Simone Hilber: «Es fehlt eine nationale Kinderrechtspolitik» - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Simone Hilber: «Es fehlt eine nationale Kinderrechtspolitik»

Lesedauer: 3 Minuten

Die Soziologin Simone Hilber erstattet mit der Stiftung Kinderdorf Pestalozzi dem Kinderrechtsausschuss der UNO regelmässig Bericht darüber, wie es um die Kinderrechte in der Schweiz steht. Sie weiss, was drei Jahrzehnte Kinderrechte bewegt haben, wo die Schweiz noch Hausaufgaben zu erledigen hat und wie man die Kinderrechte als Familie im Alltag stärken kann.

Frau Hilber, warum braucht es spezielle Rechte für Kinder?

Die Kinderrechte sind wichtig, weil sie Kinder klar von Erwachsenen abgrenzen. Sie signalisieren einerseits, dass Kinder einen höheren Bedarf an Schutz vor Ausbeutung oder Gewalt haben, andererseits stellen sie sicher, dass Kinder als eigenständige, rechtliche Subjekte wahrgenommen werden.

Was hat die Kinderrechtskonvention in den vergangenen Jahren bewegt? 

Die grösste Errungenschaft ist die Anerkennung des eigenen Willens und der eigenen Entscheidungsmacht. Konkrete Veränderungen sind beispielsweise im Adoptionsrecht oder im Kinder- und Erwachsenenschutzgesetz umgesetzt worden. Aber auch an Schulen und in Gemeinden werden Kinder immer häufiger in Gestaltungs- und Entscheidungsprozesse eingebunden. Jugendparlamente und Kinderkonferenzen verstärken den politischen Einfluss von Kindern und Jugendlichen.
Zur Person: Simone Hilber ist Soziologin und arbeitet bei der Stiftung Kinderdorf Pestalozzi als Fachperson zu Bildungs- und Evaluationsfragen.
Zur Person:
Simone Hilber ist Soziologin und arbeitet bei der Stiftung Kinderdorf Pestalozzi als Fachperson zu Bildungs- und Evaluationsfragen.

Mit Fokus auf die Umsetzung der Kinderrechte: Wo muss die Schweiz noch nachbessern?

Auf den ersten Blick geht es Kindern und Jugendlichen in der Schweiz gut. Auf den zweiten Blick hat auch die Schweiz Hausaufgaben zu erledigen – speziell in der Sicherstellung der Rechte für alle Kinder. Es fehlt eine nachhaltige, nationale Kinderrechtspolitik und -strategie. Es ist bedauerlich, dass das föderale System der Schweiz dazu führt, dass der Zugang zu Rechten vom Wohnkanton der Kinder abhängt.

Wie lässt sich die Situation verbessern?

Diese Chancenungleichheit kann nur beseitigt werden, wenn die Kinderrechte und die Empfehlungen des Kinderrechtsausschusses der Vereinten Nationen auch in den Kantonen systematisch umgesetzt werden. Weiter fehlt auch eine systematische Überwachung der Kinderrechte auf nationaler Ebene. Die Datenlage ist aktuell vor allem für vulnerable, das heisst besonders verletzliche Gruppen zu dürftig. Zwar sind Bestrebungen zur Verbesserung der Datenlage betreffend fremdplatzierte Kinder sowie Kinder inhaftierter Eltern im Gange, doch sollten diese weiter reichen – insbesondere für Kinder und Jugendliche unter 14 Jahren im Asyl- und Migrationsbereich.

Welche Rolle spielen Organisationen wie die Stiftung Kinderdorf Pestalozzi in diesem Prozess?

Sie tragen dazu bei, dass die Kinderrechte in der Schweiz wahrgenommen werden. Die Stiftung Kinderdorf Pestalozzi ist Vorstandsmitglied des Netzwerks Kinderrechte Schweiz, einem Zusammenschluss von rund fünfzig Hilfswerken aus der Schweiz. Das Netzwerk setzt sich für die Kinderrechte und ihre Ausgestaltung ein, beispielsweise durch seine regelmässigen Berichte an den UN-Kinderrechtsausschuss.

Was hat es mit diesen sogenannten «Schattenberichten» auf sich?

Als die Schweiz 1997 die Kinderrechtskonvention ratifizierte, hat sie sich dazu verpflichtet, dem UN-Kinderrechtsausschuss regelmässig Bericht zu erstatten, wie es um die Kinderrechte im Land steht. Der Bericht der offiziellen Schweiz wird begleitet und kritisch ergänzt durch den Bericht des Netzwerkes Kinderrechte Schweiz.

Welche Verbesserungen fordert das Netzwerk Kinderrechte Schweiz in seinem Reporting?

Die Bandbreite der Themen ist gross. Sei es, dass neue Gesetzgebungsentwürfe in der Schweiz nicht auf ihre Vereinbarkeit mit der Kinderrechtskonvention geprüft werden oder dass Fachpersonal, welches mit Kindern arbeitet, zu wenig über die Konvention weiss. Die Themen erstrecken sich weiter über Chancengleichheit in der Bildung oder Ausbeutung von Kindern bis zum Kinderhandel. Auch Kinderarmut, Suizidprävention oder das Recht von Kindern mit Behinderung auf inklusive Bildung und frühe Förderung kommen zur Sprache.

Wie können Eltern im Familienalltag die Rechte ihrer Kinder stärken?

Ich denke, dass es ein guter Ansatz ist, sich gemeinsam mit den Kindern über die Kinderrechte zu informieren. Familien können sich auf gemeinsame Entscheidungsprozesse einigen, beispielsweise bei der Wahl des nächsten Urlaubsortes. Argumente für oder gegen einen Ort können so zusammen diskutiert werden. Rahmenbedingungen wie Budget oder Mitbestimmungsgrad sollten dabei festgelegt werden. Kinder lernen so, dass sie ernst genommen werden, aber auch, dass es Regeln gibt, an die sich alle halten müssen. Denn mitbestimmen heisst nicht, allen auf der Nase rumzutanzen und nur die eigenen Ideen zu realisieren.

Bild: Archiv Stiftung Kinderdorf Pestalozzi


Kinder und ihre Rechte zelebrieren

Am 20. November wird die Kinderrechtskonvention 30. Diese wichtige Errungenschaft feiern wir gemeinsam in Bern. Der Vormittag ist mit einem Postenlauf durch die Stadt für Schulklassen reserviert. Das Nachmittagsprogramm steht allen offen. Es gibt Musik und ein Open Mic, wo Kinder und Jugendliche für ihre eigenen Anliegen einstehen können. Um 13 Uhr tritt Bundesrat Alain Berset ans Mikrophon. Angemeldete Kinder und Jugendliche erhalten am Mittag ein kostenloses Lunchpaket. Für die ersten 40 angemeldeten Schulklassen ist die Anreise gratis. Der Event wird organisiert von der Stiftung Kinderdorf Pestalozzi, Kinderschutz Schweiz, Pro Juventute und dem Komitee für UNICEF Schweiz und Liechtenstein.

Mehr Infos: www.30jahrekinderrechte.ch


Zum Autor:

Christian Possa ist Kommunikationsexperte bei der Stiftung Kinderdorf Pestalozzi.
Christian Possa ist Kommunikationsexperte bei der Stiftung Kinderdorf Pestalozzi.


Über die Stiftung Kinderdorf Pestalozzi

Die Stiftung Kinderdorf Pestalozzi ist ein international tätiges Kinderhilfswerk. Seit 1946 stehen Kinder und Jugendliche im Mittelpunkt ihrer Tätigkeit. Das Kinderdorf in Trogen ist ein Ort der Friedensbildung, an dem Kinder aus der Schweiz und dem Ausland im Austausch lernen, mit kulturellen und sozialen Unterschieden umzugehen. In zwölf Ländern ermöglicht die Stiftung benachteiligten Kindern Zugang zu qualitativ guter Bildung.
www.pestalozzi.ch

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