Ist es eine Blinddarmentzündung oder nicht?
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Ist es eine Blinddarmentzündung oder nicht?

Lesedauer: 5 Minuten

Bauchschmerzen können erste Anzeichen einer Blinddarmentzündung sein. Auf welche Symptome muss man ausserdem achten? Und wann sollten Eltern mit ihrem Kind sofort ins Spital?

Text: Kristina Reiss
Bild: Getty Images

Mit Bauchschmerzen ist das so eine Sache. Sie können Vorboten von Magen-Darm-Erkrankungen sein, auf Blähungen oder Verstopfungen hindeuten oder psychische Ursachen haben; beispielsweise, wenn der Sohn oder die Tochter keine Lust auf Kindergarten oder Schule hat. Klagt das Kind über Bauchweh, läuten deshalb bei den wenigsten Eltern sofort die Alarmglocken. Anders, wenn es dabei auf den rechten Unterbauch zeigt. Wie war das noch gleich? Rechts sitzt der Blinddarm und dann muss man schnell reagieren – oder?

Tatsächlich kündigt sich eine Blinddarmentzündung eher unspektakulär an. «Schreit das Kind plötzlich und krümmt sich vor Schmerzen, liegt ziemlich sicher keine Blinddarmentzündung vor», sagt Kinder- und Jugendmedizinerin Susanna Kemper mit eigener Praxis in Zürich. Verstopfungen, Blähungen oder andere Darmgeschichten sind wahrscheinlicher.

Vorbeugende Massnahmen, um eine Blinddarmentzündung zu verhindern, gibt es nicht.

Aufhorchen lassen Kemper hingegen Klagen über diffuse Bauchschmerzen, die über einen längeren Zeitraum immer stärker werden. Oft beginnt es mit ein bisschen Bauchweh um den Nabel herum, mit leichtem Unwohlsein. Erst später wandern die Schmerzen in den rechten Unterbauch. Das Kind liegt matt, blass und appetitlos herum, vielleicht ist ihm auch ein wenig übel, womöglich hat es leichtes Fieber (circa 38 Grad).

Halten die Bauchschmerzen über einen längeren Zeitraum an und läuft das Kind nach vorne gebückt, um die Spannung aus der Bauchdecke zu nehmen, weil es sonst zu starke Schmerzen hat, sollte man eine Arztpraxis aufzusuchen. Dort machen Kemper und ihr Team diverse Tests: «Alle vier Bauchquadranten schön tief mit beiden Händen abtasten», beschreibt die Ärztin die Untersuchung.

Das stelle in der Regel kein Problem dar, ausser es liege eine Blinddarmentzündung vor. Dann halten die Betroffenen das Abtasten kaum aus. Ist zudem die Bauchdecke bereits hart, schickt Kemper ihre Patientinnen und Patienten sofort ins Spital.

Blinddarmentzündung in der Kindheit recht häufig

Bei acht von zehn Kindern und Jugendlichen, die mit einem Verdacht auf Blinddarmentzündung zu ihr in die Praxis kommen, kann die Ärztin jedoch keine solche Diagnose stellen. Den Eltern zeigt die Ärztin trotzdem, wie sie den Bauch ihres Nachwuchses zu Hause abtasten können.

Klagt der Sohn oder die Tochter weiterhin über Bauchweh, sei es wichtig, als Eltern nah am Kind zu bleiben und gut zu beobachten – ob beispielsweise die Empfindlichkeit der Bauchdecke zunimmt und die Schmerzen stärker werden. Dann müsse medizinisch erneut abgeklärt werden, ob es sich mittlerweile doch um eine Blinddarmentzündung handelt.

Wenn die Schmerzen plötzlich auftreten, liegt ziemlich sicher keine Blinddarmentzündung vor.

Susanna Kemper, Kinderärztin

Über fünf Prozent der Bevölkerung entwickelt irgendwann eine Blinddarmentzündung. Sie zählt zu den häufigsten akuten Erkrankungen des Bauchraums. Am häufigsten betroffen sind Kinder und Jugendliche zwischen sechs und zwölf Jahren. Der Blinddarm liegt im rechten Unterbauch und gehört zum sogenannten lymphatischen System des Darmes. Er dient vermutlich als Reservoir von Darmbakterien.

Interessant zu wissen: Am Blinddarm befindet sich ein acht Zentimeter langer, wurmförmiger Anhang, den Mediziner als Appendix bezeichnen. Er hat einen Eingang, aber keinen Ausgang. Bei einer sogenannten Blinddarmentzündung entzündet sich also streng genommen nicht der Blinddarm, sondern der Wurmfortsatz (Appendix). Mediziner sprechen daher nicht wie der Volksmund von einer Blinddarmentzündung, sondern von einer Wurmfortsatzentzündung (Appendizitis).

In der Regel entzündet sich der Wurmfortsatz, weil sein Eingang verstopft ist – etwa durch Kotsteine (verhärtete Stuhlreste), Ablagerungen oder Bakterien, die sich dort angesammelt haben. Vorbeugende Massnahmen, um diese Entzündung zu verhindern, gibt es nicht. Meist muss der entzündete Darmabschnitt operativ entfernt werden.

Eine OP ist beim Blinddarm meist die beste Wahl

«An sich ist die Operation ein Routineeingriff», sagt Georg Staubli, Abteilungsleiter und Chefarzt der Notfallstation am Universitäts-Kinderspital Zürich. «Gleichzeitig kann es schwierig sein, wenn sich die Entzündung vom Blinddarm bereits auf das umliegende Gewebe ausgeweitet und sich ein Abszess gebildet hat.»

Kommt es zu einer solchen Abszessbildung, versuche man im Kinderspital die Betroffenen zunächst mit Antibiotika zu behandeln. Der Blinddarm werde erst dann operativ entfernt, wenn die Entzündung abgeheilt ist.

Ist es eine Blinddarmentzündung? Mädchen hält sich vor Schmerzen den Bauch.
Wenn die Bauchschmerzen über einen längeren Zeitraum anhalten und das Kind eine gebeugte Haltung einnimmt, sollte man eine Arztpraxis aufzusuchen. (Bild: iStock)

Die Operation geschieht meist laparoskopisch – also mittels einer Bauchspiegelung, bei der nur kleine Hautschnitte nötig sind. Der Blinddarm wird dabei vom restlichen Darm abgetrennt. Manchmal wird bei einer Blinddarmentzündung offen operiert – beispielsweise, wenn sich die Entzündung bereits ausbreitet. Dazu ist dann ein grösserer Schnitt in die Bauchdecke nötig.

Drei bis fünf Tage bleiben die Patientinnen und Patienten anschliessend in der Regel im Spital – so lange, bis der Darm wieder vollständig funktioniert, der Patient nicht mehr erbrechen muss, der Stuhlgang wieder normal und eine reguläre Nahrungsaufnahme möglich ist. Die Narben müssen nicht speziell behandelt werden.

Schmerzmittel haben bei einer Blinddarmentzündung keine Wirkung.

Georg Staubli, Chefarzt Notfallstation am Universitäts-Kinderspital Zürich

Lebensgefährlicher Durchbruch

Wird eine Blinddarmentzündung nicht oder zu spät behandelt, kann das entzündete Gewebe platzen (Blinddarmdurchbruch); Darminhalt und Bakterien gelangen in die Bauchhöhle, und es kann zu einer lebensgefährlichen Bauchfellentzündung kommen. Wenn eine Blinddarmentzündung in den Bauchraum durchbricht, können die Bauchschmerzen für eine kurze Zeit sogar nachlassen, werden dann aber wieder stärker.

Sobald sich die Entzündung im Bauchraum ausdehnt, können weitere Symptome wie eine harte Bauchdecke, eine gekrümmte Schonhaltung mit angezogenen Beinen aufgrund von starken Schmerzen, kalter Schweiss, ein erhöhter Puls und eine Benommenheit bis hin zur Ohnmacht hinzukommen.

Eltern stehen oft vor einer schwierigen Entscheidung: Was tun, wenn das Kind abends oder am Wochenende plötzlich über Bauchschmerzen klagt und der Kinderarzt nicht erreichbar ist? Mediziner Georg Staubli gibt einen klaren Rat: Geben Sie dem Kind ein Schmerzmittel wie Paracetamol oder Ibuprofen. «Normale Bauchschmerzen verschwinden damit», sagt er. «Bauchschmerzen, die durch eine Blinddarmentzündung verursacht werden, aber nicht. Diese Schmerzen werden langsam stärker.»

Normales Bauchweh oder Blinddarm?

Symptome, die NICHT für eine Blinddarmentzündung sprechen

  • Die Bauchschmerzen treten plötzlich ganz heftig auf. Eine Blinddarmentzündung baut sich langsam auf. Die Schmerzen werden über Stunden zunehmend stärker und ziehen schliesslich meist von der Nabelgegend in den rechten Unterbauch.
  • Die Bauchschmerzen verschwinden, sobald das Kind Schmerzmittel nimmt (Paracetamol, Ibuprofen). Bei einer Blinddarmentzündung nützen Medikamente kaum etwas. Die Schmerzen werden trotzdem langsam stärker

 

Symptome, die eventuell für eine Blinddarmentzündung sprechen

  • Das Kind hält das Abtasten des Bauches kaum aus, die Bauchdecke ist bereits hart.
  • Das Erbrochene hat eine grünliche Farbe.
  • Trotz Schmerzmittel wie Paracetamol oder Ibuprofen lassen die Bauchschmerzen nicht nach, sondern werden immer stärker.

Die Farbe des Erbrochenen

Auch Erbrechen kann ein Symptom für eine Blinddarmentzündung sein – wenn das Erbrochene eine grünliche Farbe hat. «Also wirklich grün», präzisiert Staubli, «denn dann kommt es von der Galle und sollte unbedingt schnell untersucht werden.» Gelbes Erbrochenes wiederum ist Magensaft und hat viele Ursachen – am häufigsten liegt in solchen Fällen eine Magen-Darm-Grippe vor. Auch wenn das Erbrechen keine (kurzfristige) Erleichterung bringt, kann dies ein Anzeichen für eine Blinddarmentzündung sein.

Doch der Kindermediziner kann Eltern auch beruhigen: «Hat ein Kind nachmittags Bauchweh, abends immer noch, kann aber nachts einigermassen schlafen, reicht es, wenn man am nächsten Morgen den Arzt oder die Ärztin aufsucht. Eine Blinddarmentzündung, die bei uns um 3 Uhr nachts reinkommt, wird ohnehin nicht mehr operiert.» Ein Kind, so Georg Staubli, dem es wirklich schlecht gehe, werde aber selbstverständlich nicht abgewiesen.

Kristina Reiss
ist freischaffende Journalistin und Mutter einer Tochter, 12, und eines Sohnes, 9. Sie lebt mit ihrer Familie am Bodensee.

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