Wenn eine sichere Bindung fehlt

Für eine gesunde Entwicklung braucht ein Kind eine sichere Bindung zu einer oder mehreren erwachsenen Personen. Fehlt diese, zieht sich das Kind zurück und hat Mühe, Freundschaften zu knüpfen. Dazu drohen Aufmerksamkeitsstörungen, Aggressionen und Depressionen. Nun heisst es: feinfühlig auf Ängste und Bedürfnisse des Kindes reagieren.
Schutz und Trost wirken besonders gut, wenn er von Menschen kommt, mit denen das Kind eine enge Bindung hat. Und sie sind in Situationen wie oben beschrieben sehr wichtig – nicht nur in dieser Situation, sondern für die gesamte kindliche Entwicklung. Bindung bezeichnet eine enge und von starken Gefühlen geprägte Beziehung zwischen einem Kind und seinen Eltern oder anderen ihm nahestehenden Erwachsenen. Sie hilft dem Säugling und Kleinkind, Schutz zu erhalten und sicher betreut zu werden.
Ein Säugling kann Bindungen zu verschiedenen Erwachsenen aufbauen – nicht nur zu den Eltern.
Die Bindungsperson ist der sichere Hafen, den das Kind bei Angst oder Bedrohung aufsucht. Nach einer Beruhigung durch diese erlebte Nähe kann das Kind von dort aus die Welt wieder neu erkunden. Der Aufbau einer Bindung wird entscheidend durch die Feinfühligkeit der Bindungsperson beeinflusst – ob sie sensibel auf Äusserungen und Bedürfnisse des Kindes reagiert.
Die Fähigkeit zur Feinfühligkeit hilft zu erlernen, welche Reaktion auf welches Signal des Kindes ideal ist. Dabei unterscheiden sich diese Signale von Kind zu Kind – ob beim Hungergefühl, beim Bedürfnis nach Körperkontakt, nach Schlaf oder auch beim Wunsch nach gemeinsamem Spiel.
Was Robin hilft
Robin fühlt sich von seinem Gegenüber verstanden. Die ruhige und wohlwollende Stimme der Bindungsperson und das Trösten beruhigen das Kind. Robin gewinnt die Erfahrung, dass ein Sturz und die damit verbundenen Schmerzen aufgefangen werden, und fühlt sich gehalten. Durch die Ermutigung, weiterzumachen, wird das Kind unterstützt, die Welt weiter zu erkunden, auch nach einem Missgeschick. Robin fühlt sich wieder kompetent.
Sind meine Gefühle bedrohlich?
Das Kind nimmt beim Erkunden der Welt immer wieder Blickkontakt auf und liest im Gesicht der Bindungsperson, ob es in Sicherheit oder in Gefahr ist, und sucht so Rückhalt bei ihr. Die feinfühlige Bindungsperson kann die Gefühle des Kindes richtig lesen und benennen. Sie hilft dem Kind, sich in der Welt zurechtzufinden. Eine wenig feinfühlige Bindungsperson reagiert bei Robins Sturz vom Fahrrad und anderen Situationen mit Schimpfen und Zurechtweisungen. Damit erlebt das Kind die Bindungsperson als zusätzlich belastend. Das Kind kann sich in solchen Situationen keinen Schutz holen, um sich zu beruhigen.
Entscheidend für den Aufbau einer sicheren Bindung ist Sensibilität.
Es lernt nicht, unangenehme Gefühle zu benennen, und macht auch nicht die Erfahrung, dass Schmerzen vorbeigehen und ein Sturz mit dem Fahrrad nicht schlimm sein muss. Das Kind fühlt sich einsam und erlebt Schmerzen, Trauer und Frustration als bedrohlich, weil ihm niemand Sicherheit gibt und dadurch vermittelt, dass auch Stürze zum Leben gehören. Denn diese sollen es nicht daran hindern, die Welt zu entdecken und Neues zu erfahren.
Wie bereits festgehalten, ist die Feinfühligkeit der Bindungsperson entscheidend für die Entwicklung einer sicheren Bindung. Es soll aber auch gesagt sein, dass etwa ein schreiender Säugling, der sich stundenlang nicht beruhigen lässt, auch eine sonst feinfühlige Mutter überfordern kann.
Lernen, sich Hilfe zu holen
Damit wird es in seiner Entwicklung gehindert, es fehlt ihm die Sicherheit eines Hafens, von dem aus es die Welt erkunden kann. Auch Kinder, die Vernachlässigung, Missbrauch oder Misshandlung erlebt haben, können einen unsicheren Bindungsstil entwickeln. Sie erleben die Welt als Gefahr und sind oft ängstlich. Unsicher gebundene Kinder fühlen sich häufig schlecht und entwickeln Schuldgefühle, als Folge davon ziehen sie sich in sich selbst zurück.
Wird das Kind in einer nicht absichtlich herbeigeführten Situation zurechtgewiesen, fühlt es sich alleingelassen.
Dazu können emotionale Probleme wie Depressionen oder Ängste auftreten. Sichere Bindungen prägen das Verhalten des Kindes und dadurch auch spätere Beziehungen. Im Kindergarten- und Schulalter können sicher gebundene Kinder leichter Kontakte mit anderen Kindern knüpfen, Freundschaften aufbauen und aufrechterhalten.
Sie können bei Bedarf Hilfe bei der Lehrperson holen, weil sie gelernt haben, dass Erwachsene ihnen helfen und sie unterstützen. Gute Bindungserfahrungen erlauben dem Kind, sich neuen Aufgaben zu stellen und Neues auszuprobieren. Diese Erfahrungen sind wichtig für eine altersgemässe Entwicklung. Durch sie können Kinder ihre volle Aufmerksamkeit und Konzentration dem Geforderten widmen und zeigen sich im Spiel kreativ.
Das macht sie beliebter bei anderen Kindern und Lehrpersonen und sie bekommen gute Rückmeldungen zu ihrer Person, ihren Gefühlen und ihrem Verhalten. So entwickeln sie einen gesunden Selbstwert. Eine sichere Bindung ist wie ein Hafen, den das Kind bei Angst und Bedrohung aufsuchen kann – und von dem aus es bei ruhiger See hinaussegeln und die Welt entdecken kann.
Bild: Getty Images
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Weiterlesen:
- Teil 1: Was setzt Kinder unter Druck?
- Teil 2: Was stresst unsere Kinder und wie helfen wir ihnen?
- Teil 4: Wie helfen wir Kindern in einer Umbruchsituation?
- Teil 5: Wie helfen wir Kindern und JugendliMechen mit Zurückweisungen umzugehen?
- Teil 6: Medikamente gegen Stress: Wann kann ein Kind selbst entscheiden?