungen und Chancen, die für Kinder mit der elterlichen Trennung verbunden sind.
Frau Brunner, eine Trennung ist zunächst einmal eine Sache zwischen Ehepartnern. Wann sollte man die Kinder darüber informieren?
Ein guter Zeitpunkt ist dann, wenn die Eltern übereinkommen, dass sie sich trennen möchten. Nun verlaufen Trennungen jedoch meistens nicht im Konsens und Gleichschritt: Oft befürwortet nur ein Elternteil die Trennung und möchte diese auch dem Kind mitteilen.
In so einer Situation sollte man versuchen, zugunsten des Kindes eine einvernehmliche Lösung zu finden. Generell ist es für junge wie auch ältere Kinder wichtig, dass die Eltern sie über die anstehenden Veränderungen in der Familie kontinuierlich informieren. Denn Kinder spüren die Spannungen und haben auch das Recht, zu wissen, was in ihrer Familie passiert. Sie sind auf diese Orientierung angewiesen. Man sollte Kindern also einerseits helfen, Klarheit zu bekommen, und andererseits nicht zu stark beunruhigen.
Mit der Trennung muss der Alltag einer Familie neu organisiert werden. Wie sollte ein Kind in diese Schritte eingebunden werden?
Es gibt ja generell sehr unterschiedlich gelebte Familienstile: In manchen Familien dürfen Kinder in vielen Belangen mitbestimmen; in anderen machen die Eltern vieles unter sich aus, und die Kinder fühlen sich wohl damit. Mein Rat ist, auch in einer Trennungssituation beim gewohnten Stil zu bleiben.
Konflikte zwischen den Eltern dürfen nicht zum ‹Krieg› werden.
Das viel grössere Problem ist aus meiner Sicht, wenn sich Eltern über die Neuorganisation nicht einig werden können, unterschiedliche Signale an die Kinder senden und diese hin- und herzerren. Grundsätzlich ist es in einer Trennungsphase empfehlenswert, das Kind miteinzubeziehen. Es sollte nie das Gefühl haben, alles wird über seinen Kopf hinweg entschieden. Auf der anderen Seite soll es aber auch nicht meinen, es müsste Entscheidungen tragen, die eigentlich Sache der Eltern sind.
Sie unterstützen im Rahmen Ihrer Tätigkeit am Marie Meierhofer Institut getrennte Familien. Welche Fehler sollten Eltern vermeiden? Und welche Chancen kann ein Trennungsprozess bieten?
Konflikte zwischen den Eltern dürfen nicht zum «Krieg» werden. Dass es dazu kommt, liegt vor allem an der in schwierigen Situationen mangelnden Fähigkeit zum sogenannten Mentalisieren: In Konflikten haben wir grosse Mühe, ruhig nachzudenken, uns in andere Personen hineinzufühlen und Verständnis zu haben.
Und das passiert bei einer Trennung genau zu einem Zeitpunkt, in dem Kinder die meiste Unterstützung und Orientierung benötigen. Kinder leiden auch, wenn Eltern versuchen, ihre Konflikte unter den Teppich zu kehren, und unterschwellig schlechte Stimmung herrscht. Wird hingegen eine Trennung vollzogen, gibt das oft auch Klarheit, Durchschnaufen und mehr Ruhe für alle Beteiligten. Auf der emotionalen Ebene erleben Kinder dann, dass ihre Beziehung zur Mutter und zum Vater gestärkt wird. Auch für ihre Entwicklung können sie von einer Trennung durchaus profitieren: So kann zum Beispiel durch die neue Wohnsituation mehr Freiraum entstehen und Kinder bekommen mehr Verantwortung in die Hände.
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