7 Tipps für Eltern zur gewaltfreien Erziehung
Was kann Eltern helfen, im Clinch mit dem Nachwuchs auf Drohungen, Schimpftiraden, demütigende Worte oder die kalte Schulter zu verzichten? 7 Expertentipps zu einer gewaltfreieren Erziehung.
1. Alltagsstress reduzieren
Stress ist einer der häufigsten Auslöser für Gewalt in der Erziehung. Ein bewussterer Umgang damit gehört laut Kinderschutz Schweiz zu den wirksamsten Ansätzen, Gewalt entgegenzuwirken. Gewisse Stressfaktoren wie Krankheit oder berufliche Probleme sind unvorhersehbar und wenig beeinflussbar. Andere schon: Zeitdruck und Mental Load kann reduzieren, wer seine Prioritäten überdenkt und die To-do-Liste ausmistet: Was ist wirklich nötig, was darf auch mal liegen bleiben?
Kinderschutz Schweiz empfiehlt ausserdem, Anforderungen des Alltags «aktiv zu begegnen». Das heisst: Gezielter zu strukturieren, was an Aufgaben anfällt – und sich dann auf das zu beschränken, was am jeweiligen Tag ansteht. Wer offene Baustellen aufs Gratwohl abarbeitet, läuft Gefahr, davon übermannt zu werden. Stressoren aktiv zu begegnen, heisst auch, in soziale Netzwerke zu investieren und nach Unterstützung zu suchen, sei sie professioneller Art oder ein Arrangement unter Nachbarn.
2. Erziehungsziele hinterfragen
Unsere Erziehungsziele prägen unseren Umgang mit dem Kind. «Sie bilden Idealnormen für das kindliche Verhalten und somit die Vergleichsgrundlage, aufgrund derer Eltern ein Verhalten als störend beurteilen», sagt Familienforscher Dominik Schöbi von der Universität Fribourg. «Solche Normen können in kritischen Momenten die elterliche Belastung steigern und Gewalt begünstigen, weil sich Eltern je nachdem rascher zum ‹Durchgreifen› veranlasst oder sogar verpflichtet fühlen», sagt Schöbi.
Im Rahmen der «Studie zum Bestrafungsverhalten von Eltern aus der Schweiz» konnten Schöbi und sein Team zeigen, dass Eltern, die stark auf Verhaltenskontrolle setzen und Fleiss, Ordentlichkeit und Anpassungsfähigkeit als wichtigste Erziehungsziele erachten, ihre Kinder nachweislich öfter körperlich bestrafen als solche, deren primäre Erziehungsziele darin liegen, das Selbstbewusstsein des Kindes und seine Entfaltung zu fördern. «Dieser Zusammenhang zeigt sich auch im Hinblick auf psychische Gewalt», sagt Schöbi.
Eltern sollten ihre eigenen Grenzen anerkennen und dem Kind gegenüber für diese einstehen.
Annette Cina
Offener formulierte und langfristig ausgerichtete Erziehungsziele wie etwa die Selbständigkeit des Kindes zu fördern, weiss Schöbi, ermöglichen Eltern mehr Handlungsspielraum, was in Krisensituationen entlastend wirkt, und sind auch aus entwicklungspsychologischer Sicht sinnvoller.
3. Die eigenen Grenzen wahren
Die Entfaltung des Kindes zu fördern, heisst nicht, seine Wünsche über die eigenen Bedürfnisse zu stellen, sagt Annette Cina, Psychologin und Familienberaterin. «Es ist wichtig, dass Eltern ihre persönlichen Grenzen anerkennen und dem Kind gegenüber auch für diese einstehen», sagt sie. «Wer seine Grenzen permanent übergeht, um kindlichen Widerstand zu vermeiden, läuft irgendwann Gefahr, zu explodieren – auf die eine oder andere Art.»
4. Sich schlau machen
Ob Eltern das Verhalten ihres Kindes als störend und Massnahmen dagegen als nötig erachten, hängt Familienforscher Schöbi zufolge nicht nur mit ihren Erziehungszielen zusammen, es hat auch damit zu tun, wie gut sie über die kindliche Entwicklung informiert sind: «Mehr Wissen darüber, wie viel ‹Problemverhalten› in welchem Alter normal ist, hilft, dem Kind mit realistischeren Erwartungen zu begegnen, was Konflikte entschärfen und Gewalt vorbeugen kann.»
5. Die eigene Rolle nicht überschätzen
Drei Hauptfaktoren, weiss Cina, prägen die Entwicklung des Kindes massgeblich – «einer davon ist neben seiner persönlichen Veranlagung und Umwelteinflüssen das Elternhaus». «Nur» einer davon, wie Cina betont: «Das bedeutet: Als Mutter oder Vater kann ich nicht alles regeln. Dies ist kein Beleg für meine Unfähigkeit, es liegt in der Natur der Sache.» Diese Einsicht sei hilfreich – gerade auch, wenn es darum gehe, turbulenten Momenten mit mehr Ruhe zu begegnen.
Räumliche Trennung kann einen Kurzschluss verhindern, den man hinterher bereut.
Markus Wopmann
6. Sich ein Time-out nehmen
Manchmal nützen alle guten Absichten nichts und die Emotionen kochen hoch. Was hilft? «Der Tipp ist banal, aber effektiv», sagt Markus Wopmann, pensionierter Chefarzt der Kinderklinik am Kantonsspital Baden, der während 30 Jahren die dortige Kinderschutzgruppe leitete. «Dann sollen Eltern sich aus der Konfliktzone entfernen und dem Kind das so mitteilen: Ich brauche einen Moment, um mich zu beruhigen.» Eine räumliche Trennung, weiss Wopmann, kann einen Kurzschluss verhindern, den Eltern hinterher bereuen.
7. Auch das Gute sehen
In herausfordernden Zeiten mit dem Nachwuchs, sagt Familienberaterin Cina, tendierten Eltern dazu, ihren Blick vor allem auf Streitpunkte zu richten: die schlechten Noten, das unaufgeräumte Zimmer und so weiter. Sie rät ihnen, sich zwischendurch zu vergegenwärtigen, was sie an ihrem Kind schätzen und als dessen Stärken betrachten. «In solchen Momenten zeigt sich, dass vieles auch gut klappt», so Annette Cina. «Diese Erkenntnis entlarvt den Trugschluss, dass ‹alles› schiefläuft, der im Umgang mit dem Kind viel destruktives Potenzial hat.»