Was setzt Kinder unter Druck?
Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Stress: Was beeinflusst das Wohlbefinden eines Kindes negativ? Und was können Eltern, Lehrer und Ärzte tun, damit sich ein Kind unbelastet und gesund entwickeln kann?
Der Kinderarzt wird Sarah wenig später untersuchen, nach einer medizinischen Ursache forschen. Er wird das Mädchen aber auch nach ihren Ernährungs-, Schlaf- und Mediengewohnheiten fragen. Und ob sie Stress habe in der Schule oder im Freundeskreis. Der Kinderarzt weiss: Neben den klassischen Infektions- und Kinderkrankheiten kommen zunehmend Kinder und Jugendliche mit stressbedingten und psychosomatischen Beschwerden in seine Praxis.
Nicht nur körperliche Ursachen kommen infrage.
In unserer recht kopflastigen Medien- und Leistungsgesellschaft stehen nicht nur die Kinder unter Druck. Auch viele Eltern erleben durch die berufliche und private Doppelbelastung Stress. Die Unzufriedenheit der Eltern – die wichtigsten Bezugspersonen – wirkt sich negativ auf das Familienklima aus und stresst auch die Kinder. Besonders Alleinerziehende sind davon betroffen; meist sind sie beruflich stark eingespannt, für ein zufriedenes Familienleben fehlt zur Unterstützung und Balance häufig der Partner. Alleinerziehende – und ihre Kinder – leiden deshalb besonders häufig unter gesundheitlichen Problemen.
Schon Jugendliche zeigen Burnout-Symptome
Gemäss einer Studie der deutschen Krankenkasse AOK aus dem Herbst 2013 hatte jedes fünfte Kind in Deutschland stressbedingte gesundheitliche Beschwerden, die von Unwohlsein, Schwindel und Benommenheit über Nervosität, Gereiztheit und Kopfschmerzen bis hin zu Bauchschmerzen, Rückenschmerzen und Schlafstörungen reichten.
Die Uni Bielefeld ermittelte 2015 in einer Studie, dass knapp 20 Prozent der Kinder ein hohes Stresslevel haben, einer Studie der WHO zufolge fühlen sich knapp 20 Prozent der Kinder zwischen 11 und 17 Jahren infolge eines tatsächlichen oder gefühlten Leistungsdrucks überfordert und erschöpft. Die Folge: Kinder leiden häufiger an Krankheiten und entwickeln Symptome, die normalerweise eher stressbedingt bei Erwachsenen anzutreffen sind.
Leiden die Eltern an einer Erkrankung, können die Kinder ebenfalls krank werden.
Entwicklungsstörungen durch zu viel Medienkonsum?
Ein Ergebnis der Studie lässt besonders aufhorchen: 70 Prozent der unter Sechsjährigen spielen täglich eine halbe Stunde mit dem Smartphone der Eltern. Als Folge der intensiven Nutzung von digitalen Medien leiden diese Kinder vermehrt an motorischer Hyperaktivität sowie an Konzentrations- und Sprachentwicklungsstörungen. Dies lässt sich auch in der Gruppe der 8- bis 13-Jährigen feststellen, wenn digitale Medien länger als 60 Minuten täglich konsumiert werden.
Besser, als ein Smartphone-Verbot auszusprechen, ist es, den Kindern den richtigen Umgang mit den Geräten beizubringen. «Mit der vorschnellen Verordnung von Ergo- und Sprachtherapie allein lassen sich die Gefahren nicht abwenden», sagt der Kinderarzt Uwe Büsching vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte, der ebenfalls an der Untersuchung beteiligt war. «Gerade wenn das Verhalten oder die Entwicklung auffällig ist, sollte immer auch ein unangebrachter Umgang der Eltern wie der Kinder mit Medien in Betracht gezogen werden.»
Muss die digitale Medienkompetenz gefördert werden?
Kinder und Jugendliche aus Familien mit niedrigem Sozialstatus haben häufiger einen schlechten allgemeinen Gesundheitszustand.
Eine Studie der Universität Bochum zeigte 2015 bei Kindern im Kindergartenalter, dass ein Aufwachsen in Armut die Entwicklung von Kindern beeinträchtigt. Bei Fünf- bis Sechsjährigen, deren Familien von staatlicher Grundsicherung leben, fanden sich mehr als doppelt so häufig Defizite in der Entwicklung als bei Kindern, die in gesicherten Einkommensverhältnissen aufwachsen: Sie sprechen schlechter Deutsch, können schlechter zählen, leiden öfter unter Konzentrationsmängeln, sind häufiger übergewichtig und verfügen über geringere Koordinationsfähigkeiten.
Resilienz stärken – wie geht das?
Doch aus der epigenetischen Forschung ist bekannt, dass auch Umweltfaktoren sehr wohl einen Einfluss auf die Gesundheit von Kindern haben können. Das bedeutet, dass es bereits in der Schwangerschaft wichtig ist, starken oder anhaltenden Stress zu vermeiden. Aktuelle oder in der Vergangenheit liegende belastende Lebensereignisse oder ungünstige Bedingungen, aber auch Schutzfaktoren wirken sich wesentlich auf den Entwicklungsverlauf eines Kindes aus.
Risikofaktoren, eine erhöhte Anfälligkeit (Vulnerabilität) und Schutzfaktoren wie eine hohe Widerstandskraft (Resilienz) finden sich beim Kind, bei der Familie, in der Umgebung (Freunde, Kindergarten, Schule, Beruf ) und in den soziokulturellen und gesellschaftlichen Bedingungen. Kinder sollen sich bei ihren Eltern sicher und geborgen fühlen.
Feinfühlige – nicht verwöhnende – Eltern leisten einen bedeutsamen Beitrag zur späteren Bindungssicherheit ihres Kindes. Es ist wichtig, die Bedürfnisse von Kindern ernstzunehmen, ihnen zuzuhören, nachzufragen, offen zu sein für ihre Sorgen und Ideen. Eltern können sich bei Unsicherheit alleine oder gemeinsam mit ihren Kindern beraten lassen. Es ist besser, seine elterlichen Sorgen und Fragen mit dem Partner, Kollegen oder einer Fachperson zu teilen, wenn man mit seinem Latein am Ende ist.
Eine «emotionale Brücke» reduziert das Risiko einer dauerhaften psychischen Belastung des Kindes.
Getrennt lebende Eltern sollten ein möglichst einvernehmliches Miteinander suchen, ihrem Kind eine «emotionale Brücke» zum anderen Elternteil bauen – und möglichst loyal sein. Dies reduziert das Risiko einer dauerhaften psychischen Belastung des Kindes beträchtlich.
Eltern stehen in der Pflicht
Eine ausgewogene Ernährung, die konsequente Teilnahme an den kinderärztlichen Vorsorgeuntersuchungen und empfohlenen Impfungen sowie eine aus reichende, dem individuellen Bedürfnis des Kindes oder des Jugendlichen angepasste Schlafdauer tragen wesentlich zur Gesundheit bei und können vor krankmachenden Einflüssen schützen.
Gleichzeitig benötigen Kinder und Jugendliche altersentsprechende Freiheiten, Gestaltungsspielraum, Anregungen und eine gewisse elterliche Gelassenheit. Am Vorbild ihrer Eltern, der Familie und enger Freunde können Kinder lernen, Beziehung erleben, sich austauschen und Grenzen erfahren.
Kinder müssen vom für sie geplanten Lebenskonzept abweichen und sich gemäss ihren individuellen Anlagen entwickeln dürfen – ohne Angst vor Konsequenzen. Dabei soll nicht aus dem Blickfeld geraten, von wem der Stress und der Leidensdruck ausgeht – sind es wirklich die Kinder selber, oder sind es ihre Eltern, die Schule oder andere, die besorgt sind und auf Abklärungen und Untersuchungen drängen? Und wie gestalten wir die Lebenswelten von Kindern, Jugendlichen und Familien?
Hier sind nicht nur die Eltern gefragt, sondern die Gemeinden, die Gesellschaft und die Politik stehen in der Verantwortung, bestmögliche Bedingungen für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu schaffen.
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Die Autoren:
Buchtipps:
- Kurt Albermann (Hg.): Wenn Kinder aus der Reihe tanzen. Psychische Entwicklungsstörungen bei Kindern und Jugendlichen. Beobachter Edition, Zürich 2016
- Remo Largo: Das passende Leben.Was unsere Individualität ausmacht und wie wir sie leben können. S. Fischer Verlag, Frankfurt, 2017
Online-Dossier Burnout
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Ausserdem:
- Burnout: Wenn Jugendlichen alles zu viel wird