10 Fragen rund um das Leben mit Teenagern
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10 Fragen rund um das Leben mit Teenagern

Lesedauer: 7 Minuten

Pubertierende sind für ihre Eltern manchmal ein Buch mit sieben Siegeln – und umgekehrt genauso. Expertinnen und Experten über Stolpersteine im alltäglichen Miteinander.

Text: Virginia Nolan
Bilder: Marvin Zilm / 13 Photo

1. Was hilft dem Gespräch auf die Sprünge, wenn Jugendliche sich wortkarg geben?

Eltern sollten Einsilbigkeit nicht als Beziehungsabsage werten, sondern als Teil einer normalen Entwicklungsphase betrachten. Die Verantwortung für die Beziehung tragen die Erwachsenen. Es liegt an ihnen, Angebote für gemeinsame Momente zu machen. Wenn es mit Worten hapert, kann es hilfreich sein, an den Interessen des Kindes anzuknüpfen.

Seien es Schmink-Tutorials, Games oder die Lieblingsband: Als Elternteil kann man sich Dinge zeigen lassen, nachfragen oder auch mal selbst mittun. Und damit signalisieren: Ich interessiere mich für dich. Oder man nutzt eben, was gerade möglich ist – schiebt unter der Zimmertür einen Zettel durch, auf dem etwas Nettes steht, schickt dem Kind tagsüber mal was Lustiges aufs Handy.

Inke Hummel, Pädagogin

2. Auf die Frage, was los sei, lautet die jugendliche Standardantwort: Nichts. Warum selbst dann, wenn offenbar das Gegenteil der Fall ist?

Jugendliche wissen manchmal selbst nicht recht, was mit ihnen los ist. Vielleicht sind sie in Schule oder Beruf gerade überfordert, von Freunden zurückgewiesen worden oder es ist ihnen etwas misslungen. Damit können viele Pubertierende noch nicht gut umgehen – und folgern daraus, sie seien nichts wert. Vielleicht haben die Eltern den Teenager auf ein Verhalten aufmerksam gemacht, von dem er im Grunde weiss, dass es nicht in Ordnung ist. Viele Jugendliche schieben erst mal von sich weg, was unangenehme Gefühle verursacht. Und dann wollen Eltern reden.

Ärger darf sein – über den Umgang damit reden wir nochmals.

Hand aufs Herz: Auch wir mögen es nicht, wenn uns das Gegenüber den Finger in die Wunde legt, uns mit Fragen konfrontiert, denen wir uns selbst nicht stellen mögen. Da hilft es, als Eltern nicht zu viel zu erwarten. Dann knüpft man besser in einem entspannten Moment neu an und erkundigt sich auf unverfänglichere Art, wie es dem Kind geht. Sicher: Schlechtes Verhalten muss man nicht hinnehmen. Da soll die Botschaft klar lauten: Ärger darf sein – über den Umgang damit reden wir nochmals.

Annette Cina, Psychologin

3. Wie bleibt man in Verbindung, wenn gemeinsame Zeit rar ist?

Beziehungspflege zeigt sich auch in kleinen Gesten: im Vorbeigehen den Arm ums Kind legen, wenn es missmutig wirkt, sich zu ihm setzen, etwas Freundliches sagen, abwarten und zuhören. Mal wieder sein Lieblingsessen kochen; fragen «Willst du einen Tee?» statt «Bist du schon wieder am Handy?». Es sind oft unscheinbare Alltagssituationen, die wir für Momente der Nähe und Gemeinsamkeit nutzen können.

Manchmal bietet es sich auch an, lieb gewonnene Rituale aus der Kindheit wieder aufleben zu lassen: In der Beratung erzählte mir eine Mutter, dass sich ihr 16-jähriger Sohn beschwert habe, weil sie mit ihm keine Weihnachtsguetsli mehr backe – sie war automatisch davon ausgegangen, dass er dazu sowieso keine Lust hat.

Elisabeth Raffauf, Psychologin

4. Sollen Eltern bei Jugendlichen auf Familienzeit bestehen?

Ja, da dürfen sie ruhig einen Rahmen vorgeben. Der etwa besagt, dass man – sei es einmal pro Tag oder einmal die Woche – gemeinsam isst. Das können sie auf zugewandte Art tun, indem sie Teenagern ehrlich sagen, worum es ihnen geht: Es ist uns wichtig, dass wir nicht komplett aneinander vorbeileben – weil ihr uns sonst fehlt, weil uns eure Themen und eure Meinung im Gespräch interessieren. Wie bei allem gilt es sich aber auch im Hinblick auf Familienzeit ehrlich zu hinterfragen: Was ist uns wirklich wichtig und wo hängen wir Idealen nach, von denen wir denken, sie gehörten sich so?

Inke Hummel

Autonomie bedeutet auch zu wissen: Was kann ich gut, wo brauche ich Hilfe, worauf muss ich achten?

Marielle Donzé

5. Wie viel elterliche Kontrolle ist angebracht, wenn Jugendliche abends ausgehen?

Wenn Jugendliche das Haus verlassen, können Eltern sie nicht kontrollieren. Jetzt liegt es am Kind, die Verantwortung für sich selbst wahrzunehmen. Ob es bereit dazu ist, hängt von seinem Entwicklungsstand und den Lernerfahrungen ab, die es im Hinblick auf Selbständigkeit sammeln konnte. Es geht darum, das Kind kompetent zu machen. Ihm zu vermitteln: Du wirst grösser, du wirst selbständiger und wir begleiten dich, damit du autonomer werden kannst. Dafür geben Eltern einen Rahmen vor, der sich dem Entwicklungsstand des Kindes anpasst.

Autonomie bedeutet auch zu wissen: Was kann ich gut, wo brauche ich Hilfe, worauf muss ich achten? So würde ich auch in Sachen Ausgang den Blick auf Erfahrungen richten, die sich aus dem Alltag und dem Gespräch mit meinem Kind ergeben. Wenn die 15-Jährige in den Club will, möchte ich wissen, wie sie und ihre Freundinnen sicherstellen, dass ihnen nichts ins Glas geschüttet wird.

Oder ich möchte mit ihr besprochen haben, wie sie reagieren kann, wenn sie in Bedrängnis gerät. Wir vereinbarten mit unseren drei Teenagern je nach Alter Uhrzeiten, zu denen sie zu Hause sein sollten – sie konnten sich dann melden, wenn die Stimmung gut war und sie ausnahmsweise etwas länger bleiben wollten.

Marielle Donzé, Psychologin

6. Was hilft, wenn Jugendliche Vereinbarungen über die Mithilfe im Haushalt nicht einhalten?

Oft sprechen Eltern von Vereinbarungen, die aus Sicht der Jugendlichen keine sind. Teenager sagen schnell mal Ja, um Ruhe zu haben, wenn die Mutter verkündet, sie müssten ihre Schmutzwäsche künftig selbst einsammeln. Es gilt zu prüfen: Was wurde wirklich – gemeinsam – vereinbart? In dem Punkt lege ich Eltern ein englisches Bonmot ans Herz: «Pick your battles» bedeutet, sich genau zu überlegen, wofür es sich einzustehen lohnt. Also Prioritäten zu setzen: Was ist mir wirklich wichtig?

Ein Gameverbot für nicht erfüllte Ämtli hat keinen Lerneffekt auf die Selbständigkeit.

Über sein Zimmer, finde ich, soll ein Teenager selbst verfügen und wir darüber hinwegsehen, wenn dort Chaos herrscht. Das bedeutet auch, dass ich die stinkenden Sportsachen, die da rumliegen, nicht selbst in die Wäsche befördere. Wir sollten aber nicht erwarten, dass einmal getroffene Vereinbarungen sofort greifen. Fairerweise gebe ich dem Kind also Hilfestellungen, damit es sie erfüllen kann. Schicke ihm zum Beispiel vor dem Waschtag eine Erinnerung, frage es, was es braucht, damit die Sache gelingt – zum Beispiel einen Wäschekorb im Zimmer? Klappt es trotzdem nicht, muss das Kind eben in modrigen Sachen zum Sport.

Anders als eine Strafe – Gameverbot für nicht erfüllte Ämtli –, die keinen Lerneffekt auf die Selbständigkeit hat, ergibt sich dieser Umstand als direkte Konsequenz auf sein Tun. Was Eltern dann oft machen: auf die Schnelle noch fürs Kind waschen. Davon würde ich abraten.

Marielle Donzé

7. Was, wenn der Teenager zu wenig für die Schule macht?

Konflikte mit Teenagern über die Schule haben oft damit zu tun, dass die Eltern ihre Erwartungen nicht kritisch hinterfragen, also zu wenig das Kind und seine Fähigkeiten oder Neigungen im Blick haben, sondern Idealvorstellungen, die diesen nicht unbedingt entsprechen. Ich rede jetzt nicht über Fälle, in denen die Schule auf die Eltern zugeht, weil aufgrund von Problemen Handlungsbedarf besteht. Dann muss man hinschauen. Aber da, wo es, wie eben so oft, um Sek oder Gymi geht, plädiere ich für mehr Gelassenheit. Ein intelligenter Sekschüler ist nicht faul, nur weil er keine Ambitionen für eine höhere Schulstufe hegt. Er zieht einen anderen Weg vor, und das gilt es zu respektieren.

Oskar Jenni, Entwicklungspädiater

8. Brauchen Jugendliche ihre Eltern weniger als Kinder?

Jugendliche brauchen ihre Eltern und das Gespräch mit ihnen noch immer, aber auf eine andere Art und Weise. Das hat meine Tochter in Teenagerjahren treffend formuliert. Sie befand, dass Eltern für Teenager im Grunde ja mehr da sein müssten als für Kinder.

Teenager brauchen ihre Eltern – aber dosierter und mit Respekt für ihre Eigenständigkeit.

Als ich fragte, wie sie das meine, sagte sie: «Eltern von kleinen Kindern wissen Bescheid, wenn die Hilfe brauchen. Sie müssen ihnen Essen geben, wenn sie Hunger haben, und sie trösten, wenn sie weinen. In der Pubertät ist es anders: Wir brauchen die Eltern nicht oft, und sie wissen nie, wann. Darum sollten sie am besten immer da sein, falls es vielleicht doch dazu kommt.»

Zugegeben, das ist kein einfacher und ein zuweilen undankbarer Job. Aber ein sehr wichtiger. Denn ja: Teenager brauchen ihre Eltern – aber dosierter und mit Respekt für ihre Eigenständigkeit.

Monika Czernin, Pädagogin

9. Wie können Eltern dazu beitragen, dass Alkohol und Drogen für ihr Kind nicht zum Problem werden?

Indem sie Kindern bereits in frühen Jahren Erfahrungen ermöglichen, die einerseits ihr Selbstwertgefühl und ihre Integrität stärken – angenommen und geliebt zu sein, in der eigenen Meinung ernst genommen und in Bezug auf persönliche Grenzen respektiert zu werden –, andererseits ihre personalen und sozialen Kompetenzen schulen: Wie gehe ich mit schwierigen Gefühlen angemessen um? Was hilft, mich zu beruhigen, wenn ich unter Stress stehe? Wo hole ich Hilfe, wenn es mir schlecht geht?

Es geht bei der Prävention also nicht nur um Wissensvermittlung. Sicher ist es gut, wenn Eltern ihren Kindern einen kritischen Umgang mit Substanzen vermitteln, gesundheitliche oder gesetzliche Aspekte beleuchten. Aber sie sollen ihnen darüber keine Vorträge halten – und auch auf das achten, was sie ihren Kindern diesbezüglich vorleben.

Karina Weichold, Professorin für Psychologie

10. Eltern können nur schwer abschätzen, wo normale Pubertätserscheinungen aufhören und ernsthafte Entwicklungsprobleme beginnen. Wann ist fachliche Hilfe angezeigt?

Zunehmender Rückzug ist, zusammenfassend gesagt, das wichtigste Warnsignal. Ich meine damit nicht Situationen, in denen Teenager gelegentlich wortkarg sind oder mal wieder stundenlang im Zimmer hocken, sondern Konstellationen, in denen das Kind über einen längeren Zeitraum praktisch gar nicht mehr spricht, kaum mehr an familiären oder anderen sozialen Interaktionen teilnimmt, nicht zur Schule gehen mag. Wenn es hingegen mal wieder Spannungen gibt, weil das Kind seine Grenzen testet oder darüber hinausschiesst, Eltern frech kommt und provoziert, dann sind das – gute – Anzeichen dafür, dass immer noch Beziehung da ist.

Oskar Jenni

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Virginia Nolan
ist Redaktorin, Bücherwurm und Wasserratte. Sie liebt gute Gesellschaft, feines Essen, Tiere und das Mittelmeer. Die Mutter einer Tochter im Primarschulalter lebt mit ihrer Familie im Zürcher Oberland.

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