6 Tipps für Eltern mit einem frechen Kind
Das neue Leben im Chindsgi verlangt Kindern vieles ab. Im Gegensatz zu den Eltern können sie aber mit Frust, Wut und Enttäuschung noch nicht gut umgehen. So können wir unserem Nachwuchs unter die Arme greifen.
Vor vier Jahren kam mein Jüngster in den Kindergarten. Für uns beide war die Umstellung nicht einfach. Plötzlich waren die Vormittage sehr ruhig ohne meinen kleinen fröhlichen Strolch. Ich vermisste mein Kind sehr. Und für meinen Sohn war es eine Herausforderung, jeden Tag früh aufzustehen und vor dem Einschlafen die vielen Eindrücke zu verarbeiten. Wir brauchten beide ein halbes Jahr, bis sich alles gut eingespielt hatte.
Insgeheim beneidete ich die anderen Mütter aus dem Kindergarten. Deren Kinder sind doch so anders, dachte ich. Sie sprangen am Morgen munter aus dem Bett, hüpften vom «Chindsgi» in den Hort und von dort ins Ballett, zum Schwimmen und zum Geigenunterricht. Und mein Kind? Blieb am liebsten daheim, spielte, malte und wollte kuscheln.
Das Verhalten Ihres Rumpelstilzchens ist ganz normal. Es ist seine Art, mit dem Kindergartenstress umzugehen.
Dann hörte ich auf, mich mit anderen Müttern zu vergleichen oder von meinem Sohn mehr Aktivität zu verlangen. Wir gaben uns ganz einfach den Tagen hin, so gut es eben ging.
Andere Mütter, gleiche Sorgen
Monate später vertraute sich mir eine der anderen Mütter an. Sie sagte: «Ich weiss nicht, was mit Mila los ist. Entweder mag sie nicht aufstehen, oder dann will sie schon um 7 Uhr los. Und am Waldtag macht sie ein Theater, weil sie nicht mit ihren Feenflügeln rausdarf, sondern die Matschhosen anziehen muss. Sage ich nein, haut sie mich und schreit herum.»Ich spürte ihre Verzweiflung, als wäre es meine eigene.
Eine andere Mutter kam hinzu. Sie sagte: «Wenn Noah nach Hause kommt, gibts nur Geschrei. Er wirft sein Täschli und die Jacke auf den Boden und plagt seinen Bruder. Er flippt sofort aus und macht, was er will!»
Ich spürte ihre Ratlosigkeit, als wäre es meine eigene. Wir alle kennen solche Szenen, haben sie zigmal erlebt. Ich darf Ihnen jetzt, da mein Sohn in die zweite Klasse geht, mit gutem Gewissen sagen: Es geht vorbei. Es ist nur eine Phase (wirklich!). Das Verhalten Ihres Rumpelstilzchens ist ganz normal, denn es ist seine Art, mit dem Kindergartenstress umzugehen.
Anpassen will gelernt sein
Der Kindergarten stellt für das Kind eine Ausnahmesituation dar, die von ihm eine grosse Anpassungsleistung abverlangt. Im Kindergarten gibt es nur eine Bezugsperson für eine Vielzahl von Kindern. Das bedeutet für jedes Mädchen und jeden Jungen: warten, die eigenen Bedürfnisse aufschieben, genügsam sein, Frustration aushalten. Und dann sind da ja die vielen anderen, lauten, wilden Kinder. Und die neuen Spielsachen. Das Kind muss teilen, sich mit anderen arrangieren, zuhören und mithelfen, sich einordnen, Dinge tun, die es nicht so gerne tut, es soll freundlich sein, seine Gefühle unter Kontrolle behalten, es soll mitsingen und im Kreis still sitzen.
Ein Kind braucht unsere Aufmerksamkeit besonders, wenn wir es als anstrengend empfinden. Eltern sollten sich genau dann Zeit für es nehmen.
Das ist anstrengend, ermüdend, manchmal auch nervig, langweilig und einfach doof. Das Kind macht vieles durch, was wir Erwachsenen auch kennen – wenn wir zum Beispiel einen neuen Job antreten oder es bei der Arbeit gerade harzt. Im Unterschied zu Vier- und Fünfjährigen können wir mit diesen Gefühlen aber besser umgehen. Wir können unseren Frust, unsere Enttäuschung, unsere Müdigkeit und unser Unwohlsein sprachlich ausdrücken. Denn wir verfügen über die sogenannten exekutiven Funktionen, der Fachbegriff für Gefühlskontrolle.
Die Beherrschung der exekutiven Funktionen hält uns Erwachsene etwa davon ab, uns abends nach der Arbeit auf den Boden zu werfen und unseren Partner, unsere Partnerin anzubrüllen oder gar zu schlagen. Kinder lernen diese Emotionsregulierung erst in den Kindergartenjahren. So kommen sie oft in Situationen, in denen sie mit ihren kommunikativen Fähigkeiten überfordert sind. Sie greifen ganz automatisch auf nonverbale Möglichkeiten zurück, um so ihre Wünsche und Gefühle auszudrücken. Diese selbst erprobten Tipps könnten ihrem Kind helfen:
1. Die Wirkung von Kaffee und einer Umarmung
Das Kind schiebt die Krise, ich wandere zum Kaffeeautomaten. Das hilft mir, oft aber nicht dem Kind. Das weint vielleicht, stampft mit den Beinen, plagt den Hund, wird laut oder vergräbt sich im Zimmer. Da hat man als Mutter, Vater, Grossmutter oder Opa zwei Möglichkeiten: Man ignoriert das Geschrei, trinkt den Kaffee zu Ende und stöpselt sich notfalls Kopfhörer auf. Oder man geht zum Kind, nimmt es in den Arm, und lässt es weinen oder schreien. Manchmal weint man auch zusammen. Egal, ob Variante A oder B: Beides muss man aushalten können. Einfach ist es nicht, denn Erziehung ist nie leicht.
2. Über Gefühle sprechen ist schwierig
Es gibt Kinder, die sind in Krisen gut ansprechbar. Aber das Gespräch darüber, was es so wütend, traurig, still oder laut macht, ist schwierig, denn das Kindergartenkind ist noch nicht im Besitz aller emotionalen Fähigkeiten, es kann sich nicht selbst kontrollieren und auch seine Handlungen und mögliche Konsequenzen nicht durchdenken. Deshalb funktionieren erwachsene Anweisungen wie: «Beruhige dich bitte», «Ist ja nicht so schlimm», «Das wird schon wieder», «Morgen ist auch noch ein Tag» bei einem Kindergartenkind schlicht nicht. Sie sind für Kinder gar nicht nachvollziehbar. Die Lösung: Punkt 1, Variante B.
Trotz ist Ausdruck des kindlichen Unabhängigkeitsstrebens. Nur wer sich auflehnt, kann herausfinden, wer er wirklich ist, und seine Persönlichkeit autonom entwickeln.
3. Eine Mittagspause
Kinder können aus den unterschiedlichsten Gründen in Krawallstimmung sein. Vielleicht sind sie müde oder mussten sich einfach sehr zusammennehmen. Vielleicht war es sehr laut oder es gab Streit. Vielleicht hat ein Kind auch einfach Hunger, weil es seinen Znüni eingetauscht hat. Hungergefühlen können ein Stückchen Brot, Apfel-, Gurken- oder Rüeblischnitze Abhilfe schaffen. Bei emotionalen Geschichten helfen Zuhören, Mitgefühl, Verständnis, Ruhe – und eine Mittags- oder Ruhepause.
4. «Es ist nur eine Phase»
Erst mit ungefähr sechs Jahren verfügt das kindliche Gehirn über eine Reife, wie wir sie als Erwachsene kennen. Zuvor, insbesondere zwischen drei und sechs Jahren, ist das Wachstum im Frontallappen des Gehirns am grössten. Das ist der Ort, an dem sich das Urteilsvermögen, die Aufmerksamkeit und Konzentration, aber auch das Planen und Aufschieben befinden. Ebenfalls erst ab vier Jahren verbessert sich der Informationsaustausch zwischen linker und rechter Hirnhälfte.
Das Kind befindet sich also jetzt in einem grossen Entwicklungsprozess. Dass es dabei manchmal nicht verstehen kann, weshalb es warten muss, nicht fernsehen darf oder im Singkreis mitmachen soll, ist diesem Prozess geschuldet. Heisst: Es weiss nicht immer, was es tut, denn es ist ja ein Kind und braucht daher in erster Linie Verständnis und Geduld. Das Wissen um diese Entwicklungsphase kann dabei helfen, beides aufzubringen.
5. Die Suche nach der Identität
Kinder testen beständig ihre Grenzen aus. Bis zum fünften Lebensjahr kann es immer wieder Trotzphasen geben – inklusive frechen Antworten und Titulierungen in Fäkalsprache. Solches ist als Ausdruck von Trotz zu verstehen, und Trotz wiederum ist der Ausdruck des kindlichen Unabhängigkeitsstrebens. Denn nur wer sich auflehnt, kann herausfinden, wer er wirklich ist und seine Persönlichkeit autonom entwickeln.
Weil kleine Kinder aufgrund ihrer unreifen Hirnstruktur noch nicht in der Lage sind, ihre Wünsche erwachsenenkonform zu formulieren, werden sie eben manchmal zu kleinen Rumpelstilzchen. Das Wissen um die identitätsstiftende Funktion des Trotzes kann helfen, «frechen» Kindern mit Verständnis und Humor zu begegnen.
6. «Gruusige» Wörter
Tatsächlich kommt es vor, dass ein Kind aus heiterem Himmel plötzlich das A-Wort, das F-Wort oder das Sch-Wort benutzt. Es merkt, dass die Erwachsenen darauf schockiert oder verärgert reagieren und findet das natürlich spannend. Wichtig ist unsere Reaktion darauf: Wenn wir dann schimpfen, bringt das wenig. Ich habe jeweils Folgendes praktiziert: erstens Ignorieren, zweitens deutlich machen, dass ich kein A… sein möchte, drittens mit Humor reagieren – und zur Not eine Fluchstunde einlegen. Am allerwichtigsten natürlich ist: Die Wörter, die man nicht hören möchte, selbst nicht zu benutzen!