Medikamente gegen Stress: Wann kann ein Kind selbst entscheiden?
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Ist ein Kind noch nicht fähig, ein eigenes Urteil zu fällen müssen Erwachsene über medizinische Behandlungen entscheiden. Doch wann ist ein Kind urteilsfähig? Ein Wegweiser durch den juristischen Dschungel.
Laszlo geht neu ans Gymi und hat am zweiten Schultag seinen Zeitplan mit 14 Prüfungen bis zur Notenabgabe erhalten. Er schluckt zweimal leer: «Da muss ich wohl durch, die Matur gibts nicht gratis.»
Lirida schläft abends schlecht ein, kommt am Morgen nicht aus dem Bett, klagt über Kopfweh und muss jeden Tag vom Vater in die Schule begleitet werden, damit sie es überhaupt dorthin schafft.
Drei Beispiele von Jugendlichen, die zeigen: Jeder geht anders mit Belastungen, Erwartungsdruck und Stress um.
Wann sind Kinder überfordert?
Wer ist Schuld am ständigen Druck?
Im Einklang damit stehen das Erziehungsrecht des Kindes und die Erziehungspflicht der Eltern nach Art. 302 Zivilgesetzbuch (ZGB): Das Kind hat einen Anspruch darauf, erzogen zu werden, damit es sich körperlich und geistig entfalten kann. Es soll gesund leben können, es soll sich wohlfühlen und es soll eine allgemeine und berufliche Ausbildung erhalten.
Die Erziehungspflicht der Eltern geht über den Zugang zur Vermittlung von Schulwissen hinaus.
Leistungsoptimierung gehört nicht zu den Erziehungspflichten, aber …
Fazit: Von Leistungsoptimierung steht nichts in den gesetzlich festgeschriebenen Erziehungspflichten nach ZGB, Volksschulgesetz oder Kinderrechtskonvention. So einfach ist es jedoch nicht, denn die Eltern, die Lehrpersonen und das Kind sind Teile unserer Gesellschaft, die Leistungsoptimierung fordert. Die Eltern und die Lehrpersonen wollen in der Regel das Beste für das Kind, und unter Umständen möchte auch das Kind von sich aus zu den Besten gehören.
Wann liegt eine Kindeswohlgefährdung vor?
Darüber hinaus ist auch der Staat aufgrund der Verfassung und der Kinderrechtskonvention verpflichtet, Massnahmen zum besonderen Schutz von Kindern zu ergreifen. Ein staatliches Kindesschutzverfahren kommt zum Zuge, wenn Eltern oder andere Erziehungsberechtigte ihren Erziehungspflichten nicht nachkommen können und die Gesundheit des Kindes beeinträchtigt wird.
Das Kindeswohl umfasst gesundheitliche, familiäre Aspekte
Für die Beurteilung, ob eine Kindeswohlgefährdung vorliegt, gibt es Leitlinien. Doch unabhängig davon, ob eine Kindeswohlgefährdung vorliegt oder nicht, gilt: Achten Eltern, eine medizinische Fachperson oder auch eine Lehrperson die Gesundheit und die Persönlichkeit des Kindes nicht, kann das Persönlichkeitsrechts des Kindes verletzt sein. Nehmen etwa Liridas Eltern ihre Tochter nicht ernst, wenn sie über Kopfweh klagt, oder wird dem Mädchen gegen ihren Willen ein Medikament verabreicht, verletzt das ihre Persönlichkeitsrechte. Das kann Schadenersatz- oder Genugtuungsforderungen nach sich ziehen.
Nutzen und Risiken abwägen einer ärztlichen Behandlung
Laszlo findet es offenbar normal, dass er gestresst ist: Wenn alle seine Kolleginnen und Kollegen ebenfalls gestresst sind, empfindet er dies weniger negativ, als wenn er der Einzige in der Klasse wäre. Denselben Effekt zeigen auch neuere Studien zu Mobbing – was aber nicht bedeutet, dass Mobbing heute rechtlich erlaubt wäre.
Zurück zu Liridas Kopfschmerzen: Werden sie erkannt, besprochen und medikamentös behandelt, sodass sich das Mädchen danach besser fühlt und zeigt die Behandlung keine gesundheitlichen Nebenwirkungen, ist rechtlich alles in Ordnung.
Nutzen-Risiko-Verhältnisse sind individuell – je nach Stärke der Beeinträchtigungen und des Leidens.
Wird ein Kind ohne medizinische Notwendigkeit behandelt, beispielsweise aus ästhetischen Gründen oder damit es bessere Noten schreibt, handelt es sich um eine Leistungssteigerungsmassnahme, sogenanntes Human Enhancement.
Der Begriff steht für medizinische oder biotechnologische Interventionen, deren Ziel nicht primär therapeutischer oder präventiver Art sind, sondern die auf die Verbesserung des Menschen abzielen. Anders als eine Therapie will Enhancement nicht eine Krankheit oder ein Leiden beheben, sondern die geistige oder körperliche Leistungsfähigkeit einer Person steigern.
Wer kann dem Kind wie helfen?
Eltern, die ihr urteilsunfähiges Kind vertreten, sollen – in Beratung mit einer medizinischen Fachperson – eine Therapie wählen, welche die zu befürchtenden gesundheitlichen Nachteile bei einer Nichtbehandlung, die in Kauf zu nehmenden Leiden, Schädigungen und Risiken einer Behandlung eindeutig – und auch längerfristig – übertreffen.
Das Recht regelt immer nur den Minimalstandard. Liridas Wohlbe finden dient es ohne Zweifel mehr, wenn mit ihr beispielsweise ein Einschlafritual gefunden wird, das ihr hilft, sich während der Nacht besser zu erholen.
Eine gute Kommunikation ist zentral.
Zur Autorin:
Zum rechtlichen Begriff Urteilsfähigkeit
Das urteilsfähige Kind gibt allein die aufgeklärte Einwilligung (Informed Consent) ab, ob es sich um die Behandlung einer somatischen oder psychischen Erkrankung handelt. Das urteilsunfähige Kind dagegen wird von seinen Eltern gegenüber der behandelnden medizinischen Fachperson vertreten. Dabei sind sie dem übergeordneten Kindeswohl verpflichtet. Die Inhaber der elterlichen Sorge entscheiden in gesundheitsrechtlichen Belangen gemeinsam. Hat nur ein Elternteil die elterliche Sorge inne, ist der andere Elternteil über gesundheitsrechtliche Belange des Kindes, welche zugleich die Bildung beeinflussen, grundsätzlich zu informieren.
Auch einem urteilsunfähigen Kind stehen nach Art. 12 KRK aufgrund seines Persönlichkeitsrechts in gesundheitsrechtlichen Angelegenheiten Mitwirkungsrechte zu. Das bedeutet, dass ein Kind in verständlicher Weise über Behandlungsmethoden, -alternativen und Risiken aufzuklären und zu seinen Wünschen anzuhören ist. Wird es nicht genügend einbezogen, liegt eine Persönlichkeitsverletzung vor. Es gibt einige ausdrückliche gesetzliche Ausnahmen. Die Vertretungsbefugnis bei urteilsunfähigen Kindern ist ausgeschlossen in folgenden Belangen (sogenannte absolut höchstpersönliche Rechte):
- Sterilisation
- Lebende Organentnahme
- Genitalbeschneidungen bei Mädchen
In folgenden Behandlungen wird ein Vertretungsverbot der Eltern in Rechtswissenschaft und -politik kontrovers diskutiert:
- Geschlechtszuweisung und -änderung
- Enhancement wie Schönheitsoperationen, Neuroenhancement
- Schwangerschaftsabbruch
- Beschneidungen bei urteilsunfähigen Buben aus religiösen Gründen