«Bindung ist mehr als nur das Wechselspiel zwischen Mutter und Kind» - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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«Bindung ist mehr als nur das Wechselspiel zwischen Mutter und Kind»

Lesedauer: 3 Minuten

Ich erzähle

Katrin, 34, ist Kleinkinderzieherin und Mutter eines 2-jährigen Buben. Damit eine gute Bindung zum Kind gelingt, darf man als Mutter auch Unterstützung in Anspruch nehmen, findet sie.

«Bevor ich selbst Mutter wurde, verstand ich unter Bindung die Symbiose zwischen einer Mutter und ihrem Baby. Ich und mein Baby: Das klang wunderbar. Doch das Leben mit einem Säugling stellt so manche Vorstellung auf den Kopf. Mein Mann und ich haben schnell festgestellt, dass es Mut zum Chaos braucht, um sich auf das Baby konzentrieren zu können.
 
Für das Neugeborene war es wichtig, dass es zu Beginn unsere hundertprozentige Aufmerksamkeit bekam und wir gemeinsam genügend Zeit für das Bonding hatten. Einfach gesagt: Alles liegen lassen und kuscheln! Oft litt ich unter Schlafmangel. Hatte ich zusätzlich einen stressigen Tag, stiess ich schnell an meine Grenzen. Ich stand nicht mehr in Verbindung zu meinem Sohn und auch nicht zu mir selbst. Ich war genervt. Das mit der Symbiose war dahin. 

«Nur wenn ein Kind
 eigenständige Erfahrungen machen kann, kann es sich sicher gebunden fühlen.»

Damit eine sichere Bindung entstehen kann, ist die Qualität der Beziehung, in die mein Kind eingebunden ist, entscheidend. Wie gehen wir als Eltern miteinander um und was für eine Stimmung herrscht in unserer Familie? Inzwischen weiss ich, dass nicht nur ich, sondern noch andere Personen für mein Kind wichtig sind. Allen voran der Papa, die Grosseltern, Gotti und Götti. Bindung ist viel mehr als nur das Wechselspiel zwischen Mutter und Kind. Sie bezieht das ganze soziale System mit ein. Erhalte ich Unterstützung in der Pflege und Erziehung, fühle ich mich besser – es entlastet mich enorm. Das wiederum überträgt sich auf die Beziehung zu meinem Kind. Mein Sohn nimmt keinen Schaden, wenn er von einer guten und vertrauten Bezugsperson für ein paar Stunden übernommen wird. Im Gegenteil, er erfährt weitere positive Beziehungen, Vielfalt in der Erziehung und er lernt, dass er auch ohne mich Dinge bewältigen kann. Eine gelungene Bindung schliesst also auch die Eigenleistung des Kindes mit ein. Nur wenn ein Kind ­eigenständige Erfahrungen machen darf, kann es sich sicher gebunden fühlen. Ein Kind braucht Geborgenheit und Autonomie. Die Nähe, die mein Kind benötigt, ist genauso wichtig wie seine Freiheit. Dieser ständige Balanceakt ist für mich extrem schwierig. Doch genau das macht Elternschaft und Bindung aus. Es ist ein Prozess, und ich stehe noch ganz am Anfang.»
Dieser Text stammt aus dem Doppelheft Juli/August 2020.
Dieser Text stammt aus dem Doppelheft Juli/August 2020. Sie können das gesamte Heft hier als Einzelausgabe bestellen.
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Dieser Artikel gehört zum Online-Dossier Bindung Lesen Sie mehr zu Fragen, wie: Wie schaffe ich eine starke Bindung, ohne mein Kind einzuengen? Was hat Bindung mit Schule zu tun?


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