«Wir müssen Kinder erreichen, die sich nicht von sich aus bewegen»
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«Wir müssen Kinder erreichen, die sich nicht von sich aus bewegen»

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Bewegung und Sport tut Kindern gut – nicht nur körperlich, sondern auch mental: Sie lernen, mit Siegen und Verlieren umzugehen, und erleben ein Sozialsystem, das sie formt und begleitet. Sportmedizinerin Susi Kriemler forscht seit Jahren im Gebiet der körperlichen Aktivität und Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Sie erklärt, warum sich Kinder und Jugendliche mehr bewegen sollten.

Interview: Stefanie Wolff-Heinze
Bild: Adobe Stock

Frau Kriemler, Laufen- und Schwimmenlernen, einen Ball werfen – kleine Kinder bewegen sich spontan, voller Freude und Stolz über ihre Fortschritte. Da erstaunt die Warnung der WHO, dass 80 Prozent der Kinder und Jugendlichen unter Bewegungsmangel leiden. Wann und warum geht unserem Nachwuchs der Spass an körperlicher Aktivität verloren?

Im Vorschulalter sind viele Kinder noch genügend aktiv und bewegen sich freudig. Dort gilt es insbesondere: Möglichkeit bieten und die Eltern darauf aufmerksam machen – insbesondere jene, für die Bewegung ein Fremdwort ist.

Eine grosse Abnahme der körperlichen Aktivität passiert, wenn die Kinder in die Schule kommen. Von heute auf morgen müssen sie die Schulbank drücken, anstatt draussen herumzutollen. Bewegungs-Feind Nummer zwei sind die Schulwege, die oft passiv stattfinden. Und Bewegungs-Feind Nummer drei sind wohl die Medien, die in der Berichterstattung das Siegen priorisieren.

Ideal wäre es, wenn Sportangebote gratis wären, um allen Kindern und Jugendlichen die gleiche Chance auf Sporterfahrungen bieten zu können.

Gerade bei der Gruppe von Kindern und Jugendlichen, die keinen Spass an Bewegung haben oder keine soziale Integration durch Sport erleben, hat dies einen sehr nachteiligen Effekt. Diese Kinder und Jugendlichen müssen wir erreichen und Bewegung und Sport als erstrebenswert erlebbar vermitteln. Das geht nur durch das Credo: Spass mit Freunden oder «fun with friends».

Dass sich Bewegung positiv auf die Entwicklung und Gesundheit eines Kindes auswirkt, ist allgemein bekannt. Braucht es noch mehr Aufklärung für Eltern und an Schulen zu diesem Thema? 

Es ist nie zu viel, aber dennoch sollten wir aufpassen, nicht als Apostel daherzukommen. Gerade hinsichtlich der Tatsache, dass immer mehr Kinder in Tagesschulen gehen und dadurch weniger Freiräume haben, ist es wichtig, dass Sport in ihrer Freizeit stattfindet. Dies kann auch während der Mittagspause in der Schule oder danach sein. Ideal wäre es, wenn Sportangebote für alle gratis wären, um allen Kindern und Jugendlichen die gleiche Chance auf schöne Sporterfahrungen bieten zu können. So ein Angebot würde sicherlich auch zu einem gewissen Teil diejenigen Kinder erreichen, die nicht von sich aus «in Bewegung geraten».

Susi Kriemler ist Kinder- und Sportmedizinerin. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf dem Gebiet der körperlichen Aktivität und Gesundheit, insbesondere bei Kindern. Zudem ist Susi Kriemler Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Sportmedizin.

Sie forschen seit vielen Jahren im Bereich der Pädiatrie und Sportmedizin: Beobachten Sie neben dem Phänomen «Null Bock auf Bewegung» auch eine Tendenz in Richtung «zu viel Sport»?

Die Schere geht hier weit auseinander. Die Spezialisierung passiert früher, die Ambitionen zu Erfolg nehmen zu – das ist Teil unserer Gesellschaft. Essstörungen etwa tauchen überall auf, wo Grazie oder tiefes Körpergewicht als Erfolgsfaktor gewertet werden. Viele junge Mädchen treiben, um ihr «Schönheitsideal» zu halten, exzessiv Sport. Daneben gibt es auch Missbrauchsgeschichten wie Doping, Vereinsamung bis hin zu sexuellen Übergriffen. Zum Glück sind dies Randerscheinungen, aber jede davon ist definitiv zu viel!

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