Konzentration und Aufmerksamkeit: Was ist das eigentlich?
Bild: Maike und Neele Frisch / frisch-fotografie.de
Spielerisch werden im Kindergarten verschiedenste Kompetenzen geschult, die die Kinder auf die Schule vorbereiten und die für das Leben wichtig sind – unter anderem die Fähigkeit, seine Aufmerksamkeit bewusst auf etwas zu lenken, zuzuhören und sich zu konzentrieren. Doch was ist eigentlich Konzentration? Und wovon hängt es ab, ob sich ein Kind konzentrieren kann?
1. Das Alerting-Netzwerk: «Ich bin wach und bereit»
2. Das Orientierungsnetzwerk: «Was ist denn hier los?!»
3. Die exekutive Kontrolle: «Volle Konzentration!»
Der Kindergarten ist für manche Kinder der erste Ort, an dem sie ihre Konzentration üben können.
Zusätzlich werden dort weitere sogenannte «Exekutivfunktionen» geschult: Die Kinder lernen, zuzuhören und Informationen im Gedächtnis zu behalten, indem sie neue Lieder lernen, auf Fragen zu Geschichten antworten oder kleine Aufträge ausführen. Sie trainieren langsam, sich bei Brettspielen an die Vorgaben zu halten, im Stuhlkreis dem Impuls zu widerstehen, einfach dazwischenzuplappern, sich an Regeln zu halten und mehrstufige Abläufe wie das Anziehen oder Aufräumen zunehmend selbständig zu bewältigen. Bei Aktivitäten wie dem Basteln lernen die Kinder, strukturiert vorzugehen, Pläne zu schmieden, sich auf Neues einzulassen und sich flexibel darauf einzustellen, wenn einmal etwas danebengeht.
Dass im Kindergarten für diese Kompetenzen eine gute Grundlage gelegt wird, ist entscheidend für einen gelungenen Start in die erste Klasse. Allerdings entwickeln sich diese Fähigkeiten bis ins Erwachsenenalter hinein weiter. Wie rasch und wie gut Kinder lernen, sich zu konzentrieren und weitere Exekutivfunktionen zu nutzen, hängt von mehreren Faktoren ab. Auf einige davon möchten wir kurz eingehen.
In hohem Mass vererbte Fähigkeiten
Daneben können sich schädliche Einflüsse während der Schwangerschaft (Alkohol, Nikotin, längere Krankheiten, starker Stress usw.), Komplikationen während der Geburt (Frühgeburtlichkeit, Sauerstoffmangel usw.) sowie Krankheiten und Unfälle negativ auf diese Fähigkeiten auswirken.
Kinder, die schon früh in ihrer Entwicklung mit emotional belastenden Erfahrungen konfrontiert werden, entwickeln häufiger Schwierigkeiten in diesem Bereich. Dazu gehören beispielsweise traumatische Erlebnisse wie Gewalt, eine Fremdplatzierung, der Tod einer nahen Bezugsperson, eine Scheidung mit Kontaktabbruch zu einem Elternteil oder anhaltende Konflikte innerhalb der Familie. Ähnlich gravierend kann sich auch ein anregungsarmes Umfeld auswirken, bei dem das Kind oft sich selbst überlassen wird und wenig Nähe und Zuwendung sowie kaum geistige Anregung zum Beispiel in Form von Gesprächen, Vorlesen, Spielen erhält.
Alter und Reife entscheiden über die Konzentrationsfähigkeit
Momentan gibt es einen Trend in die Richtung, Kinder früher einzuschulen. Vielerorts wurde der Stichtag nach vorne verlegt, ohne den Lehrplan für den Kindergarten entsprechend anzupassen. Für Kinder, die zum Zeitpunkt des Kindergarteneintritts gerade vier Jahre alt sind, ist es oft eine Überforderung, sich in einer Gruppe mit 20 anderen zurechtzufinden, nur eine Ansprechperson zu haben, sich phasenweise selbst zu beschäftigen oder den Abläufen des Kindergartens zu folgen. Natürlich versuchen die Kindergartenlehrpersonen, sich so gut wie möglich auf den Entwicklungsstand des jeweiligen Kindes einzulassen – viele jüngere Kinder bräuchten jedoch noch einen ähnlichen Betreuungsschlüssel wie in der Krippe.
Wie bedeutsam der Aspekt von Alter und Reife ist, wird auch in mehreren Untersuchungen deutlich. So erhalten beispielsweise Kinder, die zu den jüngsten ihrer Klasse gehören, im Verlauf der Schulzeit deutlich häufiger die Diagnose einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) als die ältesten. In einer Studie aus den USA (Elder, 2010) wurden die Eltern und Lehrpersonen von über 18 00 Kindern über ihre Schulzeit hinweg mehrmals zur Entwicklung der Kinder befragt. Dabei zeigte sich: 8,4 Prozent der Kinder, die verhältnismässig jung eingeschult wurden, erhielten im Laufe der Schulzeit eine ADHS-Diagnose. In der Gruppe der eher spät eingeschulten Kinder waren es 5,1 Prozent. Studien aus dem deutschsprachigen Raum (z. . Wuppermann und Kollegen, 2015) bestätigen diesen Befund.
Kinder, die zu den jüngsten ihrer Klasse gehören, erhalten im Verlauf der Schulzeit deutlich häufiger die Diagnose ADHS als die ältesten.
Stefanie Rietzler, Fabian Grolimund: Lotte, träumst du schon wieder?
Hogrefe 2020, ca. 26 Fr.
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