Wir versinken im Chaos
Müssen sich Eltern vom Traum einer schön aufgeräumten und eingerichteten Wohnung verabschieden? Unsere Kolumnistin hat andere Mütter und Väter um ihre Aufräumtipps gebeten. Hier ist ihre Erkenntnis.
Da sind sie wieder: die selig lächelnden Kinder in pastellfarbenen Kleidern. Weltversunken spielen sie in ihren lichtdurchfluteten Kinderzimmern. Holzregale an der Wand präsentieren wenige, sorgfältig ausgewählte Spielsachen nach Montessori-Art – wie Artefakte in einem Museum ausgestellt.
Minimalismus. Ausser den farblich abgestimmten Teppichen liegt hier nichts auf dem Boden. Ein mehrreihiges Bücherregal, liebevoll bestückt mit pädagogisch wertvoller Kinderliteratur, wartet auf neugierige Lesende. Und da drüben lädt der blitzeblank aufgeräumte Holztisch mit gemütlichem Stuhl zum Basteln und Lernen ein. In Reih und Glied hängen die Kleider an einer Kleiderstange, kleine Bastkörbe verstecken Unterwäsche und Socken.
Ich lege seufzend das Handy weg und lasse den Blick durch unser Wohnzimmer streifen. Von minimalistischer Montessori-Romantik in sorgsam abgestimmten Pastellfarben keine Spur! Stattdessen: sechs Spielkisten im Regal, so randvoll, dass sie regelmässig klemmen, darauf ein Lego-Feuerwehrhaus (wo verstecken sich nur die fehlenden Bauteile?); ein Bücherregal, das sich unter den Lasten biegt und gerne seinen Inhalt abwirft; auf dem Teppich neben dem Couchtisch die Schienen der Eisenbahn, die laut meinem Sohn «unbedingt, aber ganz sicher bis morgen da stehen bleiben müssen».
Wann genau hat sich unser Wohnzimmer in eine Indoor-Spielhalle verwandelt?
Willkommen im Club
Ich denke an die Klagen anderer Eltern aus unserem Freundeskreis: «Ich räume gefühlt den ganzen Tag auf, aber die Kinder sind immer schneller im Chaosmachen!», «Da bringt man alles auf Vordermann und nach fünf Minuten siehts in unserer Wohnung wieder aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen», «Wie soll man nur all dieses Material unter Kontrolle bringen? Unsere Kinder bringen ständig irgendein Kunstwerk aus Schule und Kindergarten nach Hause, dazu die Steine, Kastanien und Stöcke von den Spaziergängen, die Geschenke von Freunden und Verwandten. Es hört nie auf», «Diese Unordnung, die mein Kind überall verbreitet, macht mich richtig kribbelig und unausgeglichen. Wenn so viel rumliegt und rumsteht, überkommt mich schnell das seltsame Gefühl, das Leben nicht mehr im Griff zu haben».
Falls auch Sie zu denjenigen Eltern gehören, die herumliegende Gegenstände rasch stressen und die ihr Zuhause gerne ordentlicher hätten, heisse ich Sie herzlich willkommen im Club! Ich selbst habe aus diesem Grund in den letzten Wochen verschiedene Familien nach ihren hilfreichsten Aufräumtipps und Ordnungsstrategien befragt und verschiedene Bücher dazu gelesen. Hier mein Resümee.
Erkenntnis 1: Sie nutzen einfache Ordnungssysteme
Aufräumen und Ordnung halten kann Familien schnell überfordern. Möglichst einfache Ordnungssysteme scheinen hier Abhilfe zu schaffen: So werden die Kleider in die Kommode gelegt statt aufgehängt, die Spielsachen in verschiedene Spielkisten geschaufelt anstatt einsortiert, die Schulmaterialien erhalten pro Schulfach eine Farbe, werden in dieser eingebunden und gesamthaft in einer Rollbox mit Abteilen aufbewahrt, um sie flexibel zum jeweiligen Lernort schieben zu können. Dadurch wird das Aufräumen weniger anstrengend und von aussen entsteht schnell ein ordentliches Gesamtbild. Das entlastet und schenkt neues Selbstvertrauen.
Erkenntnis 2: Sie legen feste «Parkplätze» für ihre Dinge fest
Einen nützlichen Tipp habe ich vor Kurzem von der Mutter dreier Kinder bekommen. Sie erzählte mir: «Mit drei Kindern versinkt man schnell im Chaos. Ich schaue deshalb, wo am häufigsten etwas liegen bleibt. Dann suche ich mit den Kindern einen geeigneten ‹Parkplatz› und leite sie immer wieder dazu an, die Dinge richtig zu parkieren.» So hat jedes Kind einen markierten «Schulthek-Parkplatz» im Eingangsbereich und den immergleichen Platz für Jacken und Schuhe. Auf ihrer Kommode neben der Haustür hat die fünfköpfige Familie eine kleine Ablage für geöffnete Post und einen Papierabfall für die Briefumschläge aufgestellt.
In vielen Familien hat es sich bewährt, Spielsachen zu rotieren, das heisst einzelne davon zu verstauen und dann wieder durchzuwechseln.
Erkenntnis 3: Sie sortieren regelmässig aus
Regelmässig mit Kindern auszusortieren, ist anstrengend. Oft trennen sie sich ungern von Spielsachen, auch wenn sie sie kaum mehr benutzen. Aber wie wäre es, diese auf dem Flohmarkt zu verkaufen und damit das Taschengeld aufzubessern? Oder Spielsachen und Kleidung für Kinder in Not zu spenden und zu spüren, wie man Gutes tut?
In vielen Familien hat es sich zudem bewährt, Spielsachen zu rotieren, das heisst einzelne davon zeitweise im Keller zu verstauen und dann immer wieder durchzuwechseln. So steht weniger unbenutzt im Wohnraum herum und die Kinder können Altbekanntes immer wieder neu entdecken.
Erkenntnis 4: Sie halten sich an das Prinzip «Erst eines aufräumen, dann das nächste herausziehen»
Wie entlastend, wenn man es schafft, Kindern zu vermitteln, dass sie erst ein neues Spiel zur Hand nehmen, wenn das alte aufgeräumt ist. Ich merke immer wieder, wie viel Begleitung und Beharrlichkeit für die Umsetzung benötigt wird. Das ist in einem Alltag, in dem die Kinder vielfach alleine spielen und wir Erwachsenen uns der (Haus-)Arbeit zuwenden, nicht ganz so einfach machbar. Wir für unseren Teil üben jedenfalls noch. Aber vielleicht sind Sie bereits einen Schritt weiter?
Wir sind in unserem Familien- und Freundeskreis dazu übergegangen, auf unnötige Geschenke zu verzichten.
Erkenntnis 5: Sie wählen Geschenke bewusster
Egal, ob zu einem sporadischen Besuch, zum Geburtstag oder zu Weihnachten: Immer wieder wandern grosse und kleine Geschenke ins Haus, die sich mal mehr, mal weniger gut nutzen lassen. In unserem Familien- und Freundeskreis sind wir seit Kurzem dazu übergegangen, auf unnötige Kleinigkeiten wann immer möglich zu verzichten. Stattdessen sprechen wir uns ab und schenken befreundeten Kindern nur Dinge, die sie sich wirklich wünschen beziehungsweise brauchen. Mit zwei nahestehenden Familien tauschen wir von Zeit zu Zeit einzelne Kinderspielsachen. Das weckt die Neugier und man kann Unpassendes ohne schlechtes Gewissen wieder zurückgeben.
Ein Kampf gegen Windmühlen?
Sogar die japanische Ordnungsgöttin Marie Kondo, Autorin des Weltbestsellers «Magic Cleaning: Wie richtiges Aufräumen Ihr Leben verändert», gibt inzwischen auf ihrem persönlichen Blog zu: «Als ich mein erstes Kind bekam, war ich frustriert, weil ich mein Zuhause nicht mehr so aufräumen konnte, wie ich das wollte. Als ich dann zum zweiten Mal Mutter wurde, hatte ich nicht einmal mehr die Energie, um wenigstens ein paar meiner bisherigen Strategien zu beachten!»
Nun hat Marie Kondo drei Kinder und zieht das Fazit: «Ich habe den Versuch irgendwie aufgegeben, mein Haus zu jeder Zeit so gut aufgeräumt wie möglich zu halten. Die Mutterschaft hat mir beigebracht, mir selbst mehr zu verzeihen. Die Freude an meinen Kindern ist mehr wert als jede Befriedigung, die ich aus einem makellos aufgeräumten Zuhause ziehen könnte.»
Wie tröstlich, oder?