«Ganz ohne ‹Wenn-Dann› schaffe ich es nicht»
Produktionsmitarbeiterin Tanita, 31, hat sich intensiv mit ihrer eigenen Geschichte auseinandergesetzt, damit ihre Töchter, 6 Monate, 2 und 12, dereinst auf eine glückliche Kindheit zurückblicken. Mit den Kindern und Partner Fabian, 37, der ein technisches KMU führt, pflegt sie heute ein Familienleben, wie sie es sich als Kind gewünscht hätte.
Tanita: «Hand aufs Herz: Auch wir greifen als Eltern manchmal auf Strategien zurück, die in gewisser Hinsicht gewaltsam sind. Erpressung zum Beispiel: ‹Wenn du jetzt nicht vorwärtsmachst, gehen wir nicht zum Grosi.›»
Fabian: «Oder die Mittlere weigert sich so lange, sich die Zähne zu putzen, bis ich es eigenhändig mache. Das könnte man auch als Gewalt bezeichnen. Aber irgendwie müssen wir die Zähne sauber bekommen.»
Tanita: «Sie ist halt in der Autonomiephase. Ich wähle Worte mit Bedacht, aber ganz ohne ‹Wenn-Dann› schaffe ich es nicht.»
Fabian: «Ich greife dafür manchmal auf eine Bonbonrolle als letzten Ausweg zurück.»
Tanita: «Meine Mutter starb, als ich fünf und mein Bruder drei war. Die Dinge änderten sich schlagartig. Es war, als hätte man mir den Zugang zu Geborgenheit und Sicherheit gekappt. Mit meiner Trauer wurde ich alleingelassen, vermutlich, weil die Not meines Vaters die von uns Kindern überschattete. Es gab für uns schlicht keine Kapazität mehr. Vater heiratete wieder, kurz darauf kam mein jüngster Bruder zur Welt. Zu Hause herrschte ein permanent angespanntes Klima. Jeden Tag aufs Neue bereitete ich mich innerlich auf willkürlich platzierte Demütigungen, Drohungen sowie körperliche Gewalt vor. All diese Gewaltformen waren Ausdruck davon, wie gross die Distanziertheit gegenüber uns Kindern war. Heute vermute ich, dass diese im Kern aus elterlicher Überforderung mit der eigenen Geschichte resultierte.»
Ich sage meinen Kindern täglich, wie sehr ich sie liebe. Sie sind für mich keine Belastung, sondern machen mein Leben besser.
Fabian: «Ich finde es stark, wie reflektiert Tanita als Mutter mit ihrer Vergangenheit umgeht.»
Tanita: «Ich sehe mich nicht als Opfer meiner Vergangenheit, sondern versuche stattdessen, das Gute darin zu sehen: Dazu gehört für mich die Tatsache, dass ich genau weiss, wie ich es mit meinen Kindern nicht machen will – und Erziehung daher reflektiert angehe. Manchmal habe ich trotzdem Angst, negative Muster seien hängen geblieben: Wenn ich müde oder gestresst bin, nörgle ich an den Kindern oder Fabian herum. Dann können Kleinigkeiten mich extrem aufregen: Die Grosse, die im Teller herumstochert, die Kleine, die nicht stillsitzen kann.»
Fabian: «Tanita kommuniziert dann passiv-aggressiv, mit spitzen Bemerkungen, die einem das Gefühl geben, man sei unzulänglich. Dem halte ich entgegen, auch, weil sie mich gebeten hat, dahingehend aufmerksam zu sein. Gleichzeitig ist es schlicht verständlich, wenn man nach einem langen Tag mit drei Kindern auch mal genug hat.»
Tanita: «Was mich staunen lässt: Wie friedlich die Grosse und ich es haben, wo sie doch bald ein Teenager ist. Klar kommt es vor, dass sie frech wird. Aber ich weiss: Ihr pubertäres Gehirn ist eine Baustelle. Das hilft mir, ihr Verhalten nicht persönlich zu nehmen und oft gelassen zu bleiben. Ich sage meinen Kindern täglich, wie sehr ich sie liebe. Sie sind für mich keine Belastung, sondern machen mein Leben besser. Das sollen sie spüren.»