«Herr Daum, warum ist Bindung so wichtig?»
Der Zürcher Entwicklungspsychologe Moritz Daum erklärt, warum eine gute Beziehung zu den Eltern so wichtig ist für die kindliche Entwicklung. Und er klärt auf über Selbstregulation, Frühförderung und warum Eltern ihr Kindergartenkind nicht unterschätzen sollten.
Herr Daum, was beschäftigt ein sechsjähriges Kind aus entwicklungspsychologischer Sicht?
Sein Denken ist nicht mehr auf ein fache persönliche Vorlieben ausgerichtet, sondern komplexer geworden. Seine Welt hat sich geöffnet. Das Kind weiss nun, dass es verschiedene Perspektiven und Realitäten gibt und kann sich in andere Menschen hineinversetzen. Es verfügt über die sogenannte «Theory of mind», eine anspruchsvolle kognitive Leistung.
Was ist daran so besonders?
Sie bedeutet die Fähigkeit, Gefühle, Bedürfnisse, Ideen, Absichten, Erwartungen und Meinungen bei anderen zu vermuten und zu verstehen. Zu wissen, dass es zusätzlich zum eigenen Repräsentationskonzept andere Wirklichkeiten gibt.
Wann verfügt ein Kind über diese Fähigkeit?
Auf einer expliziten Ebene im Alter von vier bis fünf Jahren. Vorläufer gibt es schon früher, mit eineinhalb oder zwei Jahren.
Wie wichtig ist diese Fähigkeit für die spätere Entwicklung?
Studien zeigen, dass Kinder, die sich gut in andere hineinversetzen können, in der Sprachentwicklung und in Bezug auf andere innere Zustände wie Emotionen, Gefühle und Absichten etwas schneller unterwegs sind.
Welche Faktoren beeinflussen diese Entwicklung?
Das ist eine ganze Reihe von verschiedenen Aspekten. Zum Beispiel, dass Kinder sich immer wieder auch in andere Personen hineinversetzen müssen. Eine weitere wichtige Grundlage ist die Beziehungserfahrung, die Beziehung zu den Eltern oder zur Bezugsperson.
Inwiefern?
Kleine Kinder haben noch keine ausgeprägte Fähigkeit zur Selbstregulation, sondern brauchen sogenannte Co-Regulatoren, zum Beispiel die Eltern. Wenn ich als einjähriges Kind Angst habe oder mir etwas wehtut, ist es wichtig, dass jemand da ist, der auf meine Bedürfnisse und Ängste konsistent, adäquat und prompt reagiert. Ist das dauerhaft der Fall, führt das zu einem Gefühl der Sicherheit. Mit steigen dem Alter werden die Lösungsstrategien dann mehr und mehr verinnerlicht, sodass ich mir zunehmend selbst helfen kann.