Was stresst unsere Kinder und wie helfen wir ihnen?
Ob sie einer Geburtstagsparty entgegenfiebern oder Angst haben, eine Prüfung nicht zu bestehen – Stress gehört zum Leben von Kindern. Doch was, wenn aus Druck Überforderung wird?
Im Rahmen der Juvenir-Studie befragte die Jacobs Foundation 2014 rund 1500 Schweizer Jugendliche ab 15 Jahren zu Stress und Leistungsdruck. Fast die Hälfte der Befragten berichtete, dass Stress, Leistungsdruck und Überforderung zu ihrem Alltag gehörten. Vor allem die Schule sorge für Stress. Als Ursache für den selbstauferlegten Leistungsdruck und Stress standen oft Zukunftsängste und Sorgen rund um die spätere Berufswahl.
Besonders Schülerinnen leiden. Doch auch bei den Buben senkt der empfundene Stress das Wohlbefinden und erhöht Selbstzweifel, Lustlosigkeit sowie Niedergeschlagenheit und Traurigkeit.
Die Schule ist Stressfaktor Nummer 1.
Kinder mit viel Stress zeigten ausserdem ein hohes Aggressionspotenzial, und reagierten öfter wütend oder zornig. Bei über 10 Prozent kommt es ausserdem zu depressiven Verstimmungen oder sozialem Rückzug. Andere Studien beobachteten zusätzlich Unruhe, Unkonzentriertheit, Erschöpfung, verminderten Appetit und Hauterkrankungen als Folgen von Stress.
Laut Juvenir-Studie erleben fast alle Schweizer Jugendlichen ihre Freizeit als stressfrei. Bei jüngeren Kindern von sechs bis elf Jahren zeichnet die Studie der Universität Bielefeld allerdings ein anderes Bild: Über 80 Prozent der Kinder mit viel Stress wünschen sich mehr Zeit für Dinge, die ihnen Spass machen, müssen jedoch gleichzeitig Termine wahrnehmen, die ihnen keinen Spass machen.
Bild: Jim Erickson / Plainpicture
Eustress und Distress – beide Stressarten schaden auf Dauer
Doch wie reagiert unser Gehirn genau auf Stress? Und warum machen manchen Kindern stressige Situationen kaum etwas aus, während andere scheinbar viel mehr Ruhe brauchen? Klar ist: Stress ist nicht gleich Stress. Meist als negativer Zustand verstanden – als Druck, Anspannung und Belastung –, gibt es durchaus auch positive Stressgefühle, den sogenannten Eustress. Dieser tritt zum Beispiel auf, wenn wir ein Fest organisieren oder Aufgaben, die wir gerne machen, unter Druck erledigen müssen. Es ist Stress, der in der Regel nicht als Belastung empfunden wird. Beide Arten von Stress sind auf Dauer nicht gesund. Doch es ist vor allem der negativ erlebte Stress, der sogenannte Distress, der uns auf Dauer schaden kann.
Wie Stress im Körper von Kindern wirkt
Unser Stressregulationssystem ist immer aktiv. Morgens nach dem Aufwachen steigt seine Aktivität stark an und nimmt dann über den Tag hinweg stetig ab, bis es um Mitternacht seinen Tiefpunkt erreicht. Diese Hintergrundaktivität spielt sich bei jedem Menschen tagtäglich ab.
Kinder zeigen teilweise ein ganz anderes Muster von HPA-Achsen-Aktivität als Erwachsene. Neugeborene beispielsweise reagieren auf unangenehme Reize mit einer starken Ausschüttung von Stresshormonen. Im Laufe der Kindheit erhöht sich die Belastbarkeit, es braucht mehr beziehungsweise stärkere Reize, um die HPA-Achse zu stimulieren. Einfühlsames und fürsorgliches Verhalten der Eltern kann in dieser Zeit eine Stresswirkung abfedern. Während des biologischen Reifungsprozesses in der Pubertät gleicht sich das generelle Aktivitätsmuster dann jenem von Erwachsenen an.
Ist das Stressregulationssystem im Kindesalter gestört, steigt das Risiko für eine Depression.
Bezüglich Depressionen konnte der Zusammenhang in Studien belegt werden: Ist die Aktivität der HPA-Achse im Kindesalter abnormal, steigt das Risiko, eine Depression zu erleiden. Laut Studienergebnissen skandinavischer und deutscher Forscher könnte auch eine ADHS-Diagnose oder aggressives Verhalten im Jugendalter mit einer abnormalen HPA-Achsen-Aktivität in Verbindung stehen. Dieser Zusammenhang wurde jedoch nicht in allen Studien bestätigt.
Die Reaktion unseres Körpers auf akuten Stress ergibt evolutionär Sinn: In vorzivilisatorischen Zeiten begegnete der Mensch häufig grossen Gefahren. Die instinktiven Reaktionen waren Kämpfen oder Flüchten, für beides benötigte der Körper schnell zusätzliche Energie. In einer akuten Stresssituation sorgt das Gehirn dafür, dass der Körper in dieser Situation maximal leistungsfähig ist: Der Herzschlag wird schneller, die Muskeln werden verstärkt durchblutet.
Dies geht allerdings auf Kosten von anderen Funktionen wie beispielsweise der Verdauung. Bei langer, intensiver Aktivierung zeigen sich auch negative Folgen für das Immunsystem. Sind ausreichend Stresshormone im Körper unterwegs oder ist die Bedrohung vorbei, wird dies dem Gehirn zurückgemeldet und die Ausschüttung weiterer Hormone wird gestoppt. Das System regelt sich so von selbst und stellt den Körper wieder auf eine normale Funktionsweise ein.
Schädlich wird negativ erlebter Stress vor allem dann, wenn er chronisch ist. Bei dauerhaftem Stress schüttet der Körper permanent Hormone aus und die involvierten Organe sind anhaltend aktiv. Dies kann zur Folge haben, dass der Herzschlag schneller und die Atmung flacher wird, dass die Verdauung vernachlässigt und das Immunsystem heruntergefahren wird.
Langfristig können häufige Infektionen, Verdauungsstörungen, Konzentrations- und Schlafprobleme, Asthma und Herz-Kreislauf-Beschwerden auftreten. Damit dies nicht geschieht, braucht der Körper immer wieder Zeit, in der er sich nicht in Alarmbereitschaft befindet. Dies erreicht man, wenn man sich – sofern möglich – der belastenden Situation entzieht und sich Zeit zum Entspannen nimmt.
Wie man Kindern beibringt, Stress zu reduzieren
Eltern können ihr Kind dabei unterstützen, dies herauszufinden und sich den für sie hilfreichen Ausgleich im Alltag zu schaffen. Am besten zeigen Sie ihm dazu verschiedene Möglichkeiten auf: Der 16-jährigen Tochter hilft vielleicht, wenn sie jeden Abend eine Stunde aus ihrem Leben erzählen darf. Dem 5-jährigen Sohn tut dagegen allenfalls ein Besuch im Schwimmbad gut, um auf andere Gedanken zu kommen.
Es gibt jedoch Dinge, die generell gegen Stress schützen. Gemeinsame Zeit mit dem Kind und Familienrituale wie zusammen zu Abend essen gehören dazu, ebenso wie Gutenachtgeschichten erzählen und gemeinsam Ausflüge unternehmen.
Schon früh lässt sich die Stressresistenz beim Kind fördern: beim geduldigen Beruhigen eines schreienden Säuglings oder beim Trösten des weinenden Kleinkinds. Je jünger ein Kind ist, desto stärker werden Stress und Gefühle über die erwachsenen Bezugspersonen reguliert. Sie helfen dem Säugling und dem Kind, seine Gefühle zu steuern und sich wieder zu beruhigen. Feinfühligkeit und eine gute Bindung sind wichtige Voraussetzungen, um die Bedürfnisse seines Kindes gut wahrzunehmen.
Die Autoren eines Anti-Stress-Trainings für Kinder haben untersucht, was jene Kinder anders machen, die widerstandsfähiger mit alltäglichen Stressoren umgehen. Sie fanden heraus: Es sind Strategien wie Selbstinstruktionen («Ich werde das schaffen») und Ablenkung, regelmässiger Sport sowie ein guter sozialer Rückhalt in Familie und Freundeskreis. Bei Eltern ist dies nicht anders: Sozialer Rückhalt und Kontakte sowie Bewegung gehören auch im Erwachsenenalter zu den wirksamen Mitteln gegen Stress. Ein wichtiger schützender Faktor über die ganze Lebesspanne hinweg ist zudem eine ausgewogene, gesunde Ernährung.
Tanzen Sie gemeinsam durchs Zimmer – das baut Stress ab. Noch besser: Yoga und natürlich: Ferien!
Neu gibt es auch technische Geräte, die mittels «Biofeedback» helfen, die Stressreaktion des Körpers besser steuern zu lernen: Sie messen das Stresslevel über die Haut an den Fingern und melden es an den Benutzer zurück. Körperübungen helfen, den Körper besser spüren und kontrollieren zu lernen.
Zum aktiven Stressabbau ist Bewegung jedoch wirksamer. Passt der Spaziergang nicht ins Tagesprogramm, tanzen Sie wenigstens eine Runde gemeinsam durchs Wohnzimmer! Besonders empfohlen werden Yoga (gute Wirkung ab 12 Minuten am Tag) sowie Aktivitäten bei Tageslicht – und natürlich das Schönste von allem: Ferien.
Die Autorin
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