«Uns war wichtig, dass unsere Kinder für sich selbst denken»
Die Kinder der Familie Vowles sind bereits erwachsen. Nun blicken Sarah, Riff, Rhiana und Khadija darauf zurück, wie sich das Loslassen für sie angefühlt hat, auch bei ihrem Umzug von Kanada in die Schweiz.
Sarah Vowles, 51, arbeitet als Direktorin für Nachhaltigkeit, und ihr Mann Riff, 66, ist pensionierter Spezialist in der Entwicklungszusammenarbeit. Mit Rhiana, 29, und Khadija, 27, kamen sie vor 17 Jahren aus Kanada in die Schweiz.
Sarah: «Ich habe mich gefreut, zu sehen, wie unsere Töchter immer unabhängiger geworden sind. Schliesslich wollten wir sie ja zu selbständigen Menschen erziehen. Als beide ausgezogen sind – Rhiana nach England, Khadija zurück nach Kanada –, fühlte ich anfangs schon eine Nestleere. Jetzt sind beide wieder in der Schweiz und obwohl sie in verschiedenen Städten leben, haben wir täglich Kontakt.»
Das Loslassen bringt etwas in Gang, dessen Resultat man nicht beeinflussen kann.
Sarah Vowles
Riff: «Ich bin der jüngste von sieben Söhnen. Ich glaube, meine Mutter hat damals das leere Nest sehr viel stärker gespürt, weil sie sich ihr Leben lang hauptsächlich um uns Kinder kümmerte. Bei uns war das anders. Der Lebensabschnitt mit den Kindern zu Hause war viel kürzer.»
Sarah: «Ich bin dankbar, dass die beiden einfach gerne mit uns zusammen sind. Man kann Kinder nicht dazu zwingen, für einen da zu sein. Letztendlich bringt man mit dem Loslassen etwas in Gang, dessen Resultat man nicht beeinflussen kann.»
Riff: «Als wir damals aus Kanada in die Schweiz kamen, mussten wir so einiges loslassen. Eine der grössten Veränderungen für uns war, dass junge Mädchen hier oft bis spät in die Nacht unterwegs waren. Das wäre in Toronto oder Ottawa undenkbar gewesen. Ich fragte: Sie will was? Die ganze Nacht auf ein Fest? Da trafen definitiv zwei Kulturen aufeinander.»
Mehr Freiheiten als in Kanada
Khadija: «Die Schweiz ist diesbezüglich viel sicherer. In Kanada wäre es nicht möglich, nachts alleine mit dem Bus zu fahren.»
Rhiana: «Vieles hier machte es uns leichter, unabhängig zu werden. In Kanada durften wir nur unbegleitet zur Schule gehen, wenn ältere Kinder dabei waren. Ansonsten mussten wir überall hingebracht und wieder abgeholt werden. Hier durften alle meine Freundinnen länger ausgehen als ich. Ich lehnte mich dagegen auf, immer früher nach Hause zu müssen.»
Es ist möglich, einem Menschen nahezustehen, ohne seine Weltsicht zu teilen. Das ist ermutigend.
Riff
Riff: «Uns war schon immer wichtig, beide zu ermutigen, für sich selbst zu denken. Als Khadija vor einiger Zeit zum Islam konvertierte, war meine erste Reaktion, dass ich diese Weltsicht nicht verstehe. Aber letztlich ist sie eine eigenständige Person und trifft ihre Entscheidungen basierend auf dem, was ihr wichtig ist. Ich sehe eine Parallele zu meiner eigenen Geschichte mit meiner Mutter. Sie war streng katholisch und ich wurde religiös erzogen, war aber nie besonders gläubig. Sie akzeptierte das. Ich glaube, es ist durchaus möglich, einem Menschen nahezustehen, ohne seine Weltsicht zu teilen. Das ist ermutigend.»
Sarah: «Als Khadija im Zuge ihrer Konversion ihren Namen ändern wollte, war ich erst überrascht. Aber dann halfen wir, die Namensänderung bei den Behörden durchzusetzen. Auch mit ihrer Entscheidung, einen Hijab zu tragen, haderte ich zuerst. Ich dachte: Muss sie so viel bedecken? Dann erkannte ich jedoch, wie mutig diese Entscheidung war. Es gab aber schon einen Moment, in dem ich dachte: Ist das noch meine Tochter? Jetzt habe ich damit gar kein Problem mehr.»
Khadija: «Als ich anfing, Hijab zu tragen, hatte ich Angst, mit meiner Familie darüber zu sprechen. Ich malte mir jede Unterhaltung mit jedem Familienmitglied vorher aus, überlegte, wie es reagieren würde. Ich habe grosses Glück, dass sie mich unterstützt haben. Ich glaube sogar, es hat unsere Beziehungen zueinander gefestigt.»