«Eltern sollten den Medienkonsum ihres Kindes kennen»
Ein schrittweiser und dosierter Zugang zu digitalen Medien empfehle sich bei kleinen Kindern, sagt Medienpädagogin Eveline Hipeli. Sie plädiert für Regeln statt Verbote.
Frau Hipeli, dürfen Kindergartenkinder mit neuen Medien in Kontakt kommen?
Wir weisen als Medienpädagogen immer wieder darauf hin, dass Kinder vor Kindergarteneintritt keinen Nachteil gegenüber ihren Altersgenossen haben, wenn sie noch keine digitalen Medien benutzt haben. Die Realität in den Familien ist jedoch so, dass der grösste Teil aller Kindergartenkinder bereits im Vorschulalter die ersten Erfahrungen mit digitalen Medien macht: sei dies mit dem «Fernsehen» auf dem Tablet der Eltern, mit dem kurzen Spiel auf dem Smartphone von Papi in der Einkaufsschlange oder beim Anhören des Kasperli via Spotify. In einem Ein-Kind-Haushalt ist der Kontakt mit digitalen Medien sicher einfacher zu steuern. Je mehr Kinder unterschiedlichen Alters im Haushalt leben, desto schwieriger wird es.
Was ist Ihre Empfehlung?
Eltern sollten sich grundsätzlich fragen: Wie soll mein Kind aufwachsen? Welche Medien spielen in unserem Haushalt eine Rolle? Welche Medien möchte ich meinem Kind zugänglich machen? Und welche nicht? Bin ich selbst ein einigermassen authentisches Vorbild als Elternteil? Um auf Ihre Ursprungsfrage zurückzukommen: Kindergartenkinder kommen bereits mit neuen Medien in Kontakt und ja, das dürfen sie auch. Idealerweise findet dieser Kontakt schrittweise, dosiert und vor allem begleitet statt.
Ein Kind mit digitalen Medien ruhigzustellen, ist verführerisch.
Eveline Hipeli, Medienpädagogin
Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie im Tram oder Zug Kinder mit einem Smartphone sehen?
Für sie ist das Smartphone in solchen Situationen ein Ersatz für eine andere Tätigkeit (die man im Tram/Zug oder Bus eben gerade nicht ausüben kann). Oder ein Ersatz für Kommunikation (mit einem Gspänli, mit den Eltern, der Begleitperson). Als es noch keine Smartphones gab, hat man dem Kind einen Gameboy, ein Kinderheftli vom Kiosk oder einen Walkman in die Hand gedrückt – mit dem gleichen Ziel: das Kind in dem Moment zu unterhalten, Langeweile zu überbrücken.
Genau das wird aber kritisiert.
Ein Kind mit digitalen Medien ruhigzustellen, ist verführerisch einfach. Kinder sollten lernen, dass Langeweile nicht immer «aufgefüllt» wird mit einer medialen Tätigkeit.
Wie viel Medienkonsum ist zu viel?
Es ist ein Unterschied, ob ein Fünfjähriger im Tram fünf Minuten lang die Fotos der Mutter durchscrollt oder sein eigenes Zoovideo vom Vortag anschaut, oder ob eine Vierjährige eine halbe Stunde im Restaurant Youtube-Videos schaut. Je jünger das Kind, desto mehr sollten sich Eltern überlegen, warum und wie lange sie ihr Smartphone aus der Hand geben.
Was ist der wichtigste Rat für Eltern zum Medienkonsum für Kindergartenkinder?
Entscheidend ist, dass Eltern den Medienkonsum ihrer Kinder kennen, sie beim Kontakt mit Medien begleiten und bei Fragen und Anliegen zur Stelle sind. Dazu empfiehlt es sich, Regeln aufzustellen, etwa, wie lange und wann digitale Medien genutzt werden dürfen. Dabei können Eltern dem Kind erklären, weshalb sie diese Regeln vorsehen. Nicht, um das Kind zu «bestrafen», sondern weil sie möchten, dass es ihm gut geht.
Finden Sie eine totale Internet-Abstinenz im Kleinkindalter sinnvoll?
Kleine Kinder brauchen kein Internet. Der allergrösste Teil des Internets ist für sie etwas ganz Unbegreiflliches. Sie begegnen dem Internet und seinen Funktionen aber im Alltag, beispielsweise, wenn sie mit der Oma via Videotelefonie im Ausland telefonieren oder einen Trickfilm auf Nettflix schauen dürfen. Eltern sollten sich bei kleinen Kindern deshalb gut überlegen, wann und wie sie das Internet in ihrer Lebenswelt zulassen – oder ob die Kinder den Lieblingstrickfilm nicht besser via TV oder DVD schauen. Grundsätzlich gilt: Ein Kind sollte in jungen Jahren im Internet nie alleine auf Entdeckungsreise gehen.