Pubertät: Eine Zeit des Wandels
Wie sich Kopf und Körper in der Pubertät verändern und warum Freundschaften plötzlich im Fokus stehen. Erfahren Sie die drei wichtigsten Anzeichen, die diesen Lebensabschnitt prägen.
1. Achtung, Umbauarbeiten im Gang!
Auch wenn die Pubertät zunächst vor allem durch körperliche Veränderungen ins Auge sticht – mindestens so viel verändert sich während dieser Entwicklungsphase im jugendlichen Gehirn. Dort nämlich kommt es durch die Sexualhormonausschüttung zu einem grundlegenden Umbau, der die abschliessende Reifung verschiedener Gehirnareale einleitet – etwa der sogenannten grauen Substanz in der Grosshirnrinde. Sie wird von Nervenzellen und den Synapsen gebildet – so heissen die Verbindungen zwischen den Nervenzellen.
In der Pubertät steht Entrümpelung an: Wenig genutzte Synapsen werden abgebaut, häufig beanspruchte verstärkt.
In der frühen Kindheit wächst deren Anzahl rasend schnell: Mit jeder Lernerfahrung, die ein Kleinkind macht, werden neue Synapsen gebildet und somit Hirnstrukturen miteinander verknüpft. Die Art, die Qualität und die Menge an Lernerfahrungen, die ein Kind macht, entscheiden darüber, wie dicht und damit leistungsfähig sein neuronales Netz zum Start in die Pubertät ist. In der Pubertät steht dann Entrümpelung an: Wenig genutzte Synapsen werden abgebaut, häufig beanspruchte hingegen verstärkt. Diese Ausdünnung ist nicht etwa ein Verlust, sie dient vielmehr der Steigerung der Gehirnleistung. Zeitgleich kommt es nämlich zu einem Ausbau von Nervenfasern, die Informationen zwischen den Nervenzellen schneller vermitteln.
Teenager haben die kürzesten Reaktionszeiten
Die Geschwindigkeit der Hirn- und damit der Denkprozesse wächst dadurch um ein Vielfaches, ebenso die Konzentrationsfähigkeit. So haben Teenager im Vergleich zu allen Altersgruppen die kürzesten Reaktionszeiten. Aber: Die Gehirnreifung während Pubertät und Adoleszenz verläuft schrittweise, geht also nicht in allen Gehirnarealen gleichzeitig vonstatten. Der präfrontale Kortex, unter anderem für Impulskontrolle und Planung zuständig, kommt als Letztes dran.
Erst im Alter von 20 bis 25 Jahren ist er voll ausgereift. Bis dahin ist Jugendlichen vernunftgeleitetes Denken nur bedingt möglich und sie sind weniger gut in der Lage, Impulse zu unterdrücken – etwa diejenigen aus den Hirnarealen, die Emotionen hervorrufen und in dieser Entwicklungsphase besonders aktiv sind. Das erklärt, was Jugendliche so anfällig für Gefühlsausbrüche und Stimmungsschwankungen macht.
Pubertierende brauchen stärkere Anreize als Erwachsene, um einen Kick oder Glücksgefühle zu verspüren.
Auch ihr Hang zu Draufgängertum und Risikofreude ist Umbauarbeiten im Gehirn geschuldet: Das Absterben ungenutzter Synapsen führt temporär dazu, dass weniger stimulierende Reize in ihr limbisches System – das «Belohnungszentrum» – gelangen, wo das sogenannte Glückshormon Dopamin ausgeschüttet wird. Das bedeutet: Pubertierende brauchen wesentlich stärkere Anreize als wir, um einen Kick oder Glücksgefühle zu verspüren.
Ausserdem zeigt die Neurowissenschaft, dass Jugendliche zeitweilig nicht mehr so gut in der Lage sind, Emotionen aus Gesichtern zu lesen. Sie können also die Gefühle ihres Gegenübers nicht mehr so gut deuten, was sie unsicherer macht – und sie in ihrer Reaktion manchmal ganz schön danebenliegen lässt.
2. Warum die Pubertät immer früher beginnt
Die Entwicklung zur Geschlechtsreife tritt heute weltweit früher ein. «Der Start in die Pubertät hat sich in den vergangenen 200 Jahren um vier bis sechs Jahre nach vorne verschoben», sagt Jugendforscher Klaus Hurrelmann. Forscherinnen vermuten dahinter vielfältige Gründe. Dazu gehören etwa eine kalorienreichere Ernährung – Voraussetzung für die Fortpflanzung ist genügend Fettgewebe –, Chemikalien, die über Kunststoffgegenstände in den Körper gelangen und dort eine hormonähnliche Wirkung entfalten können, aber auch der moderne Lebensstil mit Stress, Schlafmangel und Lärmbelastung.
Menschen in ihrer Zeit als Jäger und Sammler waren viel früher geschlechtsreif.
Immer mehr Wissenschaftler vermuten aber auch einen evolutionsbiologischen Zusammenhang. So etwa der neuseeländische Pädiater und Hormonspezialist Peter Gluckman. Ihm zufolge waren Menschen in ihrer Zeit als Jäger und Sammler viel früher geschlechtsreif – und bekamen im Alter von 12 bis 14 Jahren ihre ersten Kinder. Erst nachdem die Menschen sesshaft geworden waren, sahen sie sich demnach in mehreren aufeinanderfolgenden Epochen einer verschlechterten Ernährungssituation und – etwa zur frühen Industriezeit – katastrophalen Lebensbedingungen gegenüber, die das Einsetzen der Geschlechtsreife nach hinten verschoben.
Auch aus Sicht von Oskar Jenni, Co-Leiter der Entwicklungspädiatrie im Kinderspital Zürich, spricht vieles dafür, dass die verfrühte Pubertät keine erstmalige Erscheinung ist, «sondern eher eine Korrektur in Richtung des ursprünglichen Normalzustands».
3. Wenn die Peers über alles gehen – sogar bei Tisch
Gesunde Pausenbrote in den Abfall werfen oder die Familienmahlzeit verschmähen, um sich hinterher am Imbissstand zu verpflegen: Die Peers haben einen mitunter frustrierenden Einfluss auf die Essgewohnheiten von Heranwachsenden. Das lässt sich auch in der Tierwelt beobachten, wie Medizinerin und Evolutionsbiologin Barbara Natterson-Horowitz in ihrem Buch «Junge Wilde» schreibt: «Stellt man Wanderratten vor die Wahl zwischen einem schmackhaften Futter, das sie gerne fressen, und einem unangenehmen, das sie nicht mögen, dann entscheiden sie sich immer für das schmackhafte.
Ratten in der Pubertät frassen Gift, wenn es die anderen auch taten
Aber als man in einer Studie die pubertierenden Ratten mit Gleichaltrigen zusammenbrachte, veränderten sich die Wahlentscheidungen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Ratten ihre eigene Geschmackspräferenz aufgaben und die ihrer Altersgenossen kopierten, verdoppelte sich», so Natterson-Horowitz. «Das ging so weit, dass sie Gift frassen: Obwohl sie von verdorbenem Futter in der Vergangenheit schon einmal krank geworden waren, frassen sie das giftige Zeug, wenn sie sahen, dass die anderen es auch taten.»
Die Informationen von Gleichaltrigen über die unmittelbare Umgebung sind oft auf einem aktuelleren Stand als die Informationen der Eltern.
Das Verhalten der Jungratten habe jedoch nachweislich einen ökologischen Grund, so die Forscherin, «und er könnte auch bei Menschen eine Rolle spielen. Die Informationen von Gleichaltrigen über die unmittelbare Umgebung sind oft auf einem aktuelleren Stand als die Informationen der Eltern. Auf eingefahrenen Gleisen, von Ressourcen, Status oder Traditionen profitierend, haben ältere Tiereltern vielleicht die Veränderungen in den Nahrungsökosystemen nicht mitbekommen, an denen die jüngeren Tiere dichter dran sind – und die sie weit mehr betreffen.»