Wie bringt man sein Kind zum Aufräumen?
Seit Jahren kämpft unser Kolumnist mit dem Chaos im Zimmer seiner Tochter. Nun haben Vater und Tochter das Ordnen nach Marie Kondo ausprobiert. Mit erstaunlichem Resultat.
Es gibt drei globale Herausforderungen, von denen ich fürchte, dass sie im Laufe meines Lebens nicht mehr gelöst werden: der Nahostkonflikt, die Erderwärmung und das Chaos im Zimmer meiner Tochter. Unlängst durfte ich eine Frau interviewen, die vorgibt, das dritte Problem im Griff zu haben. Es handelt sich um die Japanerin Marie Kondo.
In ihrem Ordnungsmanifest – das weltweit meistverkaufte Buch der letzten Jahre – konzentriert sie sich auf drei Regeln: Jedes Ding in deiner Wohnung hat seinen festen Platz. Behalte nur Dinge, die dich wirklich glücklich machen. Wirf alles andere weg. Diese lakonische Sortierlogik passt perfekt zum Reduktionstrend urbaner Grossstadtbewohner, deren strenge Wohnräume an die makellose Aufgeräumtheit von Hotelzimmern erinnern.
Auch mir leuchtete die japanische Ordnungshermeneutik sofort ein. Und doch tauchen Fragen auf: Hat Kondo Kinder? Anders gefragt: Weiss sie, wovon sie redet? Wurde ihre Methode schon einmal am Ernstfall, also an Kinderzimmern, getestet? Ihre erstaunliche Antwort: Kinder lieben Ordnung.
Wie lange hält die kondoisierte Ordnung an?
53 Minuten nach dem Interview sass ich mit meiner Tochter im Chaoszimmer. Wir schütteten, wie ich es von Kondo gelernt hatte, alle Kleider, Bücher, Spielzeuge, Kleber, Buntstifte, Kuscheltiere, Kaugummipapiere, Kinderpoststempel, Glasmurmeln und Puppenwindeln auf einen grossen Haufen.
Die nächsten 12 Stunden nahm sie jedes einzelne Ding in die Hand und fragte sich, ob es sie glücklich mache. Hinter ihrem Rücken warf ich die Hälfte weg. Hinter meinem Rücken kramte sie das meiste wieder aus dem Abfallsack heraus. Aber 36 Stunden und sechs Müllsäcke später war das Zimmer fast leer, waren die Kleider peinlich genau gefaltet im Schrank und jedes, wirklich jedes Spielzeug an seinem festen Ort.
Guten Freundinnen führt unsere Tochter ihr ‹kondoisiertes› Zimmer vor, als wäre es die Grabkammer des Pharaos Tutanchamun.
Wir lagen uns in den Armen wie nach einem grossen Match. Abends im Bett schrieb sie stolz Briefe an ihre Grossmutter (eine Person mit einem an Zwanghaftigkeit grenzenden Ordnungssinn) und erklärte mit strenger Miene ihren Puppen das neue Prinzip. Ich machte ein Bier auf und schloss Wetten mit meiner Frau ab, wann das Chaos wieder Einzug halten würde (sie: nach zwei Tagen, ich: nach zwei Stunden).
Das Experiment ist jetzt wenige Monate alt, unsere Wohnung versinkt in Unordnung, aber zuverlässig wie eine Atomuhr räumt unsere Tochter jeden Abend ihr Zimmer auf, faltet ihre Kleider und berichtet mit der Aufdringlichkeit eines Staubsaugervertreters jedem von ihrem «kondoisierten» Zimmer.
Richtig gute Freundinnen lädt sie sogar zu sich nach Hause ein, um den Raum vorzuführen, als sei es die Grabkammer des Pharaos Tutenchamun. Es gibt zwei globale Herausforderungen, von denen ich fürchte, dass sie im Laufe meines Lebens von der Menschheit nicht gelöst werden: der Nahostkonflikt und die Erderwärmung.